Rente vom Klassenfeind

Von Klaus Schroeder |
In der Erinnerung vieler Ostdeutscher war die DDR ein sozialer Staat, in der alle Arbeit und ein annähernd gleiches Einkommen hatten und sich solidarisch zueinander verhielten. Auch die Renten waren sicher.
Bis auf die fehlende Reisefreiheit und das mangelhafte Konsumangebot war angeblich alles besser in der DDR. Tatsächlich aber reichten die Einkommen vieler Werktätiger nur für ein Wohlstandsniveau, das den Regelsätzen der Sozialhilfe in der Bundesrepublik entsprach. Obschon sie deutlich niedriger ausfielen als im anderen deutschen Teilstaat, waren sie dennoch nur wenig ungleicher verteilt. Die Geldvermögen konzentrierten sich sogar ebenso wie im Westen auf den Konten weniger Privilegierter. Die sicheren Renten lagen in den 80er Jahren für die meisten auf einem vergleichsweise kläglichen Niveau zwischen 300 und 400 Mark. Durch ein ausgeklügeltes, intransparentes System garantierte die SED jedoch speziellen Bevölkerungsgruppen Sonder- und Zusatzrenten, die mitunter ein Vielfaches über dem Durchschnitt lagen. Besonders bevorzugt waren systemloyale Kreise wie die Mitarbeiter von Volkspolizei und MfS, Partei- und Staatsbedienste sowie Angehörige der Intelligenz.

Da diese Rentenansprüche sich zumeist nicht aus entsprechenden Beiträgen begründeten, sondern - obgleich die SED stolz darauf war, das Berufsbeamtentum abgeschafft zu haben - eine politisch und ideologisch motivierte Treueprämie darstellten, beschloss die erste und einzige frei gewählte Volkskammer der DDR im Juni 1990 die Versorgungsbezüge von Berechtigten aus dem staatsnahen Bereich in der Höhe zu begrenzen.

Damit wollte sie verhindern, dass ehedem Privilegierte auch im vereinten Deutschland zu den Begünstigten gehörten. Doch diese sogar im Einigungsvertrag fixierten Regelungen wurden durch Änderungsgesetze und vor allem durch zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts weitgehend aufgehoben. Seither gibt es nur noch für einige wenige hohe Funktionsträger der DDR und Mitarbeiter des MfS eine inzwischen jedoch angehobene Entgeltbegrenzung. Alle anderen freuten sich über kräftige Nachzahlungen und beträchtliche Erhöhungen ihrer Rente, so dass nun die alten Relationen der DDR-Zeit wieder weitgehend hergestellt sind.

Durch eine großzügige Rechtsprechung der Sozialgerichte stieg darüber hinaus die Zahl der Anspruchsberechtigten geradezu sprunghaft an. Während zu DDR-Zeiten zum Beispiel gerade einmal drei bis fünf Prozent aller Ingenieure in volkseigenen Betrieben einen beurkundeten Anspruch auf eine Zusatzrente hatten, stieg der Anteil der Anspruchsberechtigten aus dieser Gruppe bis 1998 auf etwa zwei Drittel. Insgesamt dürften inzwischen knapp eine Million ostdeutscher Rentner mehr oder weniger hohe Ansprüche auf Zusatz- und Sonderrenten haben.

Schuf der Einigungsvertrag bereits die Grundlagen für die generelle Gleichstellung der Rentenberechnung in den neuen und alten Ländern trotz deutlich unterschiedlicher Einkommenshöhe und Beitragszahlungen in der DDR und der Bundesrepublik, rettete die deutsche Justiz wie schon nach 1945 den Verantwortungsträgern der Diktatur ihre privilegierte Rente. Doch die derzeit gegenüber den Westrenten monatlich etwa 100 Euro höheren durchschnittlichen Renten stiften keine höhere Zufriedenheit.

Die jährlich etwa vier Milliarden Euro für die zusätzlichen Renten teilen sich nominell Bund und neue Länder. Faktisch wird jedoch fast ausschließlich der westdeutsche Rentenbeitrags- und Steuerzahler zur Kasse gebeten, da die ostdeutschen Länder chronisch unterfinanziert, hoch verschuldet und von Westtransfers abhängig sind. Die Westdeutschen dürfen nun also auch denjenigen, von denen sie einst als Klassenfeind bekämpft wurden, eine Rente zahlen, die im Schnitt noch über der eigenen liegt. Gleichzeitig fehlen diese Transfergelder bei den Investitionen, die die Wirtschaft im Osten ankurbeln sollen.

Mit den Opfern der SED-Diktatur gehen Politik und Rechtsprechung weniger großzügig um. Die seit 16 Jahren geforderte Opfer-Rente, die den in der DDR aus politischen Gründen Verfolgten je nach Haftdauer eine zusätzliche Pension zwischen 150 und 500 Euro monatlich garantieren würde, wurde bisher nicht Realität und hat nur Einzug in Sonntagsreden gehalten. Dabei nehmen sich die geschätzten nicht einmal 100 Millionen Euro für die noch lebenden Opfer allein gemessen an den drei- bis vierfach höheren zusätzlichen Zahlungen an ehemalige MfS-Bedienstete bescheiden aus. So verkaufte der Kapitalismus nicht – wie überzeugte Marxisten-Leninisten annahmen – den Strick an diejenigen, die ihn beseitigen wollten, sondern zahlt ihnen statt dessen einen finanziell gut gepolsterten Ruhestand und belohnt sie für ihre Fundamentalkritik an der Vereinigung und den Werten des Westens.

Geschichte wiederholt sich manchmal doch: Wie nach 1945 brachte der Systemwechsel keine Veränderung bei der Verteilung von Vermögen, Einkommen und Renten. Die Verantwortungsträger der beiden Diktaturen behielten einen Gutteil ihrer Privilegien, die früheren Verfolgten bleiben zumindest materiell größtenteils am Rande der Gesellschaft.


Der 1949 in Lübeck geborene Klaus Schroeder lehrt an der Freien Universität Berlin Politische Wissenschaft. Der habilitierte Sozialwissenschaftler leitet an der FU den Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitstelle Politik und Technik. Letzte Veröffentlichungen: "Der SED-Staat. Partei und Gesellschaft 1949 – 1990", Hanser-Verlag, München 1998; "Der Preis der Einheit. Eine Bilanz", Hanser-Verlag, München 2000. "Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Ein Ost-West-Vergleich", Schöningh-Verlag, Paderborn 2004.