Reportage aus dem Herzen der Finsternis
Verfeindete Gangs, korrupte Polizisten, Zehntausende Tote: Im Norden Mexikos herrscht ein grausamer Krieg der Drogenkartelle. Die Ethnologin Jeanette Erazo Heufelder berichtet in ihrer Reportage über eine Kultur der Angst und das Leid der Opfer.
Wer heute über Gewalt und lang anhaltende Kriege berichtet, hat vor allem den Irak, Afghanistan, den Nahen Osten im Blick. Kaum wahrgenommen werden in Europa die Verhältnisse in Mexiko. Auch dort tobt seit Jahren ein Krieg. Wir kennen inzwischen die Orte Kandahar, Herat und Kunduz, nicht aber Culiacán oder Ciudad Juarez.
Die promovierte Ethnologin Jeanette Erazo Heufelder hat viele Jahre in Lateinamerika gearbeitet, Dokumentarfilme gedreht und literarische Reportagen veröffentlicht. Ihre neueste trägt den Titel "Drogenkorridor Mexiko". Und sie macht uns mit eben diesen Orten bekannt.
Sie liegen im Hinterland entlang der Grenze zu den USA. 1500 Kilometer legte Erazo Heufelder zu Beginn dieses Jahres in dieser Gegend zurück. Ihr Bericht geht unter die Haut. Er vermittelt eindrücklich, dass im Norden Mexikos - durch den die Transportwege der Drogenhändler verlaufen - ein Ausmaß an Gewalt und Rechtlosigkeit herrscht, das das Leben für die Bevölkerung dort zum anhaltenden Albtraum macht.
2006 hatte der mexikanische Präsident Calderón den Kampf gegen die Drogenkartelle in seinem Land ausgerufen. Bis 2011 kamen dabei mindestens 34.000 Menschen ums Leben, 15.000 allein im Jahr 2010.
Jeanette Erazo Heufelder entreißt einige der Opfer der anonymen Statistik. Das ist die Stärke ihrer Reportage. Sie lässt Verwandte, Nachbarn, aber auch Drogenexperten, Menschenrechtsaktivisten, Vertreter der Kirche zu Wort kommen. Sie sammelt anschauliche Alltagsgeschichten. Unterhält sich in Schulen mit Kindern, im Bus mit Mitreisenden. Verbindet, was sie hört, mit Informationen über die Geschichte des Landes. Sehr schnell wird klar, dass im Norden Mexikos eine Kultur der Angst herrscht. Die Bürger sind der Brutalität verfeindeter Drogenkartelle genauso ausgesetzt wie der Willkür korrupter Polizisten und Politiker. Entführungen, Frauenhandel, Menschenschmuggel, Erpressung sind Folgen der absoluten Herrschaft der Drogenmafia, die sich eine Gesellschaft mit eigenen Gesetzen und eigener Kultur geschaffen hat.
"Santo Miedo" heißt der neue Schutzheilige für den Normalbürger - die Anwesenheit der "Heiligen Angst" erhöht die Wahrscheinlichkeit zu überleben. Taxifahrer hupen nicht, wenn ein großer Wagen ihnen die Vorfahrt nimmt - aus Angst erschossen zu werden. Dennoch weiß man nie, ob man nicht zur falschen Zeit gerade am falschen Ort ist und zum "Kollateralschaden" einer Auseinandersetzung verfeindeter Gangs wird. Der Drogenkrieg in Mexiko kennt keine klaren Fronten. Der Tod kann aus heiterem Himmel über einen kommen: ein falsches Armband, das zufällig Erkennungszeichen eines rivalisierenden Kartells ist. Ein Autokennzeichen, das einen als Fremden ausweist. Die Einflusssphären einzelner Drogenkartelle wechseln, das Vertrauen in die Polizei existiert nicht. Übergriffe werden nicht zur Anzeige gebracht, da der Polizist für denjenigen arbeiten könnte, den man anzeigen will.
Erazo Heufelder schreibt über einen Krieg, der zur Normalität geworden ist. Über eine Gesellschaft, in der sich die "Narco-Kultur" durchgesetzt hat. Selbst auf den Friedhöfen: Gigantische Mausoleen im Zuckerbäckerstil beherbergen die Überreste einflussreicher Drogenbarone. Die Taten der Bosse werden in "Narcocorridos" – volkstümlichen Balladen – verherrlicht. Unzählige Kreuze erinnern im öffentlichen Raum an ihre umgekommenen Auftragskiller. Drogenschmuggel wird von einem wachsenden Teil der Jugend als realistische Lebensoption gesehen. Die Kinder zeigen schon in der Grundschule auf ihren Handys stolz die Fotos verstümmelter Leichen.
