Rem Koolhaas: "Delirious New York - Ein retroaktives Manifest für Manhattan"
Verlag arch+, Berlin 2006
328 Seiten, 25 Euro
Gregor Hens empfiehlt "Delirious New York" von Rem Koolhaas
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Gregor Hens schenkt das Buch von 1978, das New York noch als Sehnsuchtsort und Ort der Unschuld zeichnet, seiner gerade mal zweijährigen Tochter und hofft, dass es ihr eines Tages in die Hände fällt und es dann wie eine Zeitkapsel funktioniert.
Koolhaas nennt sein Buch über New York ein retroaktives Manifest. Er analysiert die Stadt rückwärts. Er skizziert die Geschichte ihrer Idee und formuliert das Programm, das der Stadt mit all ihren Widersprüchen zugrundeliegt. Das Buch war, als es 1978 erschien, eine Provokation.
Stadt war ein Festplatz des Irrationalen
Für mich ist "Delirious New York" eine Art Zeitkapsel. Die Stadt war damals noch ein Sehnsuchtsort und ein Ort der Unschuld. Man konnte – vor allem als Europäer – Manhattan mit seinen endlosen Staus, seinen gehetzten Menschen, dem Schmutz, den dampfenden Gullideckeln und den hässlichen Wolkenkratzern ohne jeden Hintergedanken bestaunen – und auch interpretieren.
Es war die Zeit der urbanen Mythen. Man erzählte sich, dass in der Kanalisation Krokodile lebten, die Stadt war ein Festplatz des Irrationalen. Heute ist Manhattan effizient und sauber und sicher, wo früher das World Trade Center stand, steht heute eine Festung, auf der High Line kann man flanieren.
Koolhaas' Manifest entspringt dem Fantastischen. Er beschreibt Manhattan als Unmöglichkeit, eine alternative Realität, die tatsächlich Stein geworden ist. Man kann das Buch aufschlagen und die Pläne herausziehen, die dem Wahnsinn des 20. Jahrhunderts zugrundeliegen, unter dessen Folgen wir heute leiden.
Zeitkapsel in einer weiteren Zeitkapsel
Ich schenke das Buch meiner Tochter, die gerade zwei Jahre alt geworden ist. Wenn es ihr eines Tages in die Hände fällt, ist es eine Zeitkapsel, in der eine weitere Zeitkapsel steckt. Ich glaube, dass wir in zwanzig Jahren nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit nach New York reisen werden wie heute. Es ist wichtig, dass sie versteht, welche Bedeutung Manhattan für das Weltverständnis meiner Generation hatte. Denn die Mythen ihrer Generation werden andere sein.