Zalando ist doch kein Zuhause!
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René Pollesch inszeniert am Berliner Friedrichstadt-Palast mit "Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt" eine intellektuelle Fabian-Hinrichs-Revue. Unser Kritiker André Mumot ist begeistert.
Es gibt sie immer wieder in den von René Pollesch erdachten und inszenierten Abenden: die angedeuteten Choreografien, die kleinen Tänze, die magischen Bühnenwunder, bei denen Kulissenteile lebendig werden und Darsteller vom Boden abheben, die kurzen Momente des tiefen Glücks inmitten ausgedehnter philosophischer Diskurse.
Auch deshalb war klar: Wenn Pollesch jetzt im Berliner Friedrichstadt-Palast auf der riesigen Revuebühne mit 26 Tänzerinnen und Tänzern des dortigen Ensembles zusammenarbeitet, muss ein theatrales Großereignis entstehen. Eine Erwartung, die bei der Premiere auch eingelöst wurde, gerade weil der Abend partout keine Glamour-Parade bieten will und damit seinen Austragungsort immer wieder in die selbstironisch funkelnde Sinnkrise stürzt.
Hinrichs als monologisierender Master of Ceremony
"Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt" heißt die Produktion, die ziemlich nahtlos an die früheren Pollesch-Zusammenarbeiten mit Schauspieler Fabian Hinrichs anschließt. Wie schon 2012 in "Kill your Darling" wird Hinrichs auch hier zum monologisierenden Master of Ceremony, zum neurotisch sich die Haare raufenden Entertainer, der ausführlich den eigenen Seelenzustand auslotet und mit den gesellschaftlichen Krisen des Spätkapitalismus überschneidet.
Um Einsamkeit geht es und um den Verlust von Gemeinschaft - vor allem im Privaten. Die politischen wie die intimen Utopien scheinen endgültig ihren Geist aufgegeben zu haben. Es ist dann aber doch vor allem das große Lamento einer verlorenen Liebesbeziehung, das hier angestimmt wird, eine Sehnsucht nach Nähe und Bindung, nach gemeinsamem Brötchen-Kaufen und gemeinsamem Angeln.
"Zalando ist doch kein Zuhause!", ruft Hinrichs und sucht verzweifelten Anschluss beim Tanzensemble, in dessen virtuose Reihen er aber immer nur kurz aufgenommen wird.
Pollesch und Hinrichs bleiben ihrem Minimalismus treu
Auch auf der ganz großen Bühne bleiben Pollesch und Hinrichs, der explizit als Co-Autor und Regisseur fungiert, ihrem stilistischen Minimalismus treu, spielen aber virtuos mit den Erwartungen des Publikums, mit der Frage, ob die ganz große Revuenummer vielleicht doch noch kommt. Statt diese zu liefern, dekonstruieren sie aber lieber die typischen Friedrichstadt-Palast-Versatzstücke, lassen einmal kurz die Lichtshow auf die Bühne los und machen die hier so beliebte Chorus-Line zur strammen Sportübung ohne jede musikalische Begleitung.
Die nüchterne Schlichtheit wirkt im großen Show-Palast geradezu provozierend, bringt aber Performer und Publikum unerwartet eng zueinander, nicht nur, wenn die Tänzerinnen und Tänzer plötzlich in die Reihen hinaufstürmen.
Und am Ende hängt ein golden glitzernder Fabian Hinrichs nach siebzig atemlosen, intensiven, grandiosen Minuten im Sternenhimmel, während die alte "All by myself"-Schnulze aus allen Lautsprechern dröhnt, und siehe da: Die böse, dunkle, kalte Einsamkeit, um die der ganze Abend gekreist hat, ist tatsächlich fort und das Glück ist da. Geht doch.