"Religiosität und weltlicher Erfolg kann Hand in Hand gehen"
Im Westen habe die Mehrheitsgesellschaft ein bizarres und verzerrtes Bild vom Islam, sagt Melih Kesmen, Deutschtürke aus Witten. Mit seinem Streetware-Label Styleislam will er die Kernbotschaft des Islams bekannt machen.
Katrin Heise: Auf seinen T-Shirts prangen Botschaften wie "Make cay, not war" – "Mach Tee, nicht Krieg" – oder "Jesus & Muhammad, brothers in faith" – also "Brüder im Glauben" – oder auch "I love my prophet". Das sind die Botschaften, die man bekommt, wenn man Sachen beim Label www.styleislam kauft. Melih Kesmen, ein Deutschtürke aus Witten, hat es gegründet und betreibt es mit wachsendem Erfolg. Er wird von der "New York Times" und von El-Dschasira gefeiert. Er ist jetzt mein Gesprächspartner, schönen guten Tag, Herr Kesmen, ich grüße Sie!
Melih Kesmen: Hallo und guten Tag!
Heise: "I love my prophet" auf einem T-Shirt. Braucht der Prophet Promotion oder warum machen Sie das?
Kesmen: Also der Prophet als Mensch braucht mit Sicherheit keine Promotion, aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Kernbotschaft des Islams eine Promotion braucht. Denn hier in dieser Gesellschaft im Westen hat die Mehrheitsgesellschaft tatsächlich ein ganz, ganz bizarres und verzerrtes Bild vom Islam, und das hat natürlich nicht zuletzt was damit zu tun, dass Muslime teilweise natürlich auch echt schlechte Repräsentanten sind.
Heise: Was war der persönliche Anlass für sie so ein Label zu gründen und mit T-Shirts solche Botschaften zu verkaufen?
Kesmen: Der eigentliche Auslöser, das waren die Mohamed-Karikaturen 2005, die in Dänemark veröffentlicht worden sind. Und da gab es auf der einen Seite diese Karikaturen, die die Welt nicht gebraucht hat, und auf der anderen Seite die Muslime, die ja dann total ausgeflippt sind, Botschaften angezündet und Flaggen verbrannt und so. Und ich hing dazwischen und hab mir gedacht, so das kann es nicht sein! Und habe mir dann halt quasi das, was ich in dem Moment empfunden habe, auf die Brust gepackt, und das waren halt eben diese vier Worte, "I love my prophet", und bin auf die Straße gegangen. Und in dieser Zeit habe ich halt in London gelebt, und dann haben sich tatsächlich über den Tag einige gute Gespräche ergeben, die mich dann ...
Heise: ... das heißt, Sie sind wirklich darauf angesprochen worden und es hat sich dann ein Austausch ergeben dadurch ...
Kesmen: ... natürlich, weil ja gerade auch zu dieser Zeit die Menschen eben durch die Medien und so weiter und so fort mit diesem Thema beschäftigt waren, waren die halt umso aufmerksamer. Und wenn dann gerade jemand halt eben mit "I love my prophet" durch die Straßen läuft, dann ist das schon was ganz anderes, ist eben schon, gibt ein ganz anderes Bild schon mal ab ...
Heise: ... na hätte ja auch als Provokation aufgefasst werden können ...
Kesmen: ... ja also wie gesagt, die meisten haben schon verstanden, worum es ging. Und es sind halt sehr, sehr schöne Gespräche zustande gekommen und plötzlich haben sich da natürlich Tausende von Türen in meinem Kopf geöffnet, dass ich auch in meinem kleinen Radius Einfluss haben kann.
Heise: Es hat ja in den Jahren seit dem 11. September 2001 einen drastischen ich nenn es jetzt mal Klimawandel gegenüber Muslimen gegeben. Wie haben Sie den eigentlich erlebt? Ich meine, 2005, haben Sie gesagt, kamen Sie ins Gespräch, aber wie haben Sie es davor empfunden?
