Wo die Vögel brüten und die Fische beißen
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In den Havelauen leben viele vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Seit 2005 werden alte Dämme beseitigt und hektarweise Auenwald angepflanzt – zur Freude der Natur, der Fischer und auch der Touristen.
"Fische fangen wir hauptsächlich Brassen, Plötzen, Hechte, Schleie, Barsch, Aal auch, ein bisschen Zander auch noch und Wels vor allen Dingen. Der kommt immer mehr", sagt der Fischer Wolfgang Schröder. "Flusskilometer – das sind jetzt hier auf der Havel, glaube ich, zehn oder zwölf. Ich kann es nicht genau sagen, dann habe ich noch die Elbe und den Hohennauener See und den Gülper See, die ich bewirtschafte. Das ist eine große Fläche, man muss viel umherfahren."
Wolfgang Schröder ist Fischer in vierter Generation. Gleich hinter der Haustür seines Hofes in Havelaue hat er sein Boot auf dem Fluss liegen. Am denkmalgeschützten Wehr Garz vorbei, einem der letzten Nadelwehre Europas, nimmt er Kurs auf Havelberg. Das Städtchen liegt schon jenseits der Landesgrenze in Sachsen-Anhalt.
Ruhig fließt die Havel durch das flache Land im äußersten Westen Brandenburgs. Schilf raschelt in einer sanften Briese. An sandigen Uferbuchten sind Wasservögel auf Futtersuche, Kiebitze und die seltenen Trauerseeschwalben brüten hier, Libellen schwirren durchs Schilf und die Hechte beißen fast schneller, als man die Angel auswerfen kann.
Kinderstube für Jungfische
Seit fast 15 Jahren befreit der NABU hier, im Naturpark Westhavelland, auf 90 Flusskilometern die Sandufer der Unteren Havel von Steinen und schließt Altarme wieder an den Hauptstrom an.
"Das ist ein Altarmanschluss. Da oben fließt es rein, hier unten kommt es raus. Der ist ganz frisch. Hier auf der Karte gut zu sehen, vorher ist hier Land gewesen. Das wurde ordentlich durchgebrochen. Da oben ist alles verlandet gewesen, das ist auch durchgebaggert worden und jetzt ist hier wieder ein Flusslauf entstanden."
Das Havelwasser durchströme wieder die alten Flussarme, erklärt Rocco Buchta vom NABU. Er sitzt mit einer in Plastik eingeschweißten Karte des Projektes mit im Boot. Das Havelwasser fließe bei Hochwasser in die Wiesen und diene dort als seichte, warme Kinderstube für Jungfische, die dann nicht hinter Uferbefestigungen gefangen sind und vom Kormoran oder Reiher gefressen werden.
"Und das Fließen bringt Sauerstoff mit sich und das bringt mit sich, dass Nährstoff aus dem Havelwasser in die Wiesen fließen. Und das wiederum bringt mit sich, dass das Havelwasser sauberer wird. Die Nährstoffe in der Wiese führen dazu, dass das Gras gut wüchsig ist, also es ist eine bessere Futterqualität, der Landwirt hat wieder was davon. Können wir mal kurz anhalten hier? Also das hier ist ein solches Uferdeckwerk, was im letzten Jahr zurückgebaut wurde. Ich muss mir mal ganz kurz hier unter Wasser einen Blick verschaffen, Wolfgang."
Verbesserung gegenüber DDR-Zeiten
Wenn die Ufersteine abgeräumt sind, dann kann der Fischnachwuchs mit dem ablaufenden Hochwasser wieder in die Havel zurück gelangen, erklärt der Mann vom NABU.
"Machen wir uns nichts vor: Die großen Hochwasser, die es hier früher gab, die kann das nicht ersetzen, wo das Wasser bis kurz vor Berlin strömte. Das waren riesige Wasserflächen, da kamen natürlich auch viel mehr Fische. Aber es ist eine Verbesserung gegenüber dem Zustand, den wir zu Ende der DDR hatten."
Fischer Wolfgang Schröder ist denn auch ein Befürworter der Renaturierung der ersten Stunde.
