Als die Computerspiele laufen lernten
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Pacman, Tetris, Super Mario und natürlich Indiana Jones: Retro-Games aus den 80ern und 90ern sind Kult, obwohl man auf dem Bildschirm hauptsächlich grobe Pixel sieht. Spielen kann man sie heute im Netz, im Museum - oder im Hamburger Retro-Gaming-Club.
Sonntagnachmittag im Hamburger Stadtteil Horn. Als ich den Retro-Gaming Club betrete, schlagen mir die Titelmelodien diverser Spiele um die Ohren. Außerdem ein lautes Fiepen. An drei langen Tafeln werfen Robin Lösch und Patrick Becher gerade die Geräte an.
"Wir haben hier einen Atari VCS, das ist eins der allerersten Konsolengeräte mit einem grottenhässlichen Pacman", sagt Robin Lösch. "Hässlicher geht’s nicht – aber das muss einfach dabei sein, weil, das war der erste Pacman, der für Privatleute spielbar war. Das ist natürlich interessant zu zeigen: so fing das damals an. Und da ist auch nicht die Grafik kaputt oder der Sound kaputt, wie man denken könnte. Das war damals so. Als ich das hier getestet habe, hatte ich den Sound recht laut an und dann schrie der Kollege von unten: 'Oh Gott, was ist explodiert? Was hast du kaputt gemacht?' Und ich so: 'Nein, das ist Musik'."
Der Atari VCS ist nur eines von vielen Modellen aus der Zeit der frühen Heimcomputer. Im Retro-Gaming Club "Com Illusion" findet man außerdem alte Amiga- und C64-Geräte, erste Nintendo- neben jüngeren Spielekonsolen aus den 1990ern.
Auch ältere Damen gehören zu den Gästen
In hohen Regalen an den Raumwänden sind die dazugehörigen Spiele fein säuberlich einsortiert. Lägen da nicht so viele Joysticks und Konsolen auf den Tischen, könnte man meinen, man sei in einer Bibliothek gelandet. Sogar eine Leseecke mit alten PC-Zeitschriften gibt es – ebenfalls Originale aus den 1980er-Jahren. Der helle Raum entspricht nicht unbedingt dem Klischee einer männlichen Gaming-Höhle.
"Für die armen Großstädter, die kein Man-Cave haben und sich da abschotten können, gibt’s halt hier die Möglichkeit, ein offenes Man-Cave zu haben", sagt Patrick Becher.
"Oder ein Girl-Cave", ergänzt Robin Lösch. "Was uns nämlich aufgefallen ist, wir haben bei der Eröffnung blöd geguckt, das muss man sagen. Da waren einige Mädels da und auch ältere Damen, und einige wollten den Laden am liebsten gar nicht mehr verlassen. Das ist ein gutes Zeichen, dass sich in den letzten Jahren einiges getan hat. Wir hatten hier an einigen Geräten wirklich viele Frauen spielen. Die wollten eigentlich nur als Begleitung vorbei kommen oder mal kurz gucken, aber die hat’s dann doch auch gepackt – das war sehr spannend.
Die große Sammlung an Spielen und Geräten ist nicht nur Ergebnis einer reinen Sammelleidenschaft. Kennengelernt haben sich die beiden in den 1990ern als Kollegen in einem Spieleverleih. Danach betrieben sie einen An-und Verkauf neben ihrer Arbeit als Pressefotografen.
Als im Radio Computerspiele ausgestrahlt wurden
Für den eigenen Podcast "Retrokompott" teilen die beiden schon seit fünf Jahren ihr Wissen über Homecomputer, Spielekonsolen und Games. Über Tausend Hörer und Hörerinnen lauschen regelmäßig, und das, obwohl die längste Podcast-Folge über zehn Stunden dauert. Fast so ausufernd wie frühere LAN-Partys - Computerspielen im gemeinsamen Netzwerk.
Auch dazu hat man im Retro-Gaming-Club in Hamburg die Möglichkeit. Eine Tischgruppe ist nur dafür vorgesehen.
Ansonsten spielt jeder an seinem eigenen Gerät Tetris, Pac Man oder diverse Jump'n'Run-Spiele und darf mit geliehenen oder eigenen Kopfhörern den Bit Sounds lauschen.
"Es gab sogar im Radio Computersendungen", sagt Robin Lösch. "Die haben Spiele ausgestrahlt. D.h. mitten in einer Radiosendung hieß es dann 'wir übertragen jetzt das Spiel XY'. Dann fing es eine halbe Stunde an zu piepen und man hat das Piepen auf Kassette aufgenommen, danach in seinen Rekorder vom Computer gesteckt und konnte dann das Spiel spielen. Auch das gab es damals in den End-Achtzigern. Da gab es nachts Computersendungen, wo Piep-Töne ausgestrahlt wurden."
Einen Komponisten-Veteranen aus der Bit-Zeit wollen Lösch und Becher zu einem Talk in ihren Club einladen. Auch Workshops sollen hier stattfinden. Auf einer Fläche mit ca. 50 Spieleplätzen kann man den Übergang von 2D- zu 3D-Spielen selbst nacherleben. Ein Museum, das spielbar ist.
Sehnsucht nach greif- und verstehbarer Technik
"Wir haben ja hier nicht als Hauptziel einen kommerziellen Zweck", sagt Robin Lösch. "Wir wollen den Kram bewahren, erhalten. Wir wollen, dass die Leute an die Sachen wieder rankommen, weil, kein normaler Mensch kann sich die Sachen so zu Hause hinstellen, auch nicht in der Menge. Denn die Geräte sind sehr anfällig, kosten viel Geld im Verhältnis, verbrauchen viel Strom und sind schwer zu bedienen. Wir haben da ein Gerät, da mussten wir selber jemanden fragen, wie man von da ein Spiel lädt, weil da musste man drei Tasten gleichzeitig drücken, bis zu einem Piepton warten, noch eine Taste drücken und gleichzeitig die Kassetten anschalten. Das wussten wir auch nicht. Und deswegen muss so etwas erhalten werden."
"Wir sind halt 'nur' 1972 und 76 geboren", sagt Patrick Berger. "Und es gibt auch Systeme, die sind vor unserer Zeit."
Ob Tetris, Pacman, Gianna Sisters oder Super Mario – das Old-school-Spielen im Retro-Gaming Club erinnert an gesellige Zeiten mit Konsolen auf dem Sofa und holt die ab, die mit den Spielen aufgewachsen sind.
Der Retro-Trend boomt aber und die Nostalgie für 80er-Jahre-Kultur hat sich mit Hilfe von Serien wie "Stranger Things" auch schon längst auf jüngere Generationen übertragen.
Die sehnen sich vielleicht ein bisschen nach greifbarer Technik zum Anfassen und Verstehen. An eine Zeit ohne Smartphone und Internet. Wer dieses Gefühl der 1980er-Jahre einatmen möchte, ist im Retro-Gaming-Club in Hamburg genau richtig aufgehoben.