Kesmen: Ja also, für mich war es natürlich auch drastisch, wirklich drastisch, weil zu der Zeit haben wir halt geheiratet, meine Frau und ich haben eine Asienreise gemacht, sind zurückgekommen, und – das war zwei Tage nach dem 11. September – und wir haben natürlich unsere Nachbarn, die Menschen um uns ganz, ganz anders aufgefunden. Denn wir haben plötzlich, urplötzlich von einem Tag auf den anderen in das Schläferprofil gepasst! Die netten, muslimischen jungen Menschen, lebensfroh, gehen ihrem Leben nach, könnten aber auch versteckte Terroristen sein!
Heise: Gab es denn Gespräche damals oder hat man sich da eigentlich mehr entfernt voneinander?
Kesmen: Ja teilweise. Hängt ja auch immer mit den Leuten ab, wie gut man natürlich mit ihnen steht. Also wir haben natürlich das Gespräch sehr oft gesucht und manchmal wurden wir angesprochen, hing immer natürlich immer davon ab, wie gut man die Leute auch kannte. Aber die Blicke in der Öffentlichkeit, die haben dann auch schon teilweise für sich gesprochen.
Heise: Also all das zusammen gab Ihnen dann ja so eigentlich den Gedanken, ich muss was tun, ich kann aber auch was tun. In den 1960er-Jahren, da gab es ja dauernd Botschaften auf der Kleidung, auf T-Shirts vor allem, gerade auch politische Botschaften. Würden Sie sagen, dass Mode mit politisch-gesellschaftlicher Aussage wieder in ist?
Kesmen: Ob das jetzt generell in ist, kann ich natürlich nichts zu sagen. Ich kann nur so viel sagen, dass das, was wir tun, einen gewissen Effekt hat und auch einiges ausgelöst hat vor allem bei den Jugendlichen. Und da kann ich wohl behaupten, dass das halt ja schon seine Wellen geschlagen hat.
Heise: Das heißt, Sie würden eben wirklich sagen, mit so einem Slogan auf dem T-Shirt kann man aufklären, das ist nicht nur ein cooles T-Shirt?
Kesmen: Auf keinen Fall. Also das Ding ist, so jetzt Jahre später, es geht gar nicht um die T-Shirts. Wir hätten auch genau so Dachziegel oder Autoreifen produzieren können, solange das halt sag ich mal diese gewisse Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte und wir dadurch in diese gewissen Gespräche kommen würden. Dann wär das eigentlich total egal, was wir tun. Aber wir kommen natürlich aus der urbanen Streetware-Ecke. Also ich selber war Graffitisprüher und habe seinerzeit auch Hip-Hop gemacht und so weiter und so fort, und das war natürlich der Grund.
Heise: Na und mit T-Shirts kommen Sie natürlich schon mit anderen Leuten ins Gespräch als mit Dachziegelverkauf, öffnet sich jetzt natürlich eine ganz andere, viel jugendlichere Klientel ...
Kesmen: ... natürlich, natürlich ...
Heise: ... die Sie auch erreichen wollen.
Kesmen: Genau. Aber die T-Shirts sind tatsächlich nur auch eine Brücke in dem Sinne.
Heise: Deutschlandradio Kultur, Melih Kesmen ist mein Gesprächspartner, der Betreiber des Streetware-Labels Styleislam. Herr Kesmen, wer kauft denn jetzt Ihre Kleidung und zu welchem Zweck? Oder ist da überhaupt ein Zweck mit verbunden oder einfach nur chic sein?
Kesmen: Also zusammenfassen würde ich unsere Zielgruppe zwischen 18 und 35 Jahre alten Menschen. Bewusst lebende Muslime machen 75 Prozent unserer Kundschaft aus, die restlichen 25 sind tatsächlich nicht Muslime, das hat sich so halt herauskristallisiert, weil viele wertschätzen tatsächlich die universellen Botschaften, die es eben bei Styleislam gibt, aber auch die Produkt, die dann halt nicht direkt islamisch sind, sondern halt einfach nur ja einen gewissen Anspruch an Ästhetik und Kreativität eben aufweisen.
Heise: Trägt zum Beispiel eine junge Muslima Ihr T-Shirt oder ein T-Shirt von Ihnen mit so einem Aufdruck, und oben drüber ein Kopftuch?
Kesmen: Ja, das kommt öfter vor. Also Kopftuchträgerinnen gehören natürlich auch mit zu unserer Zielgruppe. Auch gerade diese Menschen, von denen bekommen wir dann halt ihr Feedback, wenn sie dann damit zur Arbeit gehen oder zur Uni, zur Schule und so weiter und so fort, das sind ja genau die Orte, wo dann eben diese Gespräche stattfinden.
Heise: Und wie sind die Reaktionen auf so ein Outfit?
Kesmen: Ja also zu 90 Prozent positiv, weil die Träger ja eben diese Sache bewusst tragen und auch das Gespräch suchen. Weil den meisten unserer Kunden ist schon bewusst, dass da ein Riesengesprächsbedarf in dieser Gesellschaft herrscht.
Heise: Das heißt, es ist auch noch nicht vorgekommen, dass irgendjemand, also ein nicht muslimischer Kunde oder Betrachter des T-Shirts hinter diesem coolen Bild irgendwie eine islamische Parole vermutet, also dass das genau falsch rum verstanden wird?
Kesmen: Diese Vorwürfe haben wir natürlich auch des Öfteren bekommen. Ja, wir kriegen auch immer wieder Briefe, Anrufe und so weiter und so fort von Leuten, die meinen, uns entlarvt zu haben, dass wir halt quasi durch die Hintertür Deutschland islamisieren und so, was ja echt also mehr als lustig ist. Erstens würden wir uns die Botschaften nicht auf die Brust packen, wenn wir irgendetwas durch die Hintertür machen wollen, und zweitens, wer will hier was islamisieren? Deutschland ist meine Heimat, ich will ein buntes Miteinander, und also das sind echt Paranoia und die hat man natürlich.
Heise: Apropos buntes Miteinander, wie sind denn die Reaktionen in der Türkei oder im Nahen Osten? Sie haben ja auch Filialen oder beziehungsweise auch dort werden Ihre T-Shirts getragen ... Wird doch eigentlich so da die Witzelei über den Propheten nicht so gern gesehen?
Kesmen: Ja also als Witzelei kann man das natürlich auch nicht betrachten. Ja, das, was wir tun, also wir haben natürlich humoristische Ansätze, aber die Ernsthaftigkeit ist natürlich immer noch gegeben. Das hat eher was damit zu tun, dass zum Beispiel in Saudi-Arabien natürlich eine extrem konservative Auslegung des Islams herrscht, und dass die natürlich halt sagen, okay, Streetware ist nicht der Stil des Propheten und das gehört hier nicht hin. Das ist halt, aber das hat einfach was mit dieser erzkonservativen Haltung zu tun, die aber auf keinen Fall die breite Masse der Muslime widerspiegelt.
Heise: Das heißt, Sie bekommen aber da durchaus auch negative Reaktionen?
Kesmen: Ja, aber es sind eher so sag ich mal die Funktionäre und die Leute am Zoll und die Beamten und so weiter. Also das sind die, das normale Volk und besonders die Jugendlichen auch gerade in den arabischen Ländern, die fahren natürlich total auf Styleislam ab.
Heise: Gab es eigentlich einen Slogan oder vielleicht auch mehrere, die Sie gerne auf ein T-Shirt gedruckt hätten, aber wo Sie gedacht haben, nein, das mache ich doch besser nicht, da könnte sich jemand auf den Fuß getreten fühlen?
Kesmen: Ja, ich würde sehr, sehr gerne mit dem Wort Dschihad arbeiten, aber mir ist bewusst, dass dieses Wort leider so missverstanden ist, dass das echt eine echte, echte Herausforderung ist. Das Wort Dschihad heißt eigentlich alles andere als heiliger Krieg, weil kein Krieg ist heilig, vor allem nicht im islamischen Sinne, und das Wort Dschihad bedeutet zum Beispiel die Anstrengung und in erster Linie die innere Anstrengung. Und das wäre zum Beispiel eine Herausforderung. Aber ich ... Ehrlich gesagt, ich habe noch keinen guten und kreativen Weg gefunden bisher, das unmissverständlich zu transportieren.
Heise: Na ja gut, Sie können ja noch ein paar Jahre weitermachen. Es gab ja schon einen ziemlichen Rummel um Ihre Person. Ich habe ja schon erwähnt, "New York Times", El-Dschasira. Bei der Initiative des Berliner Senats, Junge muslimische Stimmen im Dialog, da sind Sie aufgetreten. Wie fühlt man sich denn so in der Rolle als Botschafter?
