Repressionen in der Türkei

Gut für die Kunst, schlecht für die Künstler

Ein Gefängnis in der Nähe von Istanbul
Ein Gefängnis in der Nähe von Istanbul © imago stock&people
Von Susanne Güsten |
Künstler stehen für ihre Werke vor Gericht, Ausstellungen werden von Mobs angegriffen. Auch die türkische Kulturszene leidet unter den politischen Repressionen. Der Kunst könne das kreative Impulse geben, sagen Betroffene. Für sie selbst bedeute die Situation aber nichts Gutes.
"Zerbrochene Instrumente" heißt dieses Stück – die Gitarre ist am Korpus eingedrückt, die Klappen der Flöte sind verbogen und am Klavier ist nur noch eine einzige Oktave intakt. Die türkische Folkloregruppe Grup Yorum spielte diese Aufnahme im Oktober auf den Trümmern der Musikinstrumente ein, die nach einer Polizeirazzia gegen ihren Istanbuler Übungsraum geblieben waren.
Inzwischen sitzt die komplette Truppe hinter Gittern – wegen angeblicher Terrorpropaganda wurden alle acht Künstler kürzlich verhaftet. Ihre Musik auf den zertrümmerten Instrumenten kursiert aber als Video weiter durch das Internet – ein musikalischer Aufschrei gegen den Ausnahmezustand, die Massenverhaftungen und die grassierende Gewalt in der Türkei.
Im türkischen Theater sind die dramatischen politischen Entwicklungen des Landes ebenfalls schon angekommen. In dem Solo-Bühnenstück "Asiyan" setzt sich die Dramatikerin und Schauspielerin Bihter Dincel im Ezop-Theater mit der psychologischen Wirkung der ständigen Bombenanschläge auseinander – wie es erst am vergangenen Wochenende wieder einen gab:
"Heute sind vier Menschen vor meinen Augen gestorben, vier Menschen! Und wozu? Weißt Du, diese Frage stelle ich mir nun seit 23 Jahren."

Plastik aus Austellung entfernt

Ein paar Straßen weiter wird im Afife-Jale-Theater der Nationaldichter Nazim Hikmet gegeben. In dem Stück "Gab es Ivan Ivanovic, oder gab es ihn nicht?" thematisierte Hikmet den totalitären Personenkult um Stalin – es wurde seinerzeit in der Sowjetunion nach dem ersten Spieltag abgesetzt. In Istanbul erkennen die türkischen Theaterbesucher ihr Land heute nur zu gut darin wieder, sagt Regisseur Emrah Eren:
"Normalerweise ist das ja etwas, was ein Regisseur sich wünscht: dass sich ein Stück, das er inszeniert, dem Zuschauer mit Parallelen zur Aktualität erschließt. Aber jetzt würde ich mir doch lieber wünschen, dass es keine Parallelen zu erkennen gäbe – dass wir diese Zeiten nicht durchleben und dieses Stück nicht aufführen würden."
Auch die bildende Kunst bleibt von den Spannungen im Land nicht verschont. Dem Maler Hayrettin Ümit Özdogan - Künstlername Huo - sitzt der Schreck vom Eröffnungstag der Ausstellung "Contemporary Istanbul" im vergangenen Monat noch in den Knochen.
"Bei der Contemporary Istanbul hat eine radikale Gruppe verlangt, dass eine Plastik von meinem Freund Ali Elmaci entfernt werden solle, weil sie anstößig sei. Mit großem Nachdruck haben sie das gefordert. Veranstalter und Künstler haben das vernünftig gelöst, aber die Plastik ist erstmal entfernt worden."
Erst am nächsten Tag konnte die Frauenfigur mit dem Bild eines osmanischen Sultans auf dem Badeanzug wieder in die Ausstellung eingegliedert werden. Die Konfrontation auf der Contemporary Istanbul sei nur ein Vorgeschmack auf das, was die türkische Gesellschaft noch erwarte, befürchtet Huo:
"Die politische Lage hier degeneriert rasend schnell, vor uns tun sich ungeahnte Abgründe auf, und wir haben leider nicht die Kraft, das aufzuhalten. Wir erleben es ja jeden Tag: Die Leute werden reihenweise hinausgeworfen, der Staat übt Zensur - das ist in diesem Land, in dieser Region, im ganzen Nahen Osten immer wieder so gewesen und wird auch so weiter gehen."

"Künstler schöpfen aus unsicheren Umständen"

Das bedeute aber nicht, dass die Kunst in der Türkei sich zensieren oder gar zum Schweigen bringen lasse, sagt Huo:
"Wenn ich ein Künstler bin und etwas zu sagen habe, dann kann ich das auf 50 verschiedene Weisen sagen. Dabei muss ich berücksichtigen, wie das von der Gesellschaft aufgenommen wird, denn hierzulande kommt es schnell zur physischen Aggression. Wenn ich etwas erzählen will, dann tue ich das also auf andere Weise, mit visuellen Mitteln – weil das in meiner Umwelt notwendig ist."
Huo will jedenfalls nicht zurückweichen und auch weiterhin in der Türkei leben und schaffen. Diesen Widerstandsgeist hat der Schriftsteller und Kunstkritiker Kaya Genc bei vielen türkischen Künstlern beobachtet. Genc sieht in der schwierigen gesellschaftlichen und politischen Lage in der Türkei einen kreativen Impuls für Kunst und Kultur:
"Was hier politisch passiert, das schafft viel Material für die Kunst – das ist produktiv für Künstler und Kreative, denn aus dem Unbehagen können sie interessante und innovative Kunst schaffen. Istanbul hat so viel erlitten in diesem Jahr: den Putschversuch, die Panzer in den Straßen, die Bombenanschläge – wenn nun Godzilla käme oder ein Ufo, würde uns das nicht mehr überraschen. Dieses Gefühl ist gut für die Kunst, denn Künstler leben von unsicheren Umständen - das ist es, woraus sie schöpfen."
Gut für die Kunst, meint auch Regisseur Emrah Eren – aber schlecht für die Künstler:
"Lieber wäre es mir, die Zeiten wären gut und die Kunst schlecht (lacht). Aber ja, wenn es mehr Probleme gibt, dann wird die Kunst stärker."
Mehr zum Thema