Leonie March: Mandelas Traum. Meine Reise durch Südafrika
DuMont-Verlag, Köln 2018
304 Seiten, 14,99 Euro
Auf der Suche nach Mandelas Erbe
Zum 100. Geburtstag von Nelson Mandela ist die Journalistin Leonie March auf seinen Spuren durch Südafrika gereist. Bis heute ist das Erbe des verstorbenen Staatspräsidenten und Freiheitskämpfers bei der Mehrheit der Menschen lebendig.
In diesem Jahr wäre der verstorbene südafrikanische Freiheitskämpfer Nelson Mandela 100 Jahre alt geworden. Er hatte das Land aus dem Apartheid-Regime geführt und ist als früherer Staatspräsident bis heute die wichtigste Identifikationsfigur für die Nation. Die Journalistin Leonie March hat "Mandelas Traum" ein Buch gewidmet, in dem sie sich auf die Suche nach Mandelas Erbe macht und die heutige Entwicklung des Landes beschreibt.
Schwierige Gegenwart
"Ich finde, man kann kein Buch über Südafrika schreiben, wo man eben nur sagt, ach, die Regenbogennation, und es funktioniert alles so toll", sagte March im Deutschlandfunk Kultur. "Aber das andere Extrem stimmt eben auch nicht, dass Südafrika jetzt gerade zu einer Bananenrepublik wird, dass es sich entwickeln wird wie Simbabwe zum Beispiel in der Landfrage." Die Wahrheit liege irgendwo dazwischen.
Lebendige Bürgergesellschaft
"Und deshalb hab ich mit Menschen geredet in allen Teilen des Landes, die immer noch an Mandelas Traum glauben", sagte March, die in Südafrika lebt. Es handele sich dabei um die Mehrheit der Bevölkerung. March sagte, diese Südafrikaner seien das Rückgrat der Zivilgesellschaft, der Bürgergesellschaft, die in den Krisenjahren unter Zuma wieder deutlich stärker geworden sei. "Der Traum Mandelas ist also nicht tot, sondern trotz aller Brüche und tiefgreifenden Probleme weiterhin ein Leitbild hier in Südafrika."
Das Interview im Wortlaut:
Christian Rabhansl: Es wird sicherlich eine ziemlich große Geburtstagsparty im Sommer, wenn ganz Südafrika den Nationalhelden Nelson Mandela feiert. Am 18. Juli wäre er hundert geworden. Sein politisches Erbe ist unbestritten, das Ende der Apartheid. Ein demokratischer Rechtsstaat und eine Regenbogennation, die auf Zusammenhalt baut. Oder ist das ein Wunschtraum?
Leonie March kennt das riesige Land Südafrika bis in die letzten Winkel. Immer wieder hat sie es als Reporterin bereist, viele ihrer Reportagen haben Sie auch hier in Deutschlandfunk Kultur hören können, und vor neun Jahren hat Leonie March dann Südafrika dauerhaft zu ihrer Heimat gemacht, und jetzt hat sie sich auf die Suche nach Mandelas Erbe gemacht, nach "Mandelas Traum". So lautet der Titel des Buches, das aus dieser Reise entstanden ist und über das wir jetzt reden wollen. Hallo nach Durban!
Leonie March: Hallo!
Rabhansl: Auf der großen Fahrt durch das ganze Land, da sind Sie in die Metropolen gefahren und in die entlegenen Flecken. Und welche Rolle Mandela selbst im letzten Zipfel des Alltags noch spielt, das haben Sie gleich zu Beginn Ihrer Reise gemerkt. Sie sind mit dem Auto gefahren, sind von der Polizei gestoppt worden und haben gespürt, Mandela rettet Sie selbst in dieser Situation. Was ist da passiert?
March: Ja, da war ich unterwegs in der Transkei, also in der Gegend Südafrikas, in der Nelson Mandela ja geboren wurde, in der er seine Kindheit verbracht hat, und war auf der Nationalstraße unterwegs. Da hielt mich dann ein Polizist an, und ich dachte schon, was ist jetzt los, bin ich zu schnell gefahren? Der sagte, nein, ich hätte eine Linie überfahren, ich hätte da nicht überholen dürfen. Dann wollte er mir schon den Strafzettel ausfüllen, den hätte ich natürlich auch bezahlt.
