Rettet die Bücher!
Der Romancier und Wissenschaftler Umberto Eco ist ein echter Büchernarr. In seinem Haus sammelt er Unmengen davon. Und was diese Leidenschaft in praktischer und intellektueller Hinsicht bedeutet, kann man jetzt aus seinem neuen Essayband "Die Kunst des Bücherliebens" erfahren.
Umberto Eco bewohnt in Mailand ein ehemaliges Hotel, und das ist kein Zufall. In den labyrinthischen Gängen kann er Unmengen von Bücherregalen unterbringen. Auch in seinem Haus auf dem Land hat der 1932 in Alessandria geborene Zeichentheoretiker Platz für seine Schätze. Umberto Eco produziert nämlich nicht nur selbst unaufhörlich gelehrte Werke, sondern ist ein manischer Büchersammler.
Was diese Leidenschaft in praktischer und intellektueller Hinsicht bedeutet, kann man jetzt aus seinem neuen Essayband "Die Kunst des Bücherliebens" erfahren. In drei Abteilungen behandelt der Wissenschaftler Fragen der Bibliophilie, widmet sich verschiedenen historischen Büchern vom "Book of Lindisfarne" bis zu den Ausgaben eines alchemistischen Werkes von Heinrich Khunrath aus dem 17. Jahrhundert, erzählt von literarischen Narren und liefert als Aperçu noch den inneren Monolog eines E-Books. Eine innere Systematik mit aufeinander aufbauenden Kapiteln hat der Band nicht, da ein Teil der Texte aus einem konkreten Anlass heraus entstand: Neben verschiedenen Vorträgen findet sich zum Beispiel das Vorwort zu Benedetto Bordones "Insulario" oder die Einführung zu Howard Blochs "God Plagiat’s". Manche der Texte sind eher für Experten gedacht – dennoch stellt sich insgesamt der typische Eco-Effekt ein: Man wird auf unnachahmlich gebildete und unterhaltsame Art und Weise über bibliophile Fragen und allerlei kuriose Erscheinungen aus der Welt der Bücher unterrichtet.
Durch die Virtualisierung des Wissens droht die Buchkultur, die über Jahrtausende zur Grundausstattung der Zivilisation gehörte, verloren zu gehen. Zwar ist das Internet potenziell ein unendlicher Speicher, aber gerade die schiere Masse wird zu einer Bedrohung: "Es gibt kein größeres Schweigen als den absoluten Lärm, und das Übermaß an Informationen kann zu absoluter Ignoranz führen." Wissen abrufen zu können, ist nur der erste Schritt – ohne die Fähigkeit der Interpretation und Bewertung nützt die Verfügbarkeit von Wissen gar nichts. Durch die Lektüre von Büchern haben wir die Möglichkeit, mehrfach zu leben: Mit Proust ruft man sich Kinderspiele in Erinnerung, mit Jim Hawkins und der Suche nach seiner Schatzinsel fallen einem eigene jugendliche Allmachtsphantasien ein, und mit Ariost kann man sich in Liebesabenteuern erproben. Eco versteht das Buch als eine Lebensversicherung, als eine kleine Vorwegnahme der Unsterblichkeit. Wir lernen außerdem, dass Bibliophilie keine teure Angelegenheit sein muss – eher eine für unverbesserliche Schnüffler.
Im Verlauf des Bandes erfahren wir Details zu den Lesarten der Monatsminiaturen der "Très Riches Heures du Duc de Berry", die dem 20-jährigen Eco den Weg ins Mittelalter ebneten. Aufschlussreich sind Gutachten, mit denen Verlage einst Werke der Weltliteratur ablehnten. Melvilles "Moby- Dick": zu lang! Flauberts "Madame Bovary": zu viele Details! Prousts Recherche: Da wälzt sich jemand 30 Seiten lang nur im Bett rum – zu langweilig! Auch mit der Frage, ob Shakespeare nun eigentlich Shakespeare war, beschäftigt sich der Professor für Zeichentheorie. Und schließlich erteilt er einem E-Book das Wort. Voller Stolz brüstet sich das E-Book der Textmenge, die es beherbergen kann. Aber am Ende wird es von einer Identitätskrise gepackt: wer, um Himmels willen, ist es eigentlich?
Rezensiert von Maike Albath
Umberto Eco: Die Kunst des Bücherliebens
Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber
Carl Hanser Verlag, München 2009
82 Seiten, 16 Euro
Was diese Leidenschaft in praktischer und intellektueller Hinsicht bedeutet, kann man jetzt aus seinem neuen Essayband "Die Kunst des Bücherliebens" erfahren. In drei Abteilungen behandelt der Wissenschaftler Fragen der Bibliophilie, widmet sich verschiedenen historischen Büchern vom "Book of Lindisfarne" bis zu den Ausgaben eines alchemistischen Werkes von Heinrich Khunrath aus dem 17. Jahrhundert, erzählt von literarischen Narren und liefert als Aperçu noch den inneren Monolog eines E-Books. Eine innere Systematik mit aufeinander aufbauenden Kapiteln hat der Band nicht, da ein Teil der Texte aus einem konkreten Anlass heraus entstand: Neben verschiedenen Vorträgen findet sich zum Beispiel das Vorwort zu Benedetto Bordones "Insulario" oder die Einführung zu Howard Blochs "God Plagiat’s". Manche der Texte sind eher für Experten gedacht – dennoch stellt sich insgesamt der typische Eco-Effekt ein: Man wird auf unnachahmlich gebildete und unterhaltsame Art und Weise über bibliophile Fragen und allerlei kuriose Erscheinungen aus der Welt der Bücher unterrichtet.
Durch die Virtualisierung des Wissens droht die Buchkultur, die über Jahrtausende zur Grundausstattung der Zivilisation gehörte, verloren zu gehen. Zwar ist das Internet potenziell ein unendlicher Speicher, aber gerade die schiere Masse wird zu einer Bedrohung: "Es gibt kein größeres Schweigen als den absoluten Lärm, und das Übermaß an Informationen kann zu absoluter Ignoranz führen." Wissen abrufen zu können, ist nur der erste Schritt – ohne die Fähigkeit der Interpretation und Bewertung nützt die Verfügbarkeit von Wissen gar nichts. Durch die Lektüre von Büchern haben wir die Möglichkeit, mehrfach zu leben: Mit Proust ruft man sich Kinderspiele in Erinnerung, mit Jim Hawkins und der Suche nach seiner Schatzinsel fallen einem eigene jugendliche Allmachtsphantasien ein, und mit Ariost kann man sich in Liebesabenteuern erproben. Eco versteht das Buch als eine Lebensversicherung, als eine kleine Vorwegnahme der Unsterblichkeit. Wir lernen außerdem, dass Bibliophilie keine teure Angelegenheit sein muss – eher eine für unverbesserliche Schnüffler.
Im Verlauf des Bandes erfahren wir Details zu den Lesarten der Monatsminiaturen der "Très Riches Heures du Duc de Berry", die dem 20-jährigen Eco den Weg ins Mittelalter ebneten. Aufschlussreich sind Gutachten, mit denen Verlage einst Werke der Weltliteratur ablehnten. Melvilles "Moby- Dick": zu lang! Flauberts "Madame Bovary": zu viele Details! Prousts Recherche: Da wälzt sich jemand 30 Seiten lang nur im Bett rum – zu langweilig! Auch mit der Frage, ob Shakespeare nun eigentlich Shakespeare war, