Retrospektive für Alexander Payne

"Ich mag die erzählerische Sparsamkeit des Kinos"

Der amerikansiche Regisseur Alexander Payne vor seinem Foto.
Der amerikansiche Regisseur Alexander Payne vor seinem Foto. © dpa / picture alliance / Felix Hörhager
Moderation: Susanne Burg und Patrick Wellinski |
Der US-Regisseur Alexander Payne wurde mit Filmen wie "About Schmidt" und "Nebraska" bekannt. Das Filmfest München widmet ihm in diesem Jahr eine Retrospektive. Wir wollten von ihm wissen, was ihn an Lebenskrisen fasziniert - und warum er nicht zum Fernsehen will.
Susanne Burg: Ist es nicht ein bisschen früh für eine Retrospektive?
Alexander Payne: Ich habe definitiv das Gefühl, dass ich mich noch am Anfang meiner Karriere befinde, auch wenn Sie das für merkwürdig halten. Ich habe erst sechs abendfüllende Spielfilme gemacht. Entweder, könnte ich sarkastisch anmerken, wie verzweifelt das Münchener Filmfest ist, oder ich kann es einfach im gleichen Geiste annehmen, mit dem mir das Münchener Filmfest den High-Hopes-Award verliehen hat, der jetzt Television Award heißt, vor 18 Jahren, für den besten Erstlingsfilm, es also als Ermutigung sehen, was wir Filmemacher in allen Lebensphasen brauchen können.
Patrick Wellinski: Sie arbeiten schon sehr lange. Was ist es, was Sie noch antreibt? Was macht Ihnen noch Spaß am Filmemachen?
Payne: Wie Monica Vitti in "L'Avventura" sagt: Warum? Wer weiß, warum wir Filme machen, warum wir unser Leben dieser Hurengöttin Kino opfern? Ich habe keine Ahnung. Alle lieben Filme. Und manche verlieben sich eben mehr in Filme als andere. Wir fragen uns dann, ob die Liebe fürs Filmeschauen sich auch in Liebe fürs Filmemachen umwandeln lässt. Dann finden wir heraus, dass wir es in der Tat lieben, welche zu machen. Und dann ist es sowohl ein Segen als auch ein Fluch. Und das lebenslänglich, weil es wirklich schwierig und frustrierend ist. Das sage ich auch immer jungen Filmemachern, wenn sie über eine Kinokarriere nachdenken, dass sie eine enge Freundschaft mit der Verzweiflung eingehen müssen. Aber man jagt immer den Drachen, um mal eine Metapher aus der Drogenwelt zu nehmen. Am Anfang hat man einen guten Trip, und dann jagt man nur noch den Drachen.
Wellinski: Wenn man sich Ihr Werk ansieht, dann fällt auf, dass Sie sich relativ schnell in das Roadmovie verliebt haben. Was lieben Sie am Roadmovie?
Payne: Eigentlich mag ich Roadmovies gar nicht so sehr, ich mache nur immer wieder welche. Und ich weiß nicht wirklich, warum.
Jack Nicholson erhält den Golden Globe für seine Rolle in "About Schmidt", 2003
Jack Nicholson erhält den Golden Globe für seine Rolle in "About Schmidt", 2003© AP
Filme über Männer in Lebenskrisen
Burg: Abgesehen von den Roadmovies fällt auch auf, dass in vielen Ihrer Filme es um Männer in Lebenskrisen geht. Wenn man nimmt "About Schmidt", "Sideways", "Nebraska" – das sind alles Filme, bei denen es darum geht. Haben Sie eine Erklärung, woher das kommt?
Payne: Jetzt bringen Sie mich dazu zu denken, dass ich mich wiederhole und keine neuen Filme mache. Aber die andere Antwort, die ich darauf habe, und, verzeihen Sie, ich habe schon ähnliche Fragen beantwortet, ist, dass vieles davon unbewusst passiert. Diese Frage sollte nicht nur an mich gerichtet sein, sondern auch an Jim Taylor, meinen Koautor bei den ersten vier Filmen. Vielleicht ist es so, dass der Mann, der in der Mitte seines Lebens eine Krise hat und plötzlich seine Grenzen erkennt, eine Art komischer Archetypus ist, mit dem wir uns gerne befassen.
Wellinski: Es gibt auch so eine Art Alexander-Payne-Ton. Es ist eine Art Komödienton, ein satirischer Ton – ist es ein Weg, wo Sie vielleicht mehr begreifen über uns und den Menschen?
Payne: Meine Motivation, Filme zu machen, ist nicht die, eine bestimmte Geschichte zu erzählen oder einen bestimmten Ton zu vermitteln. Es ist die, einen Film zu machen. Ich mag einfach den Akt des Filmemachens. Und beim Machen kommen eine Geschichte und ein bestimmter Ton heraus. Ich werde oft zur Mischung von Comedy und Drama gefragt oder Comedy und Pathos. Aber das ist gar nicht so etwas Neues. Sogar im alten Griechenland gab es die Komödien- und die Tragödienmaske. Aber die Masken waren nicht getrennt, sondern immer zusammen. Das Leben ist keine einzelne Note, sondern ein ganzer Akkord. Ich bin froh, wenn das in meinen Filmen so durchscheint. Sie haben exzellente Fragen, aber viele Antworten lauten einfach nur: Weiß ich nicht, Mann! Das ist unbewusst.
Burg: Sie sind, habe ich gelesen, ein großer Fan von Stummfilmregisseuren wie Charlie Chaplin, Buster Keaton, Harold Lloyd. Gleichzeitig weiß man, dass Sie sehr, sehr akribisch an den Dialogen Ihrer Filme arbeiten. Nichts wird dem Zufall überlassen. Wie passt das zusammen?