Dann hat er mich aber so ein bisschen gefragt, wie das hier in Südafrika üblich ist, wo bist du überhaupt unterwegs, was machst du hier eigentlich? Da habe ich gesagt, ich bin zu Mandelas Geburtsort unterwegs. Und da lächelte er erst, hat erst meine Aussprache noch korrigiert, dass das eben nicht Qunu heißt, sondern dass man das eben mit so einem schönen Klick-, Schnalzlaut ausspricht, und dann hat er mir kein Knöllchen gegeben, sondern hat gesagt, nein, dann fahr mal einfach weiter, du bist ja hier in guter Mission unterwegs, so ungefähr. Und das fand ich schon recht bezeichnend, wenn man hier auf Mandelas Spuren sich sozusagen bewegt, man dann eben auch kein Knöllchen bekommt.
Enttäuschung in Mandelas Dorf
Rabhansl: Trotzdem wird in Ihrem Buch sehr klar, wie viel gestritten wird um Mandelas Erbe, bei allem Stolz auf das Erreichte. Als Sie dann also in Mandelas Kindheitsdorf standen, an den Ruinen der Schule, was haben Ihnen die Menschen dort erzählt?
March: Die Menschen dort sind wirklich enttäuscht, die sind verärgert, die sind frustriert, weil sich eben nicht genug verändert hat, nicht genug verbessert hat. Gerade in diesem Ort dachten die Leute vielleicht, sie würden einen sogenannten Mandela-Bonus bekommen, also dass die Entwicklung da stärker vorangeht. Nelson Mandela hat das bewusst nicht getan, sondern hat diese Gegend eben behandelt wie alle anderen. Aber die Präsidenten nach ihm haben diese Region einfach vergessen.
Das merkt man an der Schule, die ist wirklich übelst ausgestattet. Das merkt man an der hohen Arbeitslosigkeit. Das merkt man an der Armut. Dort sind die Leute also wirklich nicht zufrieden. Und auch mit den Nachkommen Mandelas, also der Enkel Mandla Mandela, der regiert ja als Chief ganz in der Nähe, und auch dort sind die Leute nicht zufrieden. Die sagen, der verhält sich im Prinzip wie die anderen Politiker, der wirtschaftet nur in die eigene Tasche. Und wie wir hier leben, unsere Armut ist ihm eigentlich egal.
Verbreitete Korruption
Rabhansl: Das ganze Land ist ja von Korruption geschüttelt. Der verhasste Präsident Zuma musste gerade eben sein Amt abgeben. Jetzt könnte man denken, mit Mandelas Erbe, dem demokratischen Rechtsstaat, damit kann es ja nicht weit her sein, wenn so viel Korruption herrscht. Oder man könnte sagen, Mandelas Erbe ist es ja gerade, dass die Skandale auffliegen.
March: Im Prinzip stimmt ja beides. Zum einen ist deutlich spür- und erlebbar, dass Mandelas Erbe in Südafrika in Gefahr ist, vor allem unter der Zuma-Administration sind viele Errungenschaften wieder zunichte gemacht worden durch die Korruption, durch die Misswirtschaft, durch die Ignoranz auch gegenüber den Bürgern. Zum anderen aber ist es auch so, dass, wie Sie sagen, ein Teil des Erbes darin besteht, dass die Skandale eben auffliegen. Zuma selbst muss sich ja jetzt wegen Korruption vor Gericht verantworten. Das ist der jedenfalls auf höchster Ebene noch intakten Justiz zu verdanken, der politischen Opposition, den Enthüllungsjournalisten und der wiedererstarkenden Zivilgesellschaft. Also dieser Teil des demokratischen Fundaments ist noch vorhanden und insofern auch Mandelas Erbe.
Rabhansl: Trotzdem herrscht viel Misstrauen gegenüber der Regierung. Das wird auch sehr deutlich in den ländlichen Gebieten, wenn Sie dorthin fahren, und Sie treffen eine Umweltaktivistin, von der haben Sie uns auch einen Ton mitgebracht. Was sagt die Ihnen?
March: Das ist Nonhle Mbuthuma, die habe ich im Pondoland getroffen, das liegt auch in der Transkei. Dort kämpfen die Einheimischen für einen Erhalt ihres traditionellen Lebensstils und gegen Pläne eines Bergbaukonzerns, der hier im großen Stil Titan abbauen möchte. Dazu braucht dieser Bergbaukonzern natürlich eine entsprechende Lizenz der Regierung. Aber die Regierung verschleppt die Entscheidung jetzt schon seit Jahren, und die Einheimischen müssen in diesem Zustand der Unsicherheit eben leben. Und Nonhle hat dafür sehr deutliche Worte gefunden. Sie hat gesagt, dass die demokratische Regierung keinen Deut besser sei als das Apartheidregime.