Eine alarmierende Reportage aus dem Herzen der Finsternis, klug, anschaulich, informativ.
Besprochen von Carsten Hueck
Jeanette Erazo Heufelder: Drogenkorridor Mexiko
Eine Reportage
Transit Verlag, Berlin 2011
240 Seiten, 19,80 Euro
Die promovierte Ethnologin Jeanette Erazo Heufelder hat viele Jahre in Lateinamerika gearbeitet, Dokumentarfilme gedreht und literarische Reportagen veröffentlicht. Ihre neueste trägt den Titel "Drogenkorridor Mexiko". Und sie macht uns mit eben diesen Orten bekannt.
Sie liegen im Hinterland entlang der Grenze zu den USA. 1500 Kilometer legte Erazo Heufelder zu Beginn dieses Jahres in dieser Gegend zurück. Ihr Bericht geht unter die Haut. Er vermittelt eindrücklich, dass im Norden Mexikos - durch den die Transportwege der Drogenhändler verlaufen - ein Ausmaß an Gewalt und Rechtlosigkeit herrscht, das das Leben für die Bevölkerung dort zum anhaltenden Albtraum macht.
2006 hatte der mexikanische Präsident Calderón den Kampf gegen die Drogenkartelle in seinem Land ausgerufen. Bis 2011 kamen dabei mindestens 34.000 Menschen ums Leben, 15.000 allein im Jahr 2010.
Jeanette Erazo Heufelder entreißt einige der Opfer der anonymen Statistik. Das ist die Stärke ihrer Reportage. Sie lässt Verwandte, Nachbarn, aber auch Drogenexperten, Menschenrechtsaktivisten, Vertreter der Kirche zu Wort kommen. Sie sammelt anschauliche Alltagsgeschichten. Unterhält sich in Schulen mit Kindern, im Bus mit Mitreisenden. Verbindet, was sie hört, mit Informationen über die Geschichte des Landes. Sehr schnell wird klar, dass im Norden Mexikos eine Kultur der Angst herrscht. Die Bürger sind der Brutalität verfeindeter Drogenkartelle genauso ausgesetzt wie der Willkür korrupter Polizisten und Politiker. Entführungen, Frauenhandel, Menschenschmuggel, Erpressung sind Folgen der absoluten Herrschaft der Drogenmafia, die sich eine Gesellschaft mit eigenen Gesetzen und eigener Kultur geschaffen hat.
"Santo Miedo" heißt der neue Schutzheilige für den Normalbürger - die Anwesenheit der "Heiligen Angst" erhöht die Wahrscheinlichkeit zu überleben. Taxifahrer hupen nicht, wenn ein großer Wagen ihnen die Vorfahrt nimmt - aus Angst erschossen zu werden. Dennoch weiß man nie, ob man nicht zur falschen Zeit gerade am falschen Ort ist und zum "Kollateralschaden" einer Auseinandersetzung verfeindeter Gangs wird. Der Drogenkrieg in Mexiko kennt keine klaren Fronten. Der Tod kann aus heiterem Himmel über einen kommen: ein falsches Armband, das zufällig Erkennungszeichen eines rivalisierenden Kartells ist. Ein Autokennzeichen, das einen als Fremden ausweist. Die Einflusssphären einzelner Drogenkartelle wechseln, das Vertrauen in die Polizei existiert nicht. Übergriffe werden nicht zur Anzeige gebracht, da der Polizist für denjenigen arbeiten könnte, den man anzeigen will.
Erazo Heufelder schreibt über einen Krieg, der zur Normalität geworden ist. Über eine Gesellschaft, in der sich die "Narco-Kultur" durchgesetzt hat. Selbst auf den Friedhöfen: Gigantische Mausoleen im Zuckerbäckerstil beherbergen die Überreste einflussreicher Drogenbarone. Die Taten der Bosse werden in "Narcocorridos" – volkstümlichen Balladen – verherrlicht. Unzählige Kreuze erinnern im öffentlichen Raum an ihre umgekommenen Auftragskiller. Drogenschmuggel wird von einem wachsenden Teil der Jugend als realistische Lebensoption gesehen. Die Kinder zeigen schon in der Grundschule auf ihren Handys stolz die Fotos verstümmelter Leichen.
Eine alarmierende Reportage aus dem Herzen der Finsternis, klug, anschaulich, informativ.
Besprochen von Carsten Hueck
Jeanette Erazo Heufelder: Drogenkorridor Mexiko
Eine Reportage
Transit Verlag, Berlin 2011
240 Seiten, 19,80 Euro