Die Ausstellung "Fictions of Emancipation" ist bis zum 5. März 2023 im New Yorker Metropolitan Museum of Art zu sehen.
Ausstellung in New York
Die Ausstellung ist um die Büste "Why Born Enslaved!" von Jean-Baptiste Carpeaux herum aufgebaut. Im Hintergrund spricht Museumsdirektor Max Hollein. © Getty Images via AFP / SPENCER PLATT
Wie Schwarze in der Kunst exotisiert und ideologisiert wurden
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Die New Yorker Ausstellung "Fictions of Emancipation" macht sich auf die Suche nach Repräsentationen schwarzer Menschen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. Sie öffnet einen Raum für den kritischen Diskurs, ohne moralisch zu sein.
Die Marmorbüste einer Frau: Stricke an ihren Oberarmen und über ihrem Brustkorb, die linke Brust ist entblößt. Ihr Kopf ist gedreht, sie blickt leicht nach oben. Ihr Ausdruck ist schmerzvoll und gepeinigt. Auf dem Sockel die Inschrift: „Pourquoi naître esclave!“ - im Englischen: „Why born enslaved!“.
Das Besondere an Jean-Baptiste Carpeauxs Büste war nicht nur das Motiv, sondern auch der dramatische, naturalistische Ausdruck der dargestellten Frau, die gleichzeitig sexualisiert wird.
Dabei sollte die Büste Empathie für die ideologische Sache der Abolitionisten erzeugen, derer, die die Sklaverei abschaffen wollten. Und sie sollte die moralische Rechtfertigung eines neuen Zeitgeistes verkörpern, der Europa, in diesem Fall Frankreich, als herausragende moralische Institution postulierte.
Exotisiert und ideologisiert
35 Exponate sind um Carpeauxs Büste platziert, darunter Skulpturen, Zeichnungen, Freskenentwürfe, Gemälde, Porzellanfiguren und dekorative Objekte – alle mit Darstellungen schwarzer Menschen, die entweder geheimnisvoll exotisiert oder in ihrem unterdrückten Zustand ideologisiert wurden.
Für die Kuratorin Wendy Walters, Poetin und Essayistin, bestand die Herausforderung der Ausstellung darin, diese verschiedenen Darstellungen von schwarzen Menschen in einen Kontext zu bringen:
„Es ist die Darstellung einer schwarzen Person, aber es ist keine Repräsentation, es ist kein Porträt. Es ist ein Symbol, eine Allegorie. Und in Wirklichkeit ist es die Fiktion eines weißen Künstlers, die Ausgeburt seiner Vorstellung von Schwarzsein.“
Schwer zu ertragen
Für Kunsthistorikerin Elyse Nelson, die die Ausstellung zusammen mit Wendy Walters kuratiert hat, war die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Repräsentation schwarzer Menschen und der Frage, welche Objekte den Weg in die Ausstellung finden sollten, von zentraler Bedeutung:
„Wir waren fest davon überzeugt, dass dies keine Ausstellung sein sollte, die sich durch Masse auszeichnet. Jedes dieser Objekte hat einen ganz bestimmten Platz in der Kunstgeschichte. Sie sind in jedem Buch über race im 18. und 19. Jahrhundert zu finden. Sie stehen für sich und wir wollten nicht zu viele zeigen, die schwer zu ertragen sind.“
Zum Beispiel das Porzellanmedaillon des britischen Abolitionisten Josiah Wedgwood. Groß wie ein altes Fünfmarkstück zeigt es die schwarze Silhouette eines knienden Mannes mit Ketten an Händen und Füßen vor weißem Grund, seine Arme wie im Gebet erhoben.
Dieses Motiv war so populär, dass es in Siegelringen, auf Teegeschirren und auf Glaskaraffen auftauchte. Sie waren im bourgeoisen Frankreich sozusagen en vogue.
Nach dem Ende der Sklaverei wurden die Motive des gefesselten, muskulösen Mannes und der nackten sexualisierten Frau zur Allegorie eines wilden und unerlösten Afrikas. Man fragt sich, ob schwarze Menschen je wirklich als Menschen gesehen oder in diesen Darstellungen nicht vielmehr als Rechtfertigung weißer Überlegenheitsfantasien instrumentalisiert wurden.
Dialog mit lebenden Künstlerinnen
Doch die Ausstellung zeigt nicht nur den historischen Kontext von Carpeauxs Büste. Man habe bewusst den Dialog mit lebenden Künstlerinnen gesucht, erklärt Kuratorin Wendy Walters:
„Oft engagieren die Museen Künstler mit Auftragsarbeiten. Wir wollten hingegen Gespräche mit Künstlern initiieren, die sich bereits mit diesen Motiven auseinandergesetzt haben. Repräsentation bezieht sich nicht nur auf das einzelne Kunstwerk, sondern ist auch die Methode, diese Ausstellung zu kuratieren.“
Eine dieser Arbeiten ist die Marmorbüste eines schwarzen Basketballspielers der Künstlerin Kehinde Wiley. Mit derselben Kopfdrehung und einem ähnlich verunsicherten Blick wie bei Carpeauxs Frau stellt die amerikanische Künstlerin einen Zusammenhang zwischen Rassismus und der amerikanischen Sportindustrie her.
Oder in der Arbeit „Negress 2017“ von Kara Walker: eine wie achtlos in eine Ecke geworfene schwarze Kapuze aus Gips, in ihr der Gesichtsabdruck von Carpeauxs Frau.
„Wir können uns glücklich schätzen, dass diese Ausstellung jetzt stattfindet“, sagt Wendy Walters. „Wir sind uns bewusst, dass sie zu einem anderen Moment womöglich nicht hätte stattfinden können. Es ist etwas sehr Seltenes, sich diese gründliche Auseinandersetzung mit Kunstwerken zu erlauben, die wirklich heikel und schwierig zu entziffern sind.“
Raum für kritischen Diskurs
„Fictions of Emancipation“ ist eine sperrige Ausstellung zu einem schwierigen Thema, vor allem, wenn man sie ohne Vorwissen besucht. Den beiden Ausstellungsmacherinnen ist es aber trotzdem gelungen, einen Raum für Kontext und kritischen Diskurs zu öffnen, ohne pädagogisch oder moralisch zu sein.
Sie könnte im Umgang mit historisch problematischen Kunstwerken wegweisend sein.