Wenn Sie selbst depressiv sind, wenn Suizid-Gedanken Sie plagen, wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen. Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei) oder online unter https:www.telefonseelsorge.de. Eine Liste mit bundesweiten Beratungsstellen gibt es unter https:www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote/adressen.
Soziale Kontakte sind ein Schutzfaktor
09:24 Minuten
Die Pandemie verlangt viel von uns. Um die schwere Zeit zu überstehen, rät der Psychiater Klaus Lieb dazu, Kontakt zu Bekannten aufzunehmen. Wer mit der Situation nicht mehr klarkomme, solle unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Die Coronakrise prägt das Leben in Deutschland seit März vergangenen Jahres, als zum ersten Mal Kontaktbeschränkungen eingeführt wurden und Bund und Länder das öffentliche Leben herunterfuhren. Angesichts weiterhin hoher Infektionszahlen und sinkender Kapazitäten in den Krankenhäusern werden die Maßnahmen nun noch einmal verschärft. Die besonderen Lebensumstände verlangen den Menschen viel ab: 74 Prozent empfinden den Lockdown als deutlich belastend.
Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO stellt fest, dass die Pandemie und ihre Auswirkungen in erheblichem Maß Angst, Sorgen, Stress und Unruhe erzeugt. Sie führe zunehmend zu Einsamkeit, Depressionen und schädlichem Alkohol- oder Drogenkonsum. Auch mit suizidalen Verhalten sei zu rechnen, so die WHO.
Jeder hat die Kraft in sich
In dieser Situation ist Resilienz gefragt, also psychische Widerstandsfähigkeit. Die Fähigkeit, unter Stress psychisch stabil zu bleiben, sei von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt, sagt Klaus Lieb, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR): "Aber grundsätzlich hat die Kraft der Resilienz eigentlich jeder in sich. Und das ist schon mal eine gute Nachricht." Resilienz lasse sich zudem trainieren, erläutert Lieb. Es gebe Risiko-, aber auch Schutzfaktoren: "Und wenn man die kennt, kann man die aktivieren."
Es gebe zwar kein Patentrezept, wie wir mit dem Stress in der Coronakrise umgehen können, so Lieb, aber das ständige Konsumieren von Nachrichten sei schon mal ein Risikofaktor: "Ein einfacher Tipp ist also, morgens und abends einmal Nachrichten zu hören – was gibt es Neues? – und sich dann aber auch tagsüber Freiräume zu geben, wo nicht das Virus in der ersten Reihe steht, sondern andere Dinge", rät Lieb.
Ein weiterer Schutzfaktor seien soziale Kontakte: "Wenn Menschen soziale Kontakte aktivieren können, kommen sie leichter durch die Krise", sagt Lieb. Zum Glück könne man über verschiedene Medien auf vielerlei Art Kontakt mit anderen haben, es müsse nicht immer von Angesicht zu Angesicht sein: "Das wäre mein Rat, dass man zum Beispiel überlegt, welche alten Bekannten habe ich, mit denen ich schon lange keinen Kontakt mehr hatte, und dass man die einfach mal anruft." Auch Routinen im Alltag helfen: Regelmäßige Bewegung, regelmäßiger Schlaf, die Gliederung des Tages und auch der näheren Zukunft.
Emotionskontrolle und professionelle Hilfe
Hilfreich sei auch, die Emotionen ein Stück weit zu kontrollieren, meint der Resilienz-Experte: "Ich muss die Situation so akzeptieren, wie sie ist." Und dann könne man auch versuchen, tagsüber positive Gefühle zu wecken, ganz bewusst Situationen zu suchen, in denen positive Emotionen aktiviert würden.
Wenn die Depressivität hingegen anhalte, man nicht mehr aus der Situation rauskomme, sei es in jedem Fall sinnvoll, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich zum Beispiel an die Telefonseelsorge zu wenden oder an den Hausarzt. Das gelte besonders in schwereren Fällen: "Wir haben die psychiatrischen Kliniken rund um die Uhr besetzt, es kann jederzeit Hilfe angeboten werden. Und gerade wenn jemand suizidal ist, dann soll er sich auf jeden Fall dahin wenden."
(mfu)