Spannende Gegenüberstellung

Das Bozar zeigt eine Schau des Künstlers Michaël Borremans, der Eindeutigkeiten in seinen Werken vermeiden möchte und Gemälde stets für eine Lüge hält. Im Gegensatz dazu sind die Werke des spanischen Barockmalers Francisco de Zurbarán, der gleichzeitig ausgestellt wird, Verheißung.
"These two works are like manifests for me.“
Michaël Borremans steht im ersten der insgesamt zehn Ausstellungsräume des Bozar. Der flämische Malerstar zeigt zum einen auf ein überdimensional großes Porträt eines barfüßigen Mannes in heller Hose und rosafarbenem Hemd. Er hält einen dicken Ast in der Hand und schaut am Betrachter vorbei in die Weite.
"Das Bild trägt den Titel 'Der Vermeider'. So wie es alle meine Bilder versuchen, zu vermeiden, eine klar lesbare Ikonografie zu transportieren. Sie vermeiden es, erklärbar und definierbar zu sein. Diese männliche Figur tut dies auch. Er könnte jeder sein. Er ist ganz klar ein Schauspieler, der von künstlichem Licht angestrahlt wird, sein Schatten wird auf die Wand geworfen. Er könnte ein König oder ein Bettler sein, ein Hirte, ein Flaneur oder Christus. Man kann darin sehen, was man will!“
Dem gegenüber hängt ein kleines Porträt, das einen bärtigen Mann zeigt, der seine Nase berührt. Im altmeisterlichen Stil gehalten, der in seinen Hell-Dunkel-Kontrasten an Caravaggio erinnert, ist es ein symbolhaft aufgeladenes Bild, das ebenso etwas über Michaël Borremans künstlerisches Selbstverständnis verrät:
"Wenn dir jemand eine Geschichte erzählt und dabei seine Nase berührt, bedeutet das körpersprachlich, dass er lügt. Das gilt auch für ein Gemälde. Es ist immer eine Lüge. Aber Lügen sind interessant.“
Gefühle des Unbehagens
Im Gegensatz dazu sind die Gemälde des spanischen Barockmalers Francisco de Zurbarán Verheißungen. Denn sie suchen im katholischen Glauben nach Antworten auf das irdische Leben. Die im Brüsseler Bozar parallel zur Borremans-Retrospektive gezeigte Schau zum spanischen Altmeister des 17. Jahrhunderts ermöglicht eine spannende Gegenüberstellung. Obwohl mehrere Jahrhunderte zwischen Zurbarán und Borremans liegen, weist deren jeweilige Bildsprache einige Gemeinsamkeiten auf.
"Die Intensität seiner Arbeit und die Introspektion sind sehr wichtig. Und das sind auch Elemente, mit denen ich mich beschäftige. Das ist eine interessante Parallele.“
Genauso wie auf Borremans Bildern, in seinen Zeichnungen und Filmarbeiten, durchzieht auch Zurbaráns Gemälde aus der Zeit der Gegenreformation ein Gefühl des Unbehagens. Zurbaráns Heiligenporträts sind die Versinnbildlichung einer Sinnsuche, die im Himmel ihre Erfüllung finden soll. Rosen, als Symbol Mariens, fallen auf betende Mönche hinab, die ehrfürchtig gen Himmel schauen.
Bei Michaël Borremans gibt es auch Rosen. Aber sie sind nur schemenhaft auf einer Tapete zu erkennen, bleiben nichts als Dekoration und passen so gar nicht zu dem nackten Männertorso, auf dem ganz viele Muttermale zu sehen sind. Eine Rosentapete anstatt eines Himmels. Das bietet Borremans Weltsicht an. Bei ihm existiert kein Heil, das von Oben kommt. Daher heben seine Figuren weder den Blick, noch schauen sie den Betrachter direkt an. Arme und Hände sind schwer und hängen am Körper herunter. So wie es auf dem 2013 gemalten monumentalen Porträt "The Angel“ zu sehen ist.
"Die Bewegung geht nach innen, in den Körper. Aber es ist ein Engel ohne Flügel. Und richtige Engel sind für mich Kreaturen, die einen von einem zum anderen Ort bringen. Ich habe meinen eigenen Engel gemalt. Denn ich habe mein Atelier gewechselt. Es ist eine ehemalige Kapelle. Deshalb habe ich das Bild wohl auch 'Engel' genannt. Es war das erste Motiv, das ich dort malte. Dieser Engel ermöglichte mir den Übergang von einem zum anderen Ort. Deshalb ist es ein wichtiges Bild für mich. Es ist eine sehr aufgeladene Leinwand. Aber der Engel ist anonym. Denn ich habe ihm ein schwarzes Gesicht gemalt. Die schwarze Farbe spielt auf den Tod und die Schuld an.“
Wiederkehrende Motive
In seiner umfassenden Ausstellung "As sweet as it gets" zeigt Michaël Borremans rund 100 Arbeiten aus den letzten 20 Jahren. Auffällig ist, dass einige Details, die auf großen Bildern zu sehen sind - wie zum Beispiel ein roter, trichterartiger Rock- in filigranen Zeichnungen oder auf kleinen Leinwänden als alleinstehendes Motiv wiederkehren. Das sind keine einfallslosen Wiederholungen, sondern Variationen einer Bildidee, die immer wieder neu malerisch betrachtet und ausgelotet wird.
Dieses Verfahren ist auch bei Francisco de Zurbarán erkennbar. So sieht man auf dem großformatigen Bild "Die wundersame Genesung des heiligen Reginald“ aus dem Jahr 1626/1627 einen Tisch mit einer weißen Tasse nebst einer Rose. Das Behältnis wird im Jahr 1630 schließlich zu einem eigenen Stillleben und wurde aus der Londoner National Gallery für Brüssel entliehen.
Man muss nicht auf Teufel komm raus Michaël Borremans mit dem barocken Altmeister vergleichen. Jedoch verführen die beiden parallel laufenden Ausstellungen dazu. Und verführen wollen doch beide Maler. Außerdem lässt sich im direkten Vergleich zu Francisco de Zurbarán erkennen, wie meisterhaft wiederum auch Borremans arbeitet, wie er mit Licht und Schatten spielt oder Stoffe malerisch und zeichnerisch an seinen Figuren entlang drapiert. Letztendlich sind Michaël Borremans kleine Zeichnungen jedoch viel monumentaler und beeindruckender als seine überdimensional großen Leinwände.