Es geht also um Mitbestimmung, darum, dass die Menschen im Pondoland und auch in anderen Regionen Südafrikas mit darüber entscheiden wollen, wie sich ihre Regionen entwickeln. Und für Nonhle Mbuthuma ist klar, sie ist nicht gegen Entwicklung, aber Großprojekte wie den Bergbau lehnt sie eben ab.
Sie wünscht sich eher kleinere, auf die Wünsche der Bevölkerung zugeschnittene Investitionen, etwa in die Landwirtschaft, in den Ökotourismus, von dem dann tatsächlich alle profitieren. Das ist ein Wunsch, der ist in ganz Südafrika verbreitet. Und das ist auch vor dem Hintergrund der momentan beherrschenden politischen Debatte über Besitzverhältnisse in Südafrika, also über Land und Enteignung interessant, denn hier versuchen arme schwarze Südafrikaner ihr Land gewissermaßen vor der eigenen Regierung zu verteidigen.
Auf der Spur des Goldes
Rabhansl: Und da zeigt sich diese Regenbogennation dann doch ziemlich gespalten, sie erleben das immer wieder, zwischen Landbevölkerung und Regierung, zwischen den Generationen, auch bis heute zwischen den Hautfarben. Und das ist dann so eine Trennung, die dann doch erschreckend häufig immer noch dieselbe ist wie zwischen arm und reich. Sehr drastisch erleben Sie das an einem Beispiel von regelrecht im Stich gelassenen Bewohnern dieser ehemaligen Goldstädte, die völlig vergiftet sind.
March: Ja, das ist tatsächlich drastisch. Ich hab mich in Johannesburg auf die Spuren des Goldes begeben. Ohne das Gold hätte es ja Johannesburg nie gegeben, und ich habe den Konsequenzen nachgeforscht, den dieser Goldrausch für die Bürger in den armen Stadtteilen hat. Da war ich mit einem ehemaligen Anti-Apartheid-Kämpfer unterwegs, mit David Van Wyk, also einem Weißen, im Viertel Riverlea.
Das liegt zwischen Abbaubergen der alten Goldminen. Die Menschen da atmen täglich radioaktiven Staub ein, verseuchtes Wasser fließt da durch dieses Viertel, und David nennt es deswegen zynisch Zombie. Johannesburg, sagt er, sei eine der radioaktivsten Städte der Welt, und das war wirklich unübersehbar.
Die Menschen in Riverlea fühlen sich also von ihrer Regierung verlassen, sagt David. Sie haben das Gefühl, dass sich keiner in Südafrika für ihr langsames Dahinsiechen interessiert. Hier wohnen ja bis heute ausschließlich farbige Südafrikaner, die die Apartheidregierung aus den weißen Vororten vertrieben hatte. Und diese Menschen, sagt David, und das habe ich selbst an unterschiedlichen Orten Südafrikas immer wieder gehört, sagen heute, dass sie früher nicht weiß genug waren und heute nicht schwarz genug. Also sie fallen durch alle gesellschaftlichen Maschen und sehen keine Perspektive, keinen Weg aus ihren ärmlichen und gesundheitsschädlichen Verhältnissen, und auch keinen Rückhalt durch die Regierung.
Die Hoffnung bleibt
Rabhansl: Das Beeindruckende ist ja, dass trotz dieser Beispiele Sie ein sehr optimistisches Buch geschrieben haben. Ich hatte immer wieder den Eindruck, dass die Menschen eigentlich im Alltag mit ihrem menschlichen Zusammenhalt das wettmachen, was da ansonsten schief läuft. Am Ende Ihrer Reise, was war da übrig von Mandelas Traum?
March: Ich denke, man muss es eben wirklich beides sehen. Ich finde, man kann kein Buch über Südafrika schreiben, wo man eben nur sagt, ach, die Regenbogennation, und es funktioniert alles so toll. Das stimmt einfach nicht. Aber das andere Extrem stimmt eben auch nicht, dass Südafrika jetzt gerade zu einer Bananenrepublik wird, dass es sich entwickeln wird wie Simbabwe zum Beispiel in der Landfrage.
Ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Und deshalb hab ich mit Menschen geredet in allen Teilen des Landes, die immer noch an Mandelas Traum glauben. Das ist für meinen Begriff die Mehrheit der Bevölkerung, und das ist eben dieses Rückgrat der Zivilgesellschaft, der Bürgergesellschaft, die in den Krisenjahren unter Zuma wieder deutlich stärker geworden ist. Der Traum Mandelas ist also nicht tot, sondern trotz aller Brüche und tiefgreifenden Probleme weiterhin ein Leitbild hier in Südafrika.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.