Religionswissenschaftlerin: Altersprobleme könnten interreligiösen Dialog gefährden

Gritt Klinkhammer im Gespräch mit Ita Niehaus · 31.07.2010
Interreligiöse Initiativen leisteten eine Menge, sagt Gritt Klinkhammer von der Universität Bremen. Ein Problem sei allerdings das Alter der Aktiven - besonders christliche Akteure müssten sich um Nachwuchs kümmern.
Ita Niehaus: Dass der interreligiöse Dialog wichtig ist, vor allem zwischen Christen und Muslimen, darüber sind sich wohl fast alle einig – und es tut sich auch etwas in Deutschland. Etwa 200 interreligiöse Initiativen und Dialogprojekte gibt es inzwischen, die sich für das friedliche Zusammenleben der Kulturen und Religionen starkmachen. Doch bisher wissen wir nur wenig darüber, was sie wollen, wie sie arbeiten und was sie tatsächlich erreichen können. Die Religionswissenschaftlerin Grit Klinkhammer, Professorin an der Universität Bremen, erforscht die interkulturellen und interreligiösen Dialoginitiativen. Vor dieser Sendung sprach ich mit ihr und fragte sie zunächst, welche Bedeutung der interreligiöse Dialog in Deutschland hat?

Gritt Klinkhammer: Der interreligiöse Dialog ist in einem ganz großen Maße nach 2001 so richtig ins Rollen gekommen, also etwa 60 Prozent der Initiativen, auf die wir bislang gestoßen sind, das sind eben gut über 200 Initiativen und mehr als die Hälfte sind nach 2001 entstanden, setzen sich durchaus auch ins Verhältnis zu diesem Datum in ihren Entstehungshintergründen, aber auch die anderen davor entstandenen Dialoginitiativen sind Reaktionen auf Solingen, Mölln, also auch auf gesellschaftliche Ereignisse gewesen und müssen eigentlich in diese gleiche Richtung interpretiert werden, als zivilgesellschaftliches Engagement, das heißt, Glauben auch durchaus als Thema sehr hoch im Kurs oder es ist sehr wichtig. Dennoch, die Anregung kommt nicht allein aus innerreligiösen Prozessen, sondern kommt aus durchaus gesellschaftspolitischen Ereignissen heraus.

Niehaus: Der interreligiöse Austausch kann ganz unterschiedlich sein, angefangen bei gegenseitigen Besuchen der Gotteshäuser, Diskussionen über Glaubensinhalte, bis hin zur Deutschen Islamkonferenz. Was macht denn die deutsche Dialoglandschaft vor allem aus?

Klinkhammer: Die deutsche Dialoglandschaft zeichnet sich sicherlich besonders durch Vielfalt aus, und das bedeutet einmal Vielfalt in der Zielsetzung, einmal geht es um Sensibilisierung, Informationsweitergabe, es geht aber auch um Stärkung von Minderheitenpositionen, durchaus Verstärkung auch von religiösem Glauben, aber bis hin auch zu sehr aktuellen politischen Themen, die dort verhandelt werden, insbesondere natürlich integrationspolitische Themen. Und das ist eine ganz große Bandbreite von Themen, mit denen sich diese Dialoggruppen beschäftigen. Das ist das eine, die eine Vielfalt.

Die andere Vielfalt ist die, dass die Dialoggruppen sich sehr unterschiedlich zusammensetzen. Zum größten Teil sind es Einzelpersonen, die sich engagieren in ihrer Freizeit, es gibt aber natürlich auch sehr viele Dialoge, in denen hauptamtliche Religionsvertreter engagiert sind, und die meisten Dialoge sind eine Mischform, in denen sich sowohl Hauptamtliche als auch Einzelpersonen engagieren.