Payne: Wir leben ja in der Zeit des Tonfilms. Also muss ich auch Dialoge in meinen Filmen haben. Aber in meinen Filmen sind meine Lieblingsszenen die, die ohne Dialoge auskommen. Bei denen macht es mir am meisten Spaß, Regie zu führen. Wie Sie wissen, wehrt sich das Kino gegen den Dialog. Das Theater dagegen liebt den Dialog, wenn Handlung und Figur vollkommen durch den Dialog ausgedrückt werden. Aber das Kino mag das nicht so sehr. Das Kino interessiert sich mehr für Bewegung und Körper und Räume, Montage, die Gegenüberstellung von Bildern. Aber ich freue mich, wenn Sie meine Dialoge mögen.
Wellinski: Sie arbeiten jetzt schon sehr lange an Ihren Filmen und an Ihrer Art des Filmemachens. Würden Sie sagen, es ist schwerer geworden, diese Art von Filmen zu machen heute in Amerika?
Payne: Ich denke, es hat alles mit Geld zu tun, und bis zu einem bestimmten Budget-Level läuft es bei mir ganz gut, solange ich ein anständiges Drehbuch habe. Ich habe jetzt gerade die verrückte Idee, einen viel teureren Film zu machen mit visuellen Effekten. Also wünschen Sie mir Glück! Aber alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass es in großen Höhen Turbulenzen gibt.
Burg: Es ist interessant, dass Sie das sagen, weil Ihr letzter Film, "Nebraska", war keiner mit einem großen Budget. Sie haben ohne A-List-Stars gedreht, dazu noch in Schwarz und Weiß, eigentlich Kassengift. Aber der Film war erfolgreich in den Staaten. Ist das für Sie nicht ein Beweis dafür, dass man eben in den USA nicht nur mit Blockbustern Geld verdienen kann?
Payne: Er lief nicht so gut. Er kostete 13 Millionen und spielte 17 oder 18 Millionen Dollar ein. Ich weiß nicht, ob er in Deutschland gut lief, wahrscheinlich nicht. Es will wohl niemand einen Schwarzweißfilm sehen. Man hatte mich gewarnt. Die Studios wollen ihre Energie eher in die großen Blockbuster-Filme stecken. Da gibt man zwar anfangs mehr aus, verdient aber am Ende auch mehr. Auf der anderen Seite befinden wir uns im goldenen Zeitalter des Fernsehens, und viele der Autoren und Regisseure, die gestern noch fürs Kino gearbeitet haben, arbeiten jetzt fürs Fernsehen. Ich werde auch oft gefragt, ob ich gern fürs Fernsehen arbeiten würde. Und meine Antwort darauf lautet, dass ich noch an Filme glaube. Ich denke, es muss noch Leute geben, die versuchen, interessante, intelligente und erwachsene Komödien und Tragödien fürs Kino zu machen.
Die Moderatoren Susanne Burg und Patrick Wellinski berichten live vom Filmfest München 2015 .
Die beiden "Vollbild"-Moderatoren Susanne Burg und Patrick Wellinski in München© Deutschlandradio Kultur / Noemi Schneider
Freiheiten gibt es auch beim Kino
Wellinski: Einige Ihrer Kollegen sagen ja, dass sie jetzt mehr Freiheiten haben, wenn sie im Fernsehen arbeiten. Vermissen Sie nicht diese Art von Freiheit auch irgendwo?
Payne: Ich habe diese Freiheit auch noch beim Kino, unter einer bestimmten Budgetgrenze. Aber ja, Steven Soderbergh, der jetzt fürs Fernsehen arbeitet, hat mir gesagt, dass es beim Fernsehen so viel besser ist als beim Film. Weil es beim Film oft so Ängste seitens der Studios gibt, das sie sagen lässt, also dieses künstlerische Zeug, was du da machst, mach es nicht. Mach es kommerzieller. Beim Fernsehen, so erzählt er, sagen sie ihm: Wir wollen dieses Zeug, das du machst. Und das ist sehr schön. Das Beispiel, das ich oft heranziehe, ist der Film "Der Pate". Wäre "Der Pate" mit 60 Stunden Länge noch ein guter Film gewesen? Bestimmt. Sie hätten sicher auch mit 60 Stunden etwas Gutes hingekriegt. Aber ist es mit sechs Stunden Länge ein guter Film? Ja. Und ich ziehe generell die narrative Sparsamkeit und visuelle Breite, die man beim Kino hat, dem Fernsehen vor. Beim Fernsehen weiß ich das endlose Enthäuten der Zwiebel zu schätzen, das man da mit Charakteren und Geschichten durchführen kann, wenn jedes Mal etwas Neues dazu kommt. Das ist großartig. Aber ich mag einfach Filme und ihre erzählerische Sparsamkeit.
Burg: Wenn Sie sagen, das Visuelle ist es, was Sie reizt am Kino, welche Bedeutung haben für Sie Landschaften? Sie haben viel auch in ländlichen Gegenden gedreht, in Hawaii, in den Südstaaten, in Nebraska.
Payne: Jeder Filmemacher hat seine Vorlieben. Und eine meiner Vorlieben ist einfach eine Art von dokumentarischer Herangehensweise an das Erzählkino, an den Spielfilm. Ich weiß nicht warum, aber ich zeige gern den Ort, an dem eine Geschichte stattfindet. Das beeinflusst meine Auswahl der Drehorte. Kalifornien, Hawaii, Nebraska, wie Sie sagten. Aber es beeinflusst auch die Wahl der Kameralinsen, den Einsatz von weiteren Objektiven, um auch den Hintergrund von dem zeigen zu können, was da gerade passiert.
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