"Allianzen. Kritische Praxis an weißen Institutionen", Hrsg. von Elisa Liepsch und Julian Warner
Transcript Verlag, Bielefeld 2018, 304 Seiten, 19,99 Euro
"Die Theater, die wir jetzt haben, sind eine Lüge"
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Das Theater sei nur eine weitere "weiße Kultur- und Bildungsinstitution" − so lautet das Urteil der Herausgeber Julian Warner und Elisa Liepsch. Sie fordern das Zurücktreten der "starken weißen Männer" und neue Stoffe für die Bühne.
Rassismus und Theater, Rassismus im Theater – darüber wird derzeit intensiv diskutiert, gestritten und ausprobiert. Langsam doch stetig setzt sich hier die Erkenntnis durch: Allein, indem man Minderheiten auf die Bühne bringt oder mehr schwarze Schauspieler und Schauspielerinnen besetzt, ist wirkliche Diversität noch lange nicht erreicht.
Die Dramaturgin Elisa Liepsch und der Kurator Julian Warner sind die Herausgeber der Aufsatzsammlung "Allianzen. Kritische Praxis an weißen Institutionen", worin die Autoren aufmerksam machen auf die Fortschreibung von Vorurteilen im Theateralltag und im Theaterumfeld und was sich hier verändern muss.
"Als erstes muss passieren, dass es hier eine Bewusstbarmachung gibt in den Institutionen, dass es quasi einen strukturellen Rassismus gibt", sagt Elisa Liepsch. "Ich glaube, dass vieles den Leuten, insbesondere Menschen, die etwa an dem internationalen Produktionshaus Mousonturm [in Frankfurt - H.d.R.] arbeiten, gar nicht bewusst ist in ihrer ganzen Internationalität, mit der sie jeden Tag zu tun haben, weil es internationale Gastspiele gibt, oder internationale Künstlerinnen, die ihre Arbeiten dort produzieren, dass sie also trotzdem vor Rassismus nicht gefeit sind."
Welterfahrung statt nur Rassismuserfahrung
"Das viele 'Reden darüber' zeigt, dass so wenig passiert", lautet die Analyse Julian Warners. "Es gibt unglaublich viele Panels. Aber dass sich wirklich strukturell etwas ändert, das passiert in den wenigsten Fällen, denn das würde bedeuten, dass man tatsächlich das Personal diversifiziert, also dass man sagt: 'Wir haben jetzt hier eine Quote, die mit Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Migrationserfahrung oder mit Rassismuserfahrung, oder wie man es auch immer machen möchte, gefüllt werden soll.' Dass man sie also nicht nur hereinholt für ein Thema, und dann sie etwa die Deutschtürken für das Thema 'Döner' zuständig macht, sondern, nee, langfristig, wo es dann nicht nur um diese Rassismuserfahrung und um den Ausschluss geht, sondern um eine Welterfahrung."
Dieses Einschließen stecke in diesem "Allianzen"-Thema: Dass man Seite an Seite stehe und kämpfen müsse in Institutionen, weil die bislang Ausgeschlossenen ein "demokratisches Recht auf diesen Repräsentationsraum in den Theatern" haben, so Julian Warner. Und er ergänzt: "Diese starken weißen Männer mit ihren starken Autorenhandschriften, die müssen zurücktreten."
Die Reproduktion von Diskriminierung
Erst mit der Wahrnehmung neuer Repräsentanten und dem Durchsetzen von Teilhabe-Grundsätzen ändere sich auch das Theater, sagt Elisa Liepsch: "Die Theater, so wie sie jetzt sind, machen ein Programm an der diversen und pluralen Gesellschaft Deutschlands vorbei. Die Theater, die wir jetzt haben, sind eigentlich eine Lüge."
Zwar wüssten alle um das Thema Diversität, und auch würden alle gerne gute Anti-Rassistinnen sein, doch kämen nun "diese POCs und schwarzen Kulturarbeiter" oft unter sehr eingeschränkten Bedingungen an und auf die Bühnen, sagt Julian Warner.
"Sehr häufig geht es in den Arbeiten darum, dass ein weißes Bürgertum betroffen sein kann und sich quasi über die Kunst mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen kann, womit sie sonst keine Berührung haben", betont Elisa Liepsch. Dies sei dann meist lediglich eine Reproduktion von Diskriminierung, die viele ausschließe.
(sru)