"Der Fischbestand an sich muss sich erst mal auf die Renaturierung einstellen, das wird aber. Mir geht das eigentlich nicht weit genug. Der Rocco muss mich immer ausbremsen, weil ich sage: Für die Fischerei ist das, was wir jetzt machen, eigentlich so wie wenn ein Lauflahmer eine Krücke kriegt und kann dann wieder einigermaßen."
Denn einst umfasste die Untere Havelniederung ungefähr 500.000 Hektar. Die Ausläufer dieses riesigen Feuchtgebietes reichten bis vor die Tore Berlins. Bei Hochwasser war alles Land zwischen Elbe und Havel komplett überflutet, erzählt Rocco Buchta, während das Boot langsam weiter durch die Auen tuckert. Doch dann rückten Preußens Könige dem Haveldelta mit Dämmen, Stauwehren und Kanälen zu Leibe, um Grünland zu gewinnen.
"Das war der erste große Schlag, der an den Strömen Preußens geführt wurde, aber auch anderer deutscher Staaten wie dem Rhein zum Beispiel. Das führt aber dazu, dass bei Hochwasser der Querschnitt etwas eingeengt war und natürlich das Hochwasser noch schlechter abfloss als das schon vorher der Fall war."
Kleine, lauschige Buchten
Heute seien von der Auenlandschaft kurz vor der Havelmündung noch etwa 150.000 Hektar übrig, erzählt Buchta:
"Das ist nur noch ein gutes Drittel, aber dieses Drittel, was übrig ist, hat mit über 1100 vom Aussterben bedrohten Arten die größte Schutzwürdigkeit, die ein Feuchtgebiet in Deutschland, wohlgemerkt im Binnenland, überhaupt haben kann."
Zu DDR-Zeiten war der Fluss hier dreckig und eine wichtige Industriewasserstraße. Mittlerweile kann man in der Havel wieder baden und an den renaturierten Ufern finden sich dafür jede Menge kleine, lauschige Buchten.
"Jetzt fahren wir in so einen kleinen Altarm rein, der hier angeschlossen wurde, um Ihnen mal zu zeigen, wie das nach einem Altarmanschluss dann aussieht. Hier vorne im Mündungsbereich ist zum Beispiel alles sehr sandig und flach. Am letzten Wochenende zum Beispiel oder zu Pfingsten, da habe ich keine einzige solche Stelle gesehen, wo nicht irgendeine Familie gesessen hat mit Campingstuhl und mit Angel und dann wurde gebadet."
Knapp 20.000 Hektar umfasst das Projektgebiet zwischen Pritzerbe in Brandenburg und Havelberg in Sachsen-Anhalt. Fast 30 Kilometer Uferbefestigungen baut der NABU hier zurück: Zwei Deiche werden weichen; 34 verlandete und verschlammte Altarme werden wieder an die Havel angeschlossen; fast 150 Hektar Auenwald werden neu angepflanzt. Letztere Maßnahme dient neben dem Arten- auch dem Hochwasserschutz. Es ist ein Millionen teures Mammutprojekt, das hauptsächlich das Bundesamt für Naturschutz finanziert, aber anteilig auch die Länder Sachsen-Anhalt und Brandenburg.
Das Havelland birgt einen Schatz
"Eigentlich war relativ schnell klar, schon in den 90er-Jahren, dass das restliche Havelland eigentlich einen Schatz birgt, nämlich die Möglichkeit, dort eine Auenlandschaft relativ intakt wiederherzustellen", sagt Jens-Uwe Schade, Sprecher des SPD-Umweltministeriums in Potsdam.
Brandenburg kann auch den einzigen Auennationalpark in Deutschland sein eigen nennen: Das Untere Odertal im Nordosten des Landes. Schade betrachtet die Havelniederung ganz im Westen als schöne Ergänzung:
"Da sind eben sehr viele kleine Gewässer, die teilweise aber auch wiederangeschlossen werden müssen. Man kann im Grunde genommen so ein vielfältiges Delta bilden. Und gerade in heutiger Zeit, wo es drauf ankommt, dass wir uns so viel mehr mit dem Oberflächengewässer beschäftigen müssen, auch aus Gründen des Klimawandels, um lokal erstens Wasser überhaupt verfügbar zu haben, aber auch natürlich mit Blick auf die Artenvielfalt. Und in der Folge im Rucksack immer all dessen sind Landwirtschaft und Tourismus."
