Rennen gegen die Zeit
Etwa 300.000 Juden flohen Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien, fanden im aufstrebenden Istanbul ein neues Zuhause und nahmen ihre Sprache mit: das Ladino. Dieses "Judenspanisch" ist ein Schlüssel zur Vergangenheit der türkischen Juden. Nun gilt es, diese Sprache zu erhalten.
"Die letzte Generation, die Ladino noch wirklich als Muttersprache gelernt hat, wurde um das Jahr 1945 geboren. Wenn diese Menschen sterben, wird es niemanden mehr geben, für den Ladino Muttersprache ist. Und wenn eine Sprache erst mal diesen Zustand erreicht hat, ist sie so gut wie tot."
Karen Gerson weiß, wovon sie spricht! Die Istanbuler Linguistin beherrscht Türkisch und Englisch, Spanisch und Französisch. Vor allem aber gehört sie zu den wenigen Istanbuler Juden, die als Kinder noch Ladino gelernt haben, die Sprache ihrer Vorfahren.
Als Karen Gerson ein kleines Mädchen war, hörte sie es täglich von ihrer Großmutter.
"Damals gab es in Istanbul noch vollkommen jüdische Nachbarschaften. Die Menschen brauchten gar keine andere Sprache als Ladino, weil der Kioskbesitzer ein Jude war, und der Fischverkäufer auch, genauso wie der Schuster. Die Sprache wurde von Generation zu Generation mündlich weitergegeben."
Wenn Karen "damals” sagt, dann meint sie die Zeit vor gut 100 Jahren, als noch 250.000 Juden im Osmanischen Reich lebten. Heute sind es gerade noch 18.000. Mit jeder Generation werden es weniger. Junge Juden, die heute am Bosporus aufwachsen, kennen Ladino höchstens noch aus der Synagoge. Verstehen oder gar sprechen tun sie es längst nicht mehr.
"Wir haben es nicht mehr geschafft, unser Erbe an die nächste Generation weiterzugeben. Der Hauptgrund ist, dass wir Frauen nun alle arbeiten. Normalerweise werden solche Dinge über die Mütter weitergegeben. Aber die Frauen meiner Generation hatten keine Zeit mehr dafür."
Das rasante Wachstum Istanbuls tat sein Übriges: Etwa 15 Millionen Einwohner hat die Bosporus-Metropole heute. Die verbliebenen Juden wohnen über unzählige Stadtviertel verstreut. Mehrere Stunden dauert es vom einen Ende der Stadt ans andere. Karen Gersons Alltagsleben bestimmt nicht Ladino sondern Türkisch.
Und dennoch ist und bleibt die Sprache der Schlüssel zur Vergangenheit der türkischen Juden. Damit er nicht vollkommen verloren geht, gründete die 52-Jährige vor zehn Jahren das Sephardische Zentrum Istanbuls.
"Unser Ziel im Sephardischen Zentrum ist es außerdem, alte Dokumente zu sammeln und zu sichern. Es geht nicht nur um die Sprache, sondern auch um Musik, um Rezepte usw . Wir wollen alles Kulturelle retten, bevor es vollkommen verloren geht."
In ihrem Kampf tritt Karen Gerson auf Sprachkonferenzen in aller Welt auf, berichtet von der Gefahr, die dem Ladino droht. Jeden Monat erstellen sie und ihre Kollegen am Sephardischen Zentrum eine 24-seitige Beilage zur jüdischen Zeitung Shalom – ganz in Ladino! Weltweit erreichen Sie damit immerhin einige Hundert ältere Juden. Jüngere Generationen versucht sie außerdem durch die Ladino-Küche in ihr Institut zu locken
"Traditionen rund ums Essen gehen weniger leicht verloren. Auch junge Istanbuler interessieren sich für sie, einfach weil sie köstlich sind. Ganze jüdische Schulklassen kommen in unser Zentrum. Wenn ich ihnen die alten Gerichte vorführe, dann sagen sie: Ooooh, das kenne ich von meiner Großmutter, es schmeckt wunderbar! Keiner findet so etwas langweilig."'"
Einen ganz ähnlichen Effekt erzielt Karen Gerson, wenn sie mit ihrer Ladino-Band "Los Pasharos Seferadis" die alten Lieder ihrer Vorfahren auf die Bühne bringt. Auch, wenn viele die Texte längst nicht mehr verstehen – zu den größten Fans der Gruppe gehören auch viele junge Istanbuler.
""Wir haben zu Beginn der 80er angefangen, alte Lieder zusammen zu suchen. Damals lebten noch viele Juden, die diese Lieder singen konnten. Heute leben viele von ihnen längst nicht mehr."
Es ist ein Rennen gegen die Zeit, dass Karen Gerson und ihre Kollegen aufgenommen haben. Einige Hundert Ladino-Sprecher leben heute nur in Istanbul. Doch obwohl die jüdische Gemeinde am Bosporus weiter von Jahr zu Jahr schrumpft, obwohl vom türkischen Staat keine Unterstützung für das Sephardische Zentrum zu erwarten ist und obwohl das Judenspanische weder in Israel noch in der Türkei einen besonderen Schutz erfährt: Aufgeben wird sie nicht.
