Renaissance

Der Melancholiker Gottes

Von Rainer Berthold Schossig |
Der italienische Bildhauer und Maler Michelangelo Buonarroti gilt bis heute als der berühmteste abendländische Künstler. Dabei befürchtete der Erschaffer des Deckengemäldes in der Sixtinischen Kapelle zeitlebens, sein Werk würde in Vergessenheit geraten. Vor 450 Jahren starb der unnahbare und melancholische Künstler in Rom.
"Schon angelangt ist meines Lebens Fahrt ... Verliebtes Denken, einstens froh und leer, was ist mir‘s jetzt vor zweien Toden wert? Des einen bin ich sicher: Einer droht. Malen und Bilden stillt jetzt längst nicht mehr die Seele."
So schwermütig besang Michelangelo Buonarroti in einem späten Sonett seinen bevorstehenden doppelten Tod: Er würde sterben und mit ihm sein Werk. Welch ein Irrtum! Michelangelo gilt bis heute als der berühmteste abendländische Künstler. Er starb vereinsamt, am 18. Februar 1564 in Rom.
"Ich überlasse meine Seele Gott, meinen Körper der Erde und meine irdische Habe meinen nächsten Verwandten."
Oberster Architekt des Vatikans
Und Michelangelos irdische Habe war beträchtlich: Sein Lohn allein für die Sixtinischen Deckenfresken betrug umgerechnet circa 300.000 Euro. Auch das monumentale Juliusgrab sowie das Riesenwandbild des "Jüngsten Gerichts" brachten ihm Ruhm - und Reichtum. Der 1475 in der Provinz Arezzo geborene und in Florenz aufgewachsene Michelangelo machte in Rom sein Glück. Mit 60 Jahren wurde er zum obersten Architekten, Bildhauer und Maler des Vatikans erhoben. Seine letzte Ruhestätte aber fand er in der Kirche Santa Croce in Florenz.
Schon Michelangelos Zeitgenossen rätselten, warum er trotz seiner glänzenden Erfolge so melancholisch und unnahbar war. War es Hochmut und Hybris oder typisch für einen Renaissancekünstler? In vielen seiner Menschenbilder zeigt sich die Haltung des zurückgezogenen Beobachters. Seine Einsamkeit war ihm Fluch und Segen.
Trotzig stellt er sich den Beschwernissen der Ausmalung der Sixtinischen Kapelle, ein Auftrag Papst Julius II.: Jahrelange Arbeit auf schwankendem Gerüst, oft in Rückenlage, wobei ihm Farbe, Pigment und Kalk ins Gesicht rieseln.
"Ich … habe seit nun schon einem Jahr keinen Heller mehr vom Papst bekommen; ich bitte ihn auch um nichts, denn meine Arbeit geht nicht so voran, dass ich etwas beanspruchen dürfte. Die Arbeit ist eben schwierig und schlägt dazu nicht in mein Fach,"
schreibt er1509 an seinen Vater. Und doch entsteht in der Sixtina Michelangelos "Himmel auf Erden": 1512 werden die über 300 Bilder feierlich enthüllt.
Unvollendetes Spätwerk
Seine Liebe gilt der Bildhauerei, der er sich mit verbissener Energie zeitlebens widmet; er reist persönlich in die Marmorbrüche von Carrara, er schlägt sich mit korrupten Händlern und Kutschern herum und baut sogar Straßen zum Transport der riesigen Steine. Die Werke des alternden Künstlers scheinen zum großen Teil dann im Marmor zu verharren. Gottfried Benn beschrieb 1954 Michelangelos Spät-Stil des Unvollendeten:
"Ein Sonderfall ist seine Pietá Rondanini, die er mit 89 Jahren schuf, aber nicht vollendete, … und die Hände sinken ließ. Das sind schwerwiegende Worte, und wir beziehen sie auf einen Mann, … dessen Ruhm zu den Meridianen unserer Erde gehört."
Michelangelo wendet sich verstärkt der Dichtung und Disputation über Kunst zu. Eine Reihe von Sonettenwidmet er der römischen Humanistin Vittoria Colonna. Als sie 1547 stirbt, ist er untröstlich:
"Fort hätt ich müssen, da noch ganz besonnt die Anhöh‘ war von Phoebus schönen Gluten! Nun schwand er hin, und weil ich das Entgehn der frohen Zeit umsonst mir sanfter dachte, geschieht's mir recht, wenn ich die Hingebrachte verlor, um zu des Himmels Tor zu sehen!"
Michelangelo blieben noch sieben Schaffensjahre, in denen der Bildhauer sich mit dem größten Projekt seiner Zeit herumschlug, dem Entwurf und der Errichtung des neuen Petersdoms. Seine Pietá-Skulpturen gehören in ihrer stillen, tastenden Unvollendetheit zum Ergreifendsten im Alterswerk Michelangelo Buonarrotis.
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