Niehaus: Sie haben ja für Ihre Studie nicht nur zahlreiche Teilnehmer befragt, Sie haben auch 20 Projekte zweieinhalb Jahre immer wieder besucht. Die Ansprüche an die Initiativen sind hoch, Sie haben die Frage der Integration gerade angesprochen – was können Dialoginitiativen denn tatsächlich leisten?

Klinkhammer: Sie können eine Menge leisten, auch wenn man natürlich ihre Wirkung sehr schwer messen kann. Zum einen muss aber hingewiesen werden sicherlich auf eine sozialpsychologische Dimension, die in der Konfliktforschung entwickelt wurde, nämlich die sogenannte Kontakthypothese, die da besagt, dass sozusagen jeglicher Kontakt, jegliche Begegnung von verschiedenen Gruppen etwas beiträgt zum tendenziell friedlichen Zusammensein und Zusammenleben dieser Gruppen. Und das ist etwas, was sozusagen diese Dialoginitiativen mindestens bewirken, nämlich sie sorgen institutionalisiert dafür, dass hier Begegnung überhaupt stattfindet an Orten, wo sie vielleicht sonst nicht stattfinden würde.

Das Zweite, was uns aufgefallen ist, ist, dass es natürlich nicht nur um Verständigung in diesen Gruppen geht. Es geht hier auch darum, Anerkennung den Minderheitengruppen – und das sind in dem Fall die Muslime hier – zu verschaffen, das heißt, allein dass hier bestimmte auch hauptamtliche Religionsvertreter sich engagieren und Zeit nehmen, sich mit oftmals ehrenamtlichen, engagierten Mitgliedern aus muslimischen Gemeinden zu treffen, ihnen Gehör zu verschaffen, auch offiziell sich sozusagen in der Kommune nach außen hin zu repräsentieren, das schafft Anerkennung, die notwendig ist, die auch positiv ist für das gesellschaftliche Miteinander.

Und dazu gehört dann letztendlich auch Partizipation, ganz konkrete, nämlich wenn auf kommunaler Ebene solche Dialoggruppen stattfinden, in denen dann gemeinsame Feste organisiert werden, gemeinsame Projekte realisiert werden, dass man gemeinsam in solchen Veranstaltungen dann kommunales Leben vor Ort gestaltet.

Niehaus: Der Dialog ist ja ein langwieriger, ein hürdenreicher Prozess, oft auch mit Rückschlägen, mit Enttäuschungen – was sind die größten Herausforderungen?

Klinkhammer: Sicherlich ist es ganz schwierig, mit der Differenz im Dialog zu leben. Einerseits – das habe ich schon anklingen lassen – geht es im Dialog, um einen Dialog gelingen zu lassen, sicherlich auch immer darum, etwas Gemeinsames zu finden. Manchmal ist es schwierig, in diesem Prozess dann aber die Glaubensdifferenzen in einzelnen Positionen, Differenzen stehen lassen zu können, das ist sicherlich eine Herausforderung, die bleibt.

Eine andere ist die, dass wir beobachtet haben, dass die Dialoginitiativen einen hohen Altersdurchschnitt aufweisen, insbesondere auf der christlichen Seite oder auf der nicht-muslimischen Seite. Auf der muslimischen Seite sieht das etwas anders aus, da sind eher jüngere Menschen engagiert. Und wenn wir davon ausgehen – und das tut unsere Studie zumindest –, dass diese Dialoginitiativen durchaus wichtiges zivilgesellschaftliches Engagement leisten, um ein friedliches Miteinander zu schaffen, dann ist die Zukunft etwas gefährdet – zumindestens von der christlichen Seite sieht es so aus. Und hier ist es, glaube ich, an den christlichen Gemeinden oder nicht-muslimischen Akteuren, hier Interesse zu finden bei der jungen Generation für dieses Thema.

Niehaus: Würden Sie so weit gehen zu sagen, der interreligiöse Dialog ist gefährdet?