"Es ist eine Illusion zu glauben, dass Ladino jemals wieder als echte Alltagssprache genutzt wird. So schön es auch wäre, das ist vorbei! Was wir noch tun können, ist deswegen sammeln und dokumentieren. Die nächste Generation wird dann damit machen, was immer sie will."
Karen Gerson weiß, wovon sie spricht! Die Istanbuler Linguistin beherrscht Türkisch und Englisch, Spanisch und Französisch. Vor allem aber gehört sie zu den wenigen Istanbuler Juden, die als Kinder noch Ladino gelernt haben, die Sprache ihrer Vorfahren.
Als Karen Gerson ein kleines Mädchen war, hörte sie es täglich von ihrer Großmutter.
"Damals gab es in Istanbul noch vollkommen jüdische Nachbarschaften. Die Menschen brauchten gar keine andere Sprache als Ladino, weil der Kioskbesitzer ein Jude war, und der Fischverkäufer auch, genauso wie der Schuster. Die Sprache wurde von Generation zu Generation mündlich weitergegeben."
Wenn Karen "damals” sagt, dann meint sie die Zeit vor gut 100 Jahren, als noch 250.000 Juden im Osmanischen Reich lebten. Heute sind es gerade noch 18.000. Mit jeder Generation werden es weniger. Junge Juden, die heute am Bosporus aufwachsen, kennen Ladino höchstens noch aus der Synagoge. Verstehen oder gar sprechen tun sie es längst nicht mehr.
"Wir haben es nicht mehr geschafft, unser Erbe an die nächste Generation weiterzugeben. Der Hauptgrund ist, dass wir Frauen nun alle arbeiten. Normalerweise werden solche Dinge über die Mütter weitergegeben. Aber die Frauen meiner Generation hatten keine Zeit mehr dafür."
Das rasante Wachstum Istanbuls tat sein Übriges: Etwa 15 Millionen Einwohner hat die Bosporus-Metropole heute. Die verbliebenen Juden wohnen über unzählige Stadtviertel verstreut. Mehrere Stunden dauert es vom einen Ende der Stadt ans andere. Karen Gersons Alltagsleben bestimmt nicht Ladino sondern Türkisch.
Und dennoch ist und bleibt die Sprache der Schlüssel zur Vergangenheit der türkischen Juden. Damit er nicht vollkommen verloren geht, gründete die 52-Jährige vor zehn Jahren das Sephardische Zentrum Istanbuls.
"Unser Ziel im Sephardischen Zentrum ist es außerdem, alte Dokumente zu sammeln und zu sichern. Es geht nicht nur um die Sprache, sondern auch um Musik, um Rezepte usw . Wir wollen alles Kulturelle retten, bevor es vollkommen verloren geht."
In ihrem Kampf tritt Karen Gerson auf Sprachkonferenzen in aller Welt auf, berichtet von der Gefahr, die dem Ladino droht. Jeden Monat erstellen sie und ihre Kollegen am Sephardischen Zentrum eine 24-seitige Beilage zur jüdischen Zeitung Shalom – ganz in Ladino! Weltweit erreichen Sie damit immerhin einige Hundert ältere Juden. Jüngere Generationen versucht sie außerdem durch die Ladino-Küche in ihr Institut zu locken
"Traditionen rund ums Essen gehen weniger leicht verloren. Auch junge Istanbuler interessieren sich für sie, einfach weil sie köstlich sind. Ganze jüdische Schulklassen kommen in unser Zentrum. Wenn ich ihnen die alten Gerichte vorführe, dann sagen sie: Ooooh, das kenne ich von meiner Großmutter, es schmeckt wunderbar! Keiner findet so etwas langweilig."'"
Einen ganz ähnlichen Effekt erzielt Karen Gerson, wenn sie mit ihrer Ladino-Band "Los Pasharos Seferadis" die alten Lieder ihrer Vorfahren auf die Bühne bringt. Auch, wenn viele die Texte längst nicht mehr verstehen – zu den größten Fans der Gruppe gehören auch viele junge Istanbuler.
""Wir haben zu Beginn der 80er angefangen, alte Lieder zusammen zu suchen. Damals lebten noch viele Juden, die diese Lieder singen konnten. Heute leben viele von ihnen längst nicht mehr."
Es ist ein Rennen gegen die Zeit, dass Karen Gerson und ihre Kollegen aufgenommen haben. Einige Hundert Ladino-Sprecher leben heute nur in Istanbul. Doch obwohl die jüdische Gemeinde am Bosporus weiter von Jahr zu Jahr schrumpft, obwohl vom türkischen Staat keine Unterstützung für das Sephardische Zentrum zu erwarten ist und obwohl das Judenspanische weder in Israel noch in der Türkei einen besonderen Schutz erfährt: Aufgeben wird sie nicht.
"Es ist eine Illusion zu glauben, dass Ladino jemals wieder als echte Alltagssprache genutzt wird. So schön es auch wäre, das ist vorbei! Was wir noch tun können, ist deswegen sammeln und dokumentieren. Die nächste Generation wird dann damit machen, was immer sie will."