"Man muss sich nicht vor Gegensätzen fürchten"
Der Schriftsteller Uwe Tellkamp klagt erneut über ein "linkes Meinungsmonopol" – der Publizist Jens Jessen widerspricht. Dem rechten wie dem linken Lager empfiehlt Jessen: "Es wäre viel gewonnen, wenn man das einfach aushält, dass es diese Gegensätze gibt."
Fehlenden Mumm kann man ihm nicht vorwerfen. Der Schriftsteller Uwe Tellkamp hat sich in einem offenen Brief gegen die "Erklärung der Vielen" gestellt und diese zum Teil harsch kritisiert. Mehr als 300 deutsche Kulturinstitutionen hatten sich darin positioniert, gegen Rassismus und Ausgrenzung.
Für Tellkamp ist der Text der "Tiefpunkt der Debatten- und Toleranzkultur". Zugleich holte er zum Rundumschlag aus und klagte, die "Tonangeber" in Medien und Kulturbranche vertrügen "keinen Widerspruch" und maßregelten andere Meinungen.
"Auch wir haben das Recht, uns zu artikulieren"
Der Publizist und "Zeit"-Autor Jens Jessen widersprach Tellkamp im Deutschlandfunk Kultur deutlich: "Auch wir haben das Recht, uns zu artikulieren, auch wenn das Tellkamp nicht gefällt", sagte er. Das Bezeichnende und "total Deprimierende" von Tellkamps Offenem Brief sei vor allem "die Geringfügigkeit des Anlasses", so Jessen.
Es gehe um eine eher kleine Debatte, um eine Buchhändlerin in Dresden, die Sympathien für rechte Positionen habe erkennen lassen. Diese Geringfügigkeit zeige, wie hoch die Gereiztheit bei Tellkamp sei.
Außerdem gebe es ja auch kein Publikationsverbot für Tellkamp. "Natürlich darf er sich ausbreiten, er wird aber unter Umständen nicht unwidersprochen bleiben. Und das ist irgendwie das Merkwürdige an diesem ganzen Diskurs, dass nicht verstanden wird, dass eben einfach um Rede und Gegenrede geht. Es wäre ein unbilliges Verlangen zu sagen, man äußert politische, sehr dezidierte Ansichten und bleibt dabei unwidersprochen. "
"Monopol auf ein gutes Gewissen"
Zugleich unterstützte der "Zeit"-Autor den Dresdner Schriftsteller in Teilen aber auch inhaltlich. Seit der französischen Revolution gebe es eine "linke Selbstgerechtigkeit", monierte Jessen. Die Linke glaube seit damals, das "Monopol auf ein gutes Gewissen" zu haben. Das Bewusstsein, aufgrund des politischen Standortes automatisch auf der richtigen Seite zu stehen, sei eine Herausforderung und habe andere schon immer geärgert.
"Die Furcht vor einem rechten Gesinnungsterror ist sicher berechtigt, aber noch nicht aktuell. Der linke Gesinnungsterror ist an einzelnen Bühnen zum Beispiel sehr wohl - ich will ihn nicht überdramatisieren - zu sehen."
Die "Erklärung der Vielen" bezeichnete Jessen vor diesem Hintergrund als "Monument der Selbstgerechtigkeit". Es sei einfach, Zivilcourage zu zeigen, wo sie nichts koste und nicht auf Widerstand stoße.
Keine Angst vor Gegensätzen
"Man muss sich vor Selbstgerechtigkeit hüten", forderte Jessen. Und man brauche sich in Debatten nicht vor Gegensätzen zu fürchten, sagte er. Die könne man einfach aushalten. Man müsse nicht unbedingt siegen.
Das Ausblenden der Rechten im öffentlichen Diskurs habe aber nicht nur mit Denkfaulheit und Selbstgerechtigkeit zu tun, sondern auch damit, dass man gelegentlich "wahnsinnig weit" ausholen müsse, so Jessen. Als Beispiel nannte der Publizist den Rassismus. Es habe etwas "Schmerzhaftes", dass man auch heute noch erklären müsse, warum man andere Menschen nicht wegen angeborener Merkmale abwerten dürfe.
(ahe)