Ressource Aufmerksamkeit

Rezensiert von Jörg Plath |
Mit der "Ökonomie der Aufmerksamkeit" erregte Georg Franck 1998 über den Kreis seiner Fachkollegen hinaus Aufsehen. Nun präzisiert der Wiener Professor für digitale Methoden in Architektur und Raumplanung in seinem neuen Buch "Mentaler Kapitalismus" seine Ausführungen und schildert die systematische Erschließung der Ressource Aufmerksamkeit.
Der Werbung und den Medien kann niemand entkommen. Keine Ware wird ohne Werbung auf den Markt geworfen, die ihr Bedeutung verleiht, und diese Werbung findet sich in Medien vor, nach und in Filmen, Nachrichten, Artikeln. Ware und Kultur wachsen zusammen. Alles wird ökonomisiert – oder, je nach Perspektive, kulturalisiert. Der Prozess setzt wie die Mechanisierung und Rationalisierung zu Beginn der Moderne gewaltige Kräfte frei.

Konkurriert wird um Aufmerksamkeit, ohne die keine Kultur und kein Individuum denkbar ist. Gemeint ist nicht die individuelle, stets emotional gefärbte Aufmerksamkeit, sondern eine homogenisierte, die in Quoten, Reichweiten, Auflagen, Zitierhäufigkeit messbar ist.

Weil diese quantifizierbare Aufmerksamkeit auf ausdifferenzierten Märkten zirkuliert und dort wie jedes Zahlungsmittel bewirtschaftet wird, spricht Georg Franck von mentalem Kapitalismus. Dessen Banken sind Medien, dessen Anleger Autoren, Musiker, Fotografen, Talkmaster, Wissenschaftler. Sie bringen Reputation mit und überlassen sie dem Medium als Einlage. Das (Massen-) Medium akquiriert Einlagen und vergibt sie wieder als Kredit, um unbekanntere Autoren, Musiker, Talkmaster oder Wissenschaftler zu promoten. Der Rohstoff dieser immateriellen Ökonomie kommt von Zuschauern, Zuhörern, Lesern. Beachten sie die Show, das Magazin, die Sendung in nennenswertem Maß, verdienen Medium und Prominente. Das Investment hat sich gelohnt, der Gewinn wird akkumuliert oder reinvestiert.

Geld spielt in diesen Transaktionen eine untergeordnete Rolle. Es wird benötigt, um die Prominenz zu rekrutieren und aufzubauen, die ihrerseits die Aufmerksamkeit verschafft, welche an die Werbewirtschaft verkauft wird. Dieser Zirkel funktioniert am besten im kostenlosen privaten Fernsehen. Diese Sender kümmern sich ausschließlich darum, was die meisten sehen und hören, wofür sie also mit Aufmerksamkeit bezahlen wollen. Er funktioniert jedoch auch, zeigt Franck, in der Wissenschaft. Oder der dekonstruktivistischen Architektur, wo die Prominenten Gehry, Eisenman und Kohlhaas heißen.

Auch im mentalen Kapitalismus gibt es Reiche und Ausgebeutete – die einen erlangen als Prominente mehr Aufmerksamkeit, als sie ausgeben, die anderen geben die ihre als Konsumenten her, ohne je welche zu erhalten. Weil das Selbstwertgefühl ohne Aufmerksamkeit verkümmert, sind die Folgen dramatisch. Georg Franck interpretiert die politische Korrektheit sowie die Identitätspolitik von ausgegrenzten Gruppen wie Schwulen, Lesben oder amerikanischen Schwarzen als Versuche von Enteigneten, sich Aufmerksamkeit und damit Selbstwertgefühl zu verschaffen.

Das Buch ist reich an solchen Beobachtungen über Gegenwart und Theoriegeschichte der letzten 30 Jahre von Pierre Bourdieus "Feinen Unterschieden" bis zur dekonstruktivistischen Philosophie eines Derrida. Es erlaubt, einen grundlegenden Blick auf die Ökonomisierung der Kultur zu werfen, die auch die vermeintlich widerständige Hochkultur, die autonome Wissenschaft und die Architektur nicht ausspart. Francks Ausführungen sind weder leicht lesbar noch lückenlos in der Argumentation. Vor allem der Zusammenhang mit der Ökonomie des Geldes, in das sich die Aufmerksamkeit doch immer wieder ummünzen lassen muss, bleibt vage. Doch "Mentaler Kapitalismus" ist eine äußerst anregende, in vielem überzeugende Zeitdiagnose.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Georg Franck: Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes
Edition Akzente. Herausgegeben von Michael Krüger
Carl Hanser Verlag. München/Wien 2005
288 Seiten, 23,90 Euro