Frank Biess: "Republik der Angst. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik"
Rowohlt Verlag, 624 Seiten, 22 Euro
Wie Furcht die deutsche Gesellschaft stabilisierte
08:15 Minuten
Angst vor den Alliierten, Angst vor Atomkriegen, Angst vor Umweltzerstörung – für den Historiker Frank Bliess sind Ängste der stabilisierende Faktor der Bundesrepublik. Ein originelles Buch mit überraschenden Beobachtungen, findet unser Kritiker.
Frank Biess' Argument lautet: Die Stabilität der Bundesrepublik sei immer prekär gewesen. Das politische Versprechen von "Sicherheit" habe nie ausgereicht, die verschiedenen Ängste zu entkräften. Aber gerade diese Ängste hätten eine erhöhte Sensibilität vor den drohenden gesellschaftlichen Gefahren geschaffen. So paradox es klingt: Gerade die Angst machte die Republik mit den Jahren viel stabiler, als viele das unmittelbar nach 1945 vermutet hatten.
Wechselnde Emotions-Regime
Dieses Argument hat einiges für sich. Die Geschichte der Bundesrepublik ist in dieser Lesart durch verschiedene, sich wandelnde "Emotionsregime geprägt", in der es seit den 1970er-Jahren zunehmend "normaler" wurde, über seine eigenen Ängste zu sprechen. Gefühle waren nun eben nicht mehr nur privat, sondern auch politisch Teil einer Gesellschaftsordnung, in der die Arbeit des Individuums an sich selbst eine immer größere Bedeutung erhielt. Ängstlicher als viele anderen Nationen seien diese Deutschen. So schien es jedenfalls manchem ausländischen Beobachter, und gerne nutzten gerade auch konservative Beobachter den erfundenen Begriff der "German Angst", um die pazifistischen Überzeugungen der Friedensbewegung und des deutschen Nein zum Irakkrieg zu denunzieren.
Frank Biess hat die Geschichte einer Generation geschrieben; die Geschichte, die, wie er selbst, in den 1980er-Jahren im Umfeld der Friedensbewegung aufwuchsen und Bücher wie "Die letzten Kinder von Schewenborn" verschlangen. Und die es für sich als große Entdeckung feierten, anders als ihre Väter und Mütter nun auch über ihre eigenen Gefühle, ihre Ängste zu sprechen.
Frank Biess hat die Geschichte einer Generation geschrieben; die Geschichte, die, wie er selbst, in den 1980er-Jahren im Umfeld der Friedensbewegung aufwuchsen und Bücher wie "Die letzten Kinder von Schewenborn" verschlangen. Und die es für sich als große Entdeckung feierten, anders als ihre Väter und Mütter nun auch über ihre eigenen Gefühle, ihre Ängste zu sprechen.
Biess verzichtet wohltuender Weise auf alle psychogeschichtlichen Taschenspielertricks. Er legt die Deutschen nicht auf die Couch, sondern interessiert sich für ihre politischen Ängste. Im Mittelpunkt stehen öffentliche Debatten, allen voran die Auseinandersetzung um die Nachgeschichte des Nationalsozialismus oder die Folgen der Studentenbewegung mit ihrer neuen "alternativen" Therapiekultur.
Analyse der "German Angst"
Entstanden ist ein originelles Buch, das manch überraschende Beobachtung enthält, beispielsweise die aus heutiger Sicht nur noch schwer verständliche Angst vor der französischen Fremdenlegion und ihren "Häschern", die angeblich die jungen deutschen Männer bedrohe. Oder seine präzise Analyse der "German Angst".
Noch überzeugender wäre seine Darstellung gewesen, wenn Biess stärker die Grenzen seines Ansatzes reflektiert hätte. Denn neben dem Gefühl der Angst gab es immer auch andere Gefühlslagen, die weit aus optimistischer, weniger beladen waren. Gerade aber die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Emotionsregime, die Widersprüche und "Gegner" der Angst kommen in der Darstellung viel zu kurz. Schade ist zudem, dass sich Biess so wenig Raum nimmt, eine der zentralen gesellschaftlichen Ängste, die Angst nämlich vor sozialem Abstieg, vor Arbeitslosigkeit, umfassender zu thematisieren.
Soziale Ungleichheiten und die marktwirtschaftlichen Verwerfungen sollten in einer Angstgeschichte der Bundesrepublik nicht fehlen. Dennoch: Seine "Angstgeschichte der Bundesrepublik" ist ein lohnenswertes Projekt – eine Perspektive, die bislang gefehlt hat und über die es sich nachzudenken lohnt.