Herfried Münkler, geboren 1951 in Friedberg, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Er ist mit zahlreichen Studien zur politischen Ideengeschichte und zur Theorie des Krieges hervorgetreten. Nicht wenige davon sind mittlerweile Standardwerke, so etwa "Machiavelli" (1982) und "Gewalt und Ordnung" (1992). Herfried Münklers jüngste Bücher: "Der Wandel des Krieges", "Die Deutschen und ihre Mythen" und "Mitte und Maß". Sein neuestes Buch erschien 2017: "Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648".
Was moralisch legitim ist, muss politisch nicht klug sein
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Die griechische Regierung fordert von Deutschland Reparationen wegen der Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Der Politologe Herfried Münkler lehnt das ab. Dennoch solle man einen Weg finden, den Nachfahren der Opfer von SS-Massakern Geld zukommen zu lassen.
Griechenland und Polen, die jüngst Reparationsansprüche gegen Deutschland geltend gemacht haben, mögen moralisch dafür die besten Gründe haben. Die Verbrechen von Wehrmacht und SS in ihren Ländern sind legitime Gründe für den Anspruch auf Entschädigung. Und doch ist das Geltendmachen von Reparationsansprüchen bald 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Vorgang, der mehr durch parteipolitische Erwägungen im Innern dieser Länder als der Blick auf die europäische Friedensordnung bestimmt ist.
Tatsächlich sind Reparationsansprüche welcher Art auch immer geeignet, den europäischen Frieden auszuhöhlen und in Frage zu stellen. Mögen sie moralisch noch so legitim sein, politisch sind sie ein Produkt des sich in Europa wieder bemerkbar machenden Nationalismus. Das Fatale daran ist, dass der Nationalismus der einen nämlich den Nationalismus der anderen befördert.
Muss Frieden auf Gerechtigkeit gründen?
Die immer wieder zu hörende Behauptung, eine Friedensordnung sei nur dann stabil, wenn sie sich auf Gerechtigkeit gründet, ist nur dann zutreffend, wenn es eine von allen Beteiligten geteilte Vorstellung von Gerechtigkeit gibt – und das ist selten der Fall. In der Politik gilt zumeist, dass das, was die einen für die Gerechtigkeit halten, von den anderen als ungerecht angesehen wird.
Das wäre nur anders, wenn es für den betreffenden Raum eine Herrschaftselite gäbe, die festlegt, was gerecht ist, und gegen deren Festlegungen es keinen Widerspruch gibt. Was im Umkehrschluss heißt: Je demokratischer die Konstellationen eines politischen Raumes sind, desto unterschiedlicher sind die Vorstellungen davon, was als gerecht und was als ungerecht zu gelten hat. Die Idee einer über die Gerechtigkeit verfügenden Elite ist nur dann realistisch, wenn die Siegermacht eines Krieges auch die ist, die in jeder Hinsicht Recht behalten hat. Die Unterlegenen müssen das dann hinnehmen, was nicht heißt, dass sie es auch akzeptieren. Zumeist denken sie über Revanche nach.
Ein politischer Schlussstrich ist kein moralischer Schlussstrich
Das lässt sich am deutsch-französischen Verhältnis gut beobachten. Seit den Eroberungskriegen Ludwigs XIV. war es von zwei einander entgegengesetzten Gerechtigkeitsvorstellungen mitsamt entsprechenden Ressentiments beherrscht. So wurde die von de Gaulle und Adenauer betriebene deutsch-französische Aussöhnung zum Nukleus der europäischen Friedensordnung. Ihre Grundlage war der Verzicht auf wechselseitige Ansprüche.
Ein politischer Schlussstrich ist jedoch kein moralischer Schlussstrich, und die politische Klugheit sorgt dafür, dass beides nicht miteinander verwechselt wird: Einige wollen den politischen nämlich auch zum moralischen Schlussstrich erklären, während andere mit moralischen Argumenten den politischen Schlussstrich in Frage stellen.
Gegen beides steht die politische Klugheit. In der Antike hat man deswegen den Friedensschluss mit der Vorstellung von Amnestie und Amnesie, Vergeben und Vergessen, verbunden. Das ist in der neueren Geschichte nicht mehr der Fall und nach dem Zweiten Weltkrieg auch nicht mehr möglich gewesen. Statt dessen hat sich auf Basis der Siegerkonferenzen von Jalta und Potsdam in Europa eine Friedensordnung entwickelt, die lange als "Kalter Krieg" bezeichnet worden ist.
Im Nachhinein hat sich das als Glücksfall erwiesen. Wie groß das Glück war, zeigt der Vergleich mit der Pariser Friedensordnung von 1919, die nicht lange gehalten hat. Reparationsforderungen stellen all das in Frage. Die politische Klugheit legt freilich auch nahe, den Nachkommen der bei SS-Massakern Getöteten Entschädigungszahlungen zukommen zu lassen – sinnvollerweise durch Stiftungen, sodass der Eindruck formaler Reparationszahlungen vermieden wird.