"Kulinarischer Widerstand" gegen Braunkohleabbau
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Proschim im Süden Brandenburgs könnte der letzte deutsche Ort sein, der dem Abbau der Braunkohle weichen muss. Aber viele Einwohner denken gar nicht ans Aufgeben. Sybille Tetsch etwa hat extra ein Restaurant eröffnet, um zu zeigen: Wir bleiben hier.
Tetsch: "Ja, Proschim kann wirklich das letzte Dorf sein, das in der Lausitz von der Landkarte verschwindet – aber wir wollten den Leuten eigentlich auch zeigen, dass es – selbst wenn Proschim wegkommen sollte, was ich persönlich nicht glaube – doch Lebenszeit ist, die man verbringt, und dass man eben nach vorne guckt und dass man nicht wartet, dass irgendjemand anders entscheidet. Sondern wenn man eine Idee hat, dann sollte man einfach machen."
Wir laufen durch einen lichten Wald. Wenige hundert Meter sind es von Proschim bis zum Abgrund, zum Braunkohletagebau Welzow-Süd. Immer klarer werden die Konturen eines riesigen stählernen Gerippes. Dann: die Kante, von der es hundert Meter in die Tiefe geht.
Tetsch: "Also jetzt haben wir wirklich einen super Blick. Also hier vorne ist der erste Vorschnittbagger, der die erste Bodenschicht wegnimmt, da hinten ist der zweite, das ist die F60, die nimmt die letzten 60 Meter."
Autor: "Das ist die hier vorne?"
Tetsch: "Genau. Man sagt immer: Der liegende Eiffelturm. Man sagt immer, wenn die aufrecht steht, ist die höher als der Eiffelturm in Paris."
90 Quadratkilometer groß ist der Tagebau, so groß wie Bremerhaven oder Hildesheim, ein Ende am Horizont kaum auszumachen. Die 47-jährige Sybille Tetsch hat nach der Wende ein paar Jahre im Wendland gewohnt – und ist zurückgekehrt in ihren Heimatort:
"Ja, einmal war es halt wirklich, dass ich von hier stamme, dass meine Eltern noch hier sind, und zum anderen haben mein Mann und ich gedacht, der Widerstand hier, der braucht uns mehr als im Wendland."
Das "Schmeckerlein" soll Menschen im Dorf halten
Im Widerstand gegen die Atomkraft in Gorleben lernte sie ihren Mann Alexander kennen, der zuvor jahrelang als Microsoft-Manager um die Welt reiste. Seitdem sind sie zusammen um die Welt gereist, nach Fukushima und Tschernobyl, hielten Vorträge und schrieben Bücher gegen die Atomkraft. Und beschlossen schließlich, in Proschim ein Restaurant zu eröffnen.
Autor: "Was geht ihnen durch den Kopf, wenn sie das hier so sehen?"
Tetsch: "Dass sich der Mensch hier was rausnimmt, was er nicht darf. Dass er wirklich die Erde hier so verwundet, das geht nicht. Das geht einfach nicht. Das darf er nicht."
Tetsch: "Dass sich der Mensch hier was rausnimmt, was er nicht darf. Dass er wirklich die Erde hier so verwundet, das geht nicht. Das geht einfach nicht. Das darf er nicht."
Es ist Sonntag, die Arbeiten ruhen, nur das Surren eines Aggregats ist zu hören. Wir gehen zurück zu dem alten Haus, in dem Sybille und ihr Mann das Restaurant "Schmeckerlein" betreiben. Ein liebevoll gestalteter Garten, mit seltenen Kräutern und essbaren Blüten, die Wege mit Holzschnitzeln ausgelegt. Aus einem alten Schweinestall entstand die offene Sommerküche:
"Wir haben dann einen Steinbackofen setzen lassen. Man kann wirklich meinem Mann zugucken, wenn er hier draußen seine Flammkuchen zubereitet. Die Kinder können teilweise ihre Flammkuchen selber belegen, man sieht, wie die wirklich in den Ofen kommen."
Flammkuchen unterm Sternenhimmel
Im letzten Winter haben Sybille und Alexander Tetsch erstmals auch drinnen gekocht, an vier gediegenen Tischen reichten sie – nicht ganz billige – Menus. Schmorgerichte am Kachelofen im Winter, Flammkuchen unterm Sternenhimmel im Sommer ist das Motto. "Kulinarischen Widerstand" nennen sie das: Etwas aufbauen in einem Dorf, von dem andere wollen, dass es bald planiert wird. Zeigen, dass sie überhaupt nicht daran denken, zu gehen. Und etwas Schönes zu erschaffen, das die Menschen berührt.
Nächstes Jahr will der Betreiber, die "Leag", entscheiden, ob er den zweiten Teilabschnitt des Tagebaus beantragt.
Proschim könnte das 18. abgebaggerte Dorf werden
Über den Nachbarort Haidemühl, in Sichtweite des "Schmeckerleins", ist bereits entschieden.
"Wir haben viele Gäste im Restaurant, weil ja nun Haidemühl genau hier in unserer Nachbarschaft liegt, die zu uns dann kommen, die am Sonntag noch mal hier herfahren, die dann immer noch mal gucken, ach, wo könnte das gewesen sein – wobei wirklich die Alten gestorben sind. Mit dem Moment, wo das Haus weg war, sind die, ich sag' mal, an gebrochenem Herzen gestorben. Hier gibt es viele, die das nicht verkraftet haben."
17 Dörfer, überwiegend sorbische, wurden bislang für den Tagebau Welzow-Süd abgebaggert, Jessen, Kausche oder Radeweise ihre Namen. Sollte Proschim das 18. werden, wollen Sybille und Alexander Tetsch ihren Protest ausweiten – und sich an der Heizung anketten.