Lokalpolitiker und Unternehmer im Havelland fürchteten aber zunächst, dass der Naturpark abgeschottet wird, kein Tourismus mehr möglich sein wird, weil Schifffahrt und Baden verboten werden. Als Kompromiss ist die Havel hier Bundeswasserstraße geblieben. Touristen können die idyllische Auenlandschaft am besten vom Bungalowboot aus genießen, lockt Projektleiter Rocco Buchta.
"Ein Umdenken, dass man wirklich Naturtourismus hierher bekommt, auch durch die Schutzgebiete und auch durch das Renaturierungsprojekt, das ist noch nicht so lange her. Das ist seit Mitte der 2000er-Jahre langsam erst entstanden."
Rocco Buchta war auch der erste Leiter des nach der Wende neugegründeten und unter Schutz gestellten Naturparks Westhavelland. "Wenn einer eine ruhige Gegend sucht, weitläufig mit sehr vielen Vögeln und Fischen, dann kann er ins Havelland kommen."
Havelfische wieder in die Gastronomie bringen
Wir sind zurück auf dem Hof von Fischer Wolfgang Schröder. Er würde sich wünschen, dass noch viel mehr Flächen unter Schutz gestellt würden und wieder als Überflutungsgebiet dienen könnten:
"Wir müssen noch viel mehr machen, gerade was die Deiche hier rechts und links der Havel angeht. Die müssten noch weiter zurückgebaut werden. Das würde auch die ganzen Hochwasserextremsituationen sehr stark entlasten, wenn wir dem Fluss wieder mehr Raum geben – nicht bloß der Havel, der Elbe auch und anderen großen Flüssen auch."
Wolfgang Schröder schuppt einen fast meterlangen Hecht für den Hofladen. Der Fischer engagiert sich für regionalen Konsum: Gegen die herrschende Zanderfiletmanie versucht er die typischen aber grätenreichen Havelfische wieder an den Mann zu bringen. Schleie und Brasse zum Beispiel.
"Ich bin so einer, der dann auch diesen Fisch wieder in die Gastronomie bringen will, also diesen regionalen Havelfisch. Dass die Gastronomen hier ringsum wieder den Fisch anbieten, den sie hier vor Ort haben. Dass eben die Touristen, wenn die hierherkommen, der Tourismus nimmt hier zu, auch dann den Havelfisch essen und nicht irgendein Seelachsfilet. Das kriegen sie überall."
Besonders einträglich ist sein Beruf nicht: Schröder muss sich ständig etwas Neues ausdenken, um Havelfischer bleiben zu können. Denn das will er.
"Erst mal kann man sich kaum vorstellen, was anderes zu machen. Man ist ein freier Mann, also man lebt und arbeitet mit der Natur. Es ist eigentlich ein schöner Job, sehr hart aber ich will was erreichen auch damit, dass ich hier weiter Fischer bin. Ich will auch, dass die Region bekannt wird. Ich habe Visionen, die sind noch nicht fertig. Und ich denke mal, da muss man dran arbeiten. Und solange das noch nicht fertig ist, bleibe ich hier noch Fischer."
Renaturierung wird länger dauern als geplant
Zeit kann sich auch Projektleiter Rocco Buchta vom NABU nehmen. Eigentlich sollte die erste Phase der Renaturierung 2021 abgeschlossen sein, aber es ist schon klar, dass es noch dauern wird, sagt Ministeriumssprecher Jens-Uwe Schade.
"Wir sind uns eigentlich mit den Beteiligten im Klaren, dass es da eine Projektverlängerung geben werden muss für diese Phase. Die ist jetzt bis 2025 vereinbart, vielleicht noch nicht unterschrieben, aber es ist eigentlich klar, dass das kommen wird. Der Zuwendungsbescheid lag damals bei – nach meiner Erinnerung – 21 Millionen Euro, wobei das Land Brandenburg davon etwa elf Prozent trägt."
Teurer wird es durch die Verlängerung nicht: Anders als beim Flughafen BER ist man an der Havel noch im Budget.