Kesmen: Ja also, auch das ist natürlich für mich so eine Sache gewesen, mit der ich überhaupt nicht gerechnet habe, dass man irgendwie, irgendwann eine Vorbildfunktion für jüngere Muslime vor allem dann auch bekommt. Man ist da quasi reingewachsen. Und jetzt merke ich aber auch die Notwendigkeit, dass besonders junge Muslime sehen: Aha, Religiosität und weltlicher Erfolg kann Hand in Hand gehen, also das kann, das funktioniert.
Heise: Ist das Ihre Auslegung von modernem Islam?
Kesmen: Ja also, das ist eigentlich die Kernbotschaft des Islams. Moderner Islam, das ist ja auch wieder so eine Begrifflichkeit, mit der ich nicht sehr viel anfangen kann, aber das ist eigentlich so die Ursprungsbotschaft des Islams.
Heise: Sie haben von den jungen Frauen erzählt, die Kopftuch tragen und gleichzeitig auch Ihre T-Shirts. Kopftuch, das ist ja für viele eigentlich ein gegenteiliges Symbol von modernem Islam, ist ja eigentlich für viele die rückwärtsgewandte Religionsauslegung. Was sagen Sie denen?
Kesmen: Ja also das ... Natürlich wird dieses Thema um den Islam und das Kopftuch extrem polarisierend, und die Sache, ja ich sag mal, die ist halt recht unangenehm mittlerweile. Also wir haben ein Dutzend Freundinnen, die halt Akademikerinnen sind, die studiert sind, mit beiden Beinen voll im Leben stecken, super integriert, also integriert geht es gar nicht, und diese Fakten sprechen für mich. Und alles andere, was dann so polemisch halt durch die Medien und durch die politische Landschaft geht, das ist halt mehr oder weniger ein Kasperletheater.
Heise: Bedrucken Sie auch Kopftücher?
Kesmen: Ja also wir arbeiten daran, dass wir quasi halt .. Aber das nicht eben aus der ... Dort ist halt nicht die Message im Vordergrund, sondern die Ästhetik. Weil, ich meine, das Tuch selber ist ... Das Tuch ist das Tuch, sag ich mal, und da treten wir natürlich als Designer in den Vordergrund.
Heise: Und nicht mit einer Botschaft.
Kesmen: Richtig.
Heise: Da ist das Tuch die Botschaft vielleicht selbst und die Trägerin.
Kesmen: Ja, vielleicht!
Heise: Streetware-Label Styleislam, der Begründer und Betreiber Melih Kesmen, ich danke Ihnen recht herzlich, Herr Kesmen!
Kesmen: Keine Ursache!
Melih Kesmen: Hallo und guten Tag!
Heise: "I love my prophet" auf einem T-Shirt. Braucht der Prophet Promotion oder warum machen Sie das?
Kesmen: Also der Prophet als Mensch braucht mit Sicherheit keine Promotion, aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Kernbotschaft des Islams eine Promotion braucht. Denn hier in dieser Gesellschaft im Westen hat die Mehrheitsgesellschaft tatsächlich ein ganz, ganz bizarres und verzerrtes Bild vom Islam, und das hat natürlich nicht zuletzt was damit zu tun, dass Muslime teilweise natürlich auch echt schlechte Repräsentanten sind.
Heise: Was war der persönliche Anlass für sie so ein Label zu gründen und mit T-Shirts solche Botschaften zu verkaufen?
Kesmen: Der eigentliche Auslöser, das waren die Mohamed-Karikaturen 2005, die in Dänemark veröffentlicht worden sind. Und da gab es auf der einen Seite diese Karikaturen, die die Welt nicht gebraucht hat, und auf der anderen Seite die Muslime, die ja dann total ausgeflippt sind, Botschaften angezündet und Flaggen verbrannt und so. Und ich hing dazwischen und hab mir gedacht, so das kann es nicht sein! Und habe mir dann halt quasi das, was ich in dem Moment empfunden habe, auf die Brust gepackt, und das waren halt eben diese vier Worte, "I love my prophet", und bin auf die Straße gegangen. Und in dieser Zeit habe ich halt in London gelebt, und dann haben sich tatsächlich über den Tag einige gute Gespräche ergeben, die mich dann ...