Klinkhammer: Ja, also man muss hier wirklich schauen, dass der Nachwuchs gefunden wird, es kann aber natürlich auch sein, dass der interreligiöse Dialog sich in einem gewissen Sinne überholt, indem es selbstverständlicher wird, dass Muslime in allen möglichen Bereichen der Gesellschaft partizipieren, dass die fortschreitende Institutionalisierung auch der muslimischen Gemeinden, der muslimischen Theologie, dazu führt, dass diese Dialoge nicht mehr einen so essenziellen Charakter haben, wie sie bislang eigentlich noch hatten. Insofern gibt es zwei Perspektiven darauf: Einerseits muss man sehen, dass der Dialog scheinbar Nachwuchsprobleme hat und damit gefährdet ist und es schwierig wäre, wenn er einfach wegfallen würde, aber wenn er ersetzt werden könnte über eine natürliche institutionelle Partizipation in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, würde er vielleicht auch nicht mehr so intensiv stattfinden müssen.

Niehaus: Es wird in diesem Zusammenhang auch immer viel vom Dialog auf Augenhöhe geredet. Kritiker bezweifeln, dass so ein vertrauensvoller Austausch überhaupt machbar ist, sprechen von einem Kuscheldialog. Besteht tatsächlich die Gefahr?

Klinkhammer: Also das sehe ich nicht. So in der Studie wird sehr deutlich, dass sich ganz intensiv gestritten wird in den Dialoginitiativen, dass hier wenig gekuschelt wird, auch wenn man gerne kuscheln möchte, also durchaus als Ziel, aber doch nicht als Realität. Und das ist auch sicherlich gut so.

Und zum Teil ist es aber natürlich auch ein Problem, also, weil hier immer wieder die Differenzen aufgerollt werden und man sozusagen manchmal sich auch zu sehr an diesen Differenzen dann immer wieder aufhält. Aber das Stichwort vom Kuscheldialog, was gerne zitiert wird, um diese Dialoginitiativen etwas minder zu bewerten, kann unsere Untersuchung nicht bestätigen, auf gar keinen Fall.

Was wir festgestellt haben, ist, dass viel mehr man Sorge haben muss, dass diese Dialoge so stark vom Integrationsdiskurs oder von der Integrationsdebatte sozusagen überlagert werden, dass hier das eigentliche Thema, nämlich also das Interreligiöse, die Frage nach religiösen Positionen, nach spirituellen Positionen, und hier vielleicht auch nach Gemeinsamkeiten, oftmals zu kurz kommt, weil die gesellschaftspolitischen Debatten und Themen so sehr in diese Begegnung hineinspielen, dass man eher umgekehrt sagen muss, also ein bisschen mehr kuschelig wäre gut für diese Dialoge, und ein bisschen klarere oder eine klarere Trennung zwischen interreligiösem Dialoggeschehen, zwischen Begegnungsgeschehen und der Debatte um Anerkennung, also um gesellschaftliche Anerkennung, um Integrationsdebatten, wie sie in der Islamkonferenz beispielsweise geführt werden, um die Frage von Religionsunterricht oder islamische Theologie an den Universitäten und Ähnliches, wäre gut, wenn hier eine stärkere Trennung möglich wäre.

Niehaus: Das heißt, worauf kommt es vor allem an, damit so ein Dialogprozess gelingt?

Klinkhammer: Es kommt sicherlich sehr stark darauf an, dass die Initiativen reflektieren, was sie in diesem Dialog wollen, und es ist sicherlich wichtig, dass die Dialoginitiativen auch um ihre Beschränktheit wissen, dass es hier nicht darum gehen kann, die gesamten politischen und auch weltpolitischen Probleme zu lösen, sondern dass hier es vor allen Dingen um zwischenmenschliche Begegnungen geht, sofern es wenigstens um kommunale oder gemeindliche Dialoginitiativen geht.

Niehaus: Vielen Dank, Frau Professor Klinkhammer für das Gespräch!