Zwischen Moskau und Brüssel
Vor sechs Jahren sind Zehntausende Menschen in der moldauischen Hauptstadt Chisinau auf die Straße gegangen, um gegen den damaligen Wahlsieg der Kommunistischen Partei zu protestieren. Im Sommer 2009 dann wurden Neuwahlen ausgerufen, bei denen pro-europäische Parteien an die Macht kamen. Doch wie steht es um den erhofften Reformkurs?
Die Bronzestatue von Stefan dem Großen glänzt in der Mittagssonne. Wer sich in Chisinau verabredet, trifft sich oft vor diesem Denkmal gleich neben dem Regierungssitz. Elena Zgardan stand genau vor sechs Jahren auch hier - nicht wie heute mit schmucker Handtasche, sondern mit Kerzen. 21 Jahre war sie damals alt, Studentin und Mitorganisatorin eines Spontanprotestes, der schließlich zum Sturz der Kommunistischen Partei führte. Westliche Medien sprachen damals von der "Orangenen Revolution" der Republik Moldau:
"Ich habe beim Protest lediglich mit einer Handvoll Leute gerechnet. Als ich auf dem Platz kam, waren 2.000 Menschen da, eine Stunde später waren es bereits 15.000. Ich dachte, wenn die Kommunisten zurücktreten, würden wir automatisch eine demokratische Regierung bekommen, die uns nach Europa bringt. Das war es, was wir wollten."
Die geplante EU-Integration der Republik Moldau aber ist derzeit schwieriger denn je, denn nach der jüngsten Parlamentswahl herrscht eine politisch instabile Lage. Die Liberaldemokratische und die Demokratische Partei − zwei pro-europäische Gruppen − bilden eine Minderheitsregierung, die sich ausgerechnet von ihrem politischen Gegner, den Kommunisten, unterstützen lässt. Dabei hatten die beiden Parteien die Kommunisten jahrelang als EU-Gegner verteufelt. Die 27-jährige Zgardan ist enttäuscht darüber, dass nun die kommunistische Partei wieder politisch das Zünglein an der Waage ist:
"Diese pro-europäischen Parteien haben der kommunistischen Partei stets vorgeworfen, totalitär zu agieren. Ausländischen Regierungschefs haben sie immer erklärt, dass sie eine Wiederkehr der Kommunisten verhindern wollen. Jetzt wissen wir, sie haben uns eine Illusion verkauft. Sie wirken wie Pseudo-Europäer, die einfach die Seiten wechseln, wenn es ihnen passt."
Nicht nur Zgardan, auch andere befürchten nun, dass die Moldau-Republik mit dieser Regierung von ihrem pro-europäischen Reformkurs abrückt. Im vergangenen Juni unterzeichnete Chisinau ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Das Land verpflichtete sich damit, einen Rechtsstaat nach europäischem Modell aufzubauen.
Korruption und undurchsichtige Geschäfte
Doch die Ergebnisse fallen bislang mager aus. Der Kampf gegen die Korruption kommt nicht voran. Erst vorige Woche drohte der Chef der EU-Vertretung in Chisinau, Pirkka Tapiola, mit einem möglichen Fördermittel-Entzug, wenn sich das nicht ändere. Den moldauischen Politikexperten Valentin Dolganiuc verwundert der schärfere Ton nicht:
"Das Interesse der EU an unserem Land geht langsam zurück: Weil Ernüchterung einsetzt. Unseren Regierungsparteien gehören viele Oligarchen an. Die reden die ganze Zeit von einer europäischen Integration, doch in Wirklichkeit wollen sie sie gar nicht. Sie wollen vielmehr ihren Status quo als Oligarchen erhalten."
Die einheimischen Oligarchen pflegen zahlreiche undurchsichtige Geschäftsbeziehungen zu Russland − ob im staatlichen Banken-, im Versicherungs- oder im Energiesektor. Bei einer EU-Integration stünden diese illegalen Geschäfte auf dem Spiel. Hinzu kommt der politische Druck aus Moskau. Russland will seinen Einfluss in der früheren Ex-Sowjetrepublik nicht verlieren. Ende März reagierte die Regierung von Chisinau und legte den geplanten Antrag auf einen EU-Beitritt vorerst auf Eis. Eine Abkehr von Europa bedeute das aber nicht, versichert der Parlamentarier Igor Corman von den regierenden Demokraten. Der frühere Botschafter in Deutschland gilt als glühender EU-Verfechter:
"Es kann passieren, dass der Weg nach Europa ein bisschen stagniert, dass wir uns nicht mit derselben Geschwindigkeit dorthin bewegen. Das kann passieren. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Moldau in andere Richtung orientiert. Das wäre tödlich für das Land."
Gleich neben dem Platz von Stefan dem Großen protestieren gerade ein paar Kleinunternehmer gegen die Regierung. Elena Zgardan schaut unbeteiligt zu.
"Etwas habe ich aus den Demonstrationen von 2009 gelernt. Wenn man gegen etwas kämpft, braucht man eine Alternative. Ich weiß derzeit, gegen wen wir kämpfen sollten, aber nicht für wen."
Die 27-jährige Zgardan hat jetzt ganz andere Pläne. In ein paar Monaten will sie ihr Land verlassen. Die IT-Managerin sucht nach einem Job im westlichen Ausland. Ihre private EU-Integration ließe sich damit deutlich beschleunigen, sagt sie.