Heise: ... das heißt, Sie sind wirklich darauf angesprochen worden und es hat sich dann ein Austausch ergeben dadurch ...
Kesmen: ... natürlich, weil ja gerade auch zu dieser Zeit die Menschen eben durch die Medien und so weiter und so fort mit diesem Thema beschäftigt waren, waren die halt umso aufmerksamer. Und wenn dann gerade jemand halt eben mit "I love my prophet" durch die Straßen läuft, dann ist das schon was ganz anderes, ist eben schon, gibt ein ganz anderes Bild schon mal ab ...
Heise: ... na hätte ja auch als Provokation aufgefasst werden können ...
Kesmen: ... ja also wie gesagt, die meisten haben schon verstanden, worum es ging. Und es sind halt sehr, sehr schöne Gespräche zustande gekommen und plötzlich haben sich da natürlich Tausende von Türen in meinem Kopf geöffnet, dass ich auch in meinem kleinen Radius Einfluss haben kann.
Heise: Es hat ja in den Jahren seit dem 11. September 2001 einen drastischen ich nenn es jetzt mal Klimawandel gegenüber Muslimen gegeben. Wie haben Sie den eigentlich erlebt? Ich meine, 2005, haben Sie gesagt, kamen Sie ins Gespräch, aber wie haben Sie es davor empfunden?
Kesmen: Ja also, für mich war es natürlich auch drastisch, wirklich drastisch, weil zu der Zeit haben wir halt geheiratet, meine Frau und ich haben eine Asienreise gemacht, sind zurückgekommen, und – das war zwei Tage nach dem 11. September – und wir haben natürlich unsere Nachbarn, die Menschen um uns ganz, ganz anders aufgefunden. Denn wir haben plötzlich, urplötzlich von einem Tag auf den anderen in das Schläferprofil gepasst! Die netten, muslimischen jungen Menschen, lebensfroh, gehen ihrem Leben nach, könnten aber auch versteckte Terroristen sein!
Heise: Gab es denn Gespräche damals oder hat man sich da eigentlich mehr entfernt voneinander?
Kesmen: Ja teilweise. Hängt ja auch immer mit den Leuten ab, wie gut man natürlich mit ihnen steht. Also wir haben natürlich das Gespräch sehr oft gesucht und manchmal wurden wir angesprochen, hing immer natürlich immer davon ab, wie gut man die Leute auch kannte. Aber die Blicke in der Öffentlichkeit, die haben dann auch schon teilweise für sich gesprochen.
Heise: Also all das zusammen gab Ihnen dann ja so eigentlich den Gedanken, ich muss was tun, ich kann aber auch was tun. In den 1960er-Jahren, da gab es ja dauernd Botschaften auf der Kleidung, auf T-Shirts vor allem, gerade auch politische Botschaften. Würden Sie sagen, dass Mode mit politisch-gesellschaftlicher Aussage wieder in ist?
Kesmen: Ob das jetzt generell in ist, kann ich natürlich nichts zu sagen. Ich kann nur so viel sagen, dass das, was wir tun, einen gewissen Effekt hat und auch einiges ausgelöst hat vor allem bei den Jugendlichen. Und da kann ich wohl behaupten, dass das halt ja schon seine Wellen geschlagen hat.
Heise: Das heißt, Sie würden eben wirklich sagen, mit so einem Slogan auf dem T-Shirt kann man aufklären, das ist nicht nur ein cooles T-Shirt?
Kesmen: Auf keinen Fall. Also das Ding ist, so jetzt Jahre später, es geht gar nicht um die T-Shirts. Wir hätten auch genau so Dachziegel oder Autoreifen produzieren können, solange das halt sag ich mal diese gewisse Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte und wir dadurch in diese gewissen Gespräche kommen würden. Dann wär das eigentlich total egal, was wir tun. Aber wir kommen natürlich aus der urbanen Streetware-Ecke. Also ich selber war Graffitisprüher und habe seinerzeit auch Hip-Hop gemacht und so weiter und so fort, und das war natürlich der Grund.
Heise: Na und mit T-Shirts kommen Sie natürlich schon mit anderen Leuten ins Gespräch als mit Dachziegelverkauf, öffnet sich jetzt natürlich eine ganz andere, viel jugendlichere Klientel ...
Kesmen: ... natürlich, natürlich ...
Heise: ... die Sie auch erreichen wollen.
Kesmen: Genau. Aber die T-Shirts sind tatsächlich nur auch eine Brücke in dem Sinne.
Heise: Deutschlandradio Kultur, Melih Kesmen ist mein Gesprächspartner, der Betreiber des Streetware-Labels Styleislam. Herr Kesmen, wer kauft denn jetzt Ihre Kleidung und zu welchem Zweck? Oder ist da überhaupt ein Zweck mit verbunden oder einfach nur chic sein?
Kesmen: Also zusammenfassen würde ich unsere Zielgruppe zwischen 18 und 35 Jahre alten Menschen. Bewusst lebende Muslime machen 75 Prozent unserer Kundschaft aus, die restlichen 25 sind tatsächlich nicht Muslime, das hat sich so halt herauskristallisiert, weil viele wertschätzen tatsächlich die universellen Botschaften, die es eben bei Styleislam gibt, aber auch die Produkt, die dann halt nicht direkt islamisch sind, sondern halt einfach nur ja einen gewissen Anspruch an Ästhetik und Kreativität eben aufweisen.
Heise: Trägt zum Beispiel eine junge Muslima Ihr T-Shirt oder ein T-Shirt von Ihnen mit so einem Aufdruck, und oben drüber ein Kopftuch?
Kesmen: Ja, das kommt öfter vor. Also Kopftuchträgerinnen gehören natürlich auch mit zu unserer Zielgruppe. Auch gerade diese Menschen, von denen bekommen wir dann halt ihr Feedback, wenn sie dann damit zur Arbeit gehen oder zur Uni, zur Schule und so weiter und so fort, das sind ja genau die Orte, wo dann eben diese Gespräche stattfinden.
Heise: Und wie sind die Reaktionen auf so ein Outfit?
Kesmen: Ja also zu 90 Prozent positiv, weil die Träger ja eben diese Sache bewusst tragen und auch das Gespräch suchen. Weil den meisten unserer Kunden ist schon bewusst, dass da ein Riesengesprächsbedarf in dieser Gesellschaft herrscht.
Heise: Das heißt, es ist auch noch nicht vorgekommen, dass irgendjemand, also ein nicht muslimischer Kunde oder Betrachter des T-Shirts hinter diesem coolen Bild irgendwie eine islamische Parole vermutet, also dass das genau falsch rum verstanden wird?
Kesmen: Diese Vorwürfe haben wir natürlich auch des Öfteren bekommen. Ja, wir kriegen auch immer wieder Briefe, Anrufe und so weiter und so fort von Leuten, die meinen, uns entlarvt zu haben, dass wir halt quasi durch die Hintertür Deutschland islamisieren und so, was ja echt also mehr als lustig ist. Erstens würden wir uns die Botschaften nicht auf die Brust packen, wenn wir irgendetwas durch die Hintertür machen wollen, und zweitens, wer will hier was islamisieren? Deutschland ist meine Heimat, ich will ein buntes Miteinander, und also das sind echt Paranoia und die hat man natürlich.
Heise: Apropos buntes Miteinander, wie sind denn die Reaktionen in der Türkei oder im Nahen Osten? Sie haben ja auch Filialen oder beziehungsweise auch dort werden Ihre T-Shirts getragen ... Wird doch eigentlich so da die Witzelei über den Propheten nicht so gern gesehen?
Kesmen: Ja also als Witzelei kann man das natürlich auch nicht betrachten. Ja, das, was wir tun, also wir haben natürlich humoristische Ansätze, aber die Ernsthaftigkeit ist natürlich immer noch gegeben. Das hat eher was damit zu tun, dass zum Beispiel in Saudi-Arabien natürlich eine extrem konservative Auslegung des Islams herrscht, und dass die natürlich halt sagen, okay, Streetware ist nicht der Stil des Propheten und das gehört hier nicht hin. Das ist halt, aber das hat einfach was mit dieser erzkonservativen Haltung zu tun, die aber auf keinen Fall die breite Masse der Muslime widerspiegelt.
Heise: Das heißt, Sie bekommen aber da durchaus auch negative Reaktionen?
Kesmen: Ja, aber es sind eher so sag ich mal die Funktionäre und die Leute am Zoll und die Beamten und so weiter. Also das sind die, das normale Volk und besonders die Jugendlichen auch gerade in den arabischen Ländern, die fahren natürlich total auf Styleislam ab.
Heise: Gab es eigentlich einen Slogan oder vielleicht auch mehrere, die Sie gerne auf ein T-Shirt gedruckt hätten, aber wo Sie gedacht haben, nein, das mache ich doch besser nicht, da könnte sich jemand auf den Fuß getreten fühlen?
Kesmen: Ja, ich würde sehr, sehr gerne mit dem Wort Dschihad arbeiten, aber mir ist bewusst, dass dieses Wort leider so missverstanden ist, dass das echt eine echte, echte Herausforderung ist. Das Wort Dschihad heißt eigentlich alles andere als heiliger Krieg, weil kein Krieg ist heilig, vor allem nicht im islamischen Sinne, und das Wort Dschihad bedeutet zum Beispiel die Anstrengung und in erster Linie die innere Anstrengung. Und das wäre zum Beispiel eine Herausforderung. Aber ich ... Ehrlich gesagt, ich habe noch keinen guten und kreativen Weg gefunden bisher, das unmissverständlich zu transportieren.
Heise: Na ja gut, Sie können ja noch ein paar Jahre weitermachen. Es gab ja schon einen ziemlichen Rummel um Ihre Person. Ich habe ja schon erwähnt, "New York Times", El-Dschasira. Bei der Initiative des Berliner Senats, Junge muslimische Stimmen im Dialog, da sind Sie aufgetreten. Wie fühlt man sich denn so in der Rolle als Botschafter?
Kesmen: Ja also, auch das ist natürlich für mich so eine Sache gewesen, mit der ich überhaupt nicht gerechnet habe, dass man irgendwie, irgendwann eine Vorbildfunktion für jüngere Muslime vor allem dann auch bekommt. Man ist da quasi reingewachsen. Und jetzt merke ich aber auch die Notwendigkeit, dass besonders junge Muslime sehen: Aha, Religiosität und weltlicher Erfolg kann Hand in Hand gehen, also das kann, das funktioniert.
Heise: Ist das Ihre Auslegung von modernem Islam?
Kesmen: Ja also, das ist eigentlich die Kernbotschaft des Islams. Moderner Islam, das ist ja auch wieder so eine Begrifflichkeit, mit der ich nicht sehr viel anfangen kann, aber das ist eigentlich so die Ursprungsbotschaft des Islams.
Heise: Sie haben von den jungen Frauen erzählt, die Kopftuch tragen und gleichzeitig auch Ihre T-Shirts. Kopftuch, das ist ja für viele eigentlich ein gegenteiliges Symbol von modernem Islam, ist ja eigentlich für viele die rückwärtsgewandte Religionsauslegung. Was sagen Sie denen?
Kesmen: Ja also das ... Natürlich wird dieses Thema um den Islam und das Kopftuch extrem polarisierend, und die Sache, ja ich sag mal, die ist halt recht unangenehm mittlerweile. Also wir haben ein Dutzend Freundinnen, die halt Akademikerinnen sind, die studiert sind, mit beiden Beinen voll im Leben stecken, super integriert, also integriert geht es gar nicht, und diese Fakten sprechen für mich. Und alles andere, was dann so polemisch halt durch die Medien und durch die politische Landschaft geht, das ist halt mehr oder weniger ein Kasperletheater.
Heise: Bedrucken Sie auch Kopftücher?
Kesmen: Ja also wir arbeiten daran, dass wir quasi halt .. Aber das nicht eben aus der ... Dort ist halt nicht die Message im Vordergrund, sondern die Ästhetik. Weil, ich meine, das Tuch selber ist ... Das Tuch ist das Tuch, sag ich mal, und da treten wir natürlich als Designer in den Vordergrund.
Heise: Und nicht mit einer Botschaft.
Kesmen: Richtig.
Heise: Da ist das Tuch die Botschaft vielleicht selbst und die Trägerin.
Kesmen: Ja, vielleicht!
Heise: Streetware-Label Styleislam, der Begründer und Betreiber Melih Kesmen, ich danke Ihnen recht herzlich, Herr Kesmen!
Kesmen: Keine Ursache!