Amsterdam hat sie alle
Eine sensationelle Übersicht der letzten Schaffensphase Rembrandts mit rund 100 Gemälden, Zeichnungen und Radierungen hat das Reichsmuseum Amsterdam zusammengetragen. Technisch freier und emotional tiefer sind die Meisterwerke aus jener Zeit.
Endlich ist es so weit – nach Vorbereitungen, die fast zehn Jahre gedauert haben. Wim Pijbes, Direktor des Amsterdamer Reichsmuseums, sparte bei der Pressekonferenz nicht mit Superlativen:
"Was Sie hier zu sehen bekommen, sucht seinesgleichen: Es ist nicht nur die Ausstellung des Jahres, es ist vielleicht die Beste, die Sie jemals in Ihrem Leben zu sehen bekommen",
sagte der sonst so nüchterne Niederländer und vergaß seine calvinistische Zurückhaltung
Große Worte. Aber wer die Schau gesehen hat, kommt nicht umhin, ihm Recht zu geben. Schon alleine deswegen, weil es den Amsterdamern gelungen ist, wirklich lückenlos sämtliche Meisterwerke zusammenzubringen, die Rembrandt in den 18 Jahren vor seinem Tod geschaffen hat – ein jedes ein Hauptwerk der Kunstgeschichte, so Kurator Gregor Weber:
"Es ist noch nie gelungen, eine Ausstellung zu machen über das Spätwerk von Rembrandt, über die letzten 18 Jahre seines Lebens, wo sich sein Stil wirklich messbar ändert, wo er viel viel freier in der Technik wird und viel viel emotioneller in seinen Themen. Es ist geglückt, für diese Ausstellung 37 Gemälde aus aller Welt zusammenzubekommen. Soviel, das ist atemberaubend! Dazu noch Zeichnungen und Druckgrafik."
London musste auf vier Schlüsselwerke verzichten. Amsterdam aber hat sie alle. Auch das Porträt von Jan Six, dem Freund und Mäzen Rembrandts. Herausfordernd sieht er den Betrachter an, der rotorangeschimmernde Reitermantel hängt lässig über seiner Schulter. Seit 400 Jahren befindet sich dieses Bild in Familienbesitz in der Villa Six an der Amstel. Ausgeliehen wird es so gut wie nie. Doch für diese Ausstellung hat Jan Six X. – seit 400 Jahren heißen alle erstgeborenen Söhne Jan – eine Ausnahme gemacht.
Feuerwerk an Rot- und Goldtönen
Die Schau ist nicht chronologisch eingeteilt, sondern in Themenbereiche wie Innere Konflikte, Licht oder Intimität. In diesen Bereich fällt das bezaubernde "Familienbildnis" aus Braunschweig. Erstmals seit 70 Jahren ist es wieder auf Reisen gegangen und hängt nun neben der berühmten "Judenbraut". Zusammen sorgen sie für ein Feuerwerk an leuchtenden Rot- und Goldtönen, die Rembrandt mit unglaublich losem Pinselstrich auf der Leinwand festgehalten hat. Kühn, frei, pastos – und seiner Zeit weit voraus, so Kurator Weber:
"Wenn man das sieht, könnte man meinen, das ist ein Gemälde von Mark Rothko und Jackson Pollock zusammen, so frei, so grandios geht der mit Farbe um. Er setzt sie auf die Leinwand mit einer Art Kelle, wie eine Maurerkelle, das ist ein Palettenmesser, so heißt das, und modelliert quasi damit die Pastosität der Farbe. Also, Rembrandt geht technisch wirklich so weit, wie es kein anderer Künstler in seiner Zeit und auch noch lange lange danach nicht getan hat."
Was diese Experimentierlust ausgelöst hat, darüber gibt es nur Vermutungen. Der Wandel setzt bereits 1642 ein, nach der Vollendung der "Nachtwache". Kurz zuvor ist Saskia gestorben, seine erste Frau. Auf einmal drosselt Rembrandt seine Produktion:
"Man könnte es nennen ein Burn-out. Denn die Nachtwache ist wirklich ein kolossales Bild, wo er alles dran gesetzt hat, um alles zeigen zu können, was er kann, und danach kommt eben eine Phase der Besinnung, der Suche. Und dann eben, zehn Jahre später, ist er wieder mit dabei und kommt mit dieser neuartigen Malerei. Er erfindet sich noch einmal neu."
Und das, obwohl es das Schicksal nicht mehr gut mit ihm meint: Er muss bankrott anmelden, verliert seine zweite große Liebe Hendrickje Stoffels und ein Jahr vor seinem eigenen Tod auch seinen Sohn Titus.
Schicksalsschläge, die zu Verinnerlichung führen, zu großer emotionaler Tiefe. So wie auf seinem letzten Selbstbildnis. Schonungslos realistisch hat sich Rembrandt dargestellt. Mit dünnem Haar, Pigmentflecken und vielen Falten. Die Augen aber, die sind wachsam. Und wie so oft bei seinen Werken beschleicht den Betrachter das Gefühl, dass nicht er es ist, der hier guckt und beobachtet. Sondern, dass er beobachtet wird. In diesem Falle von Rembrandt selbst: Forschend schaut der alte Mann uns an. Vom Leben gezeichnet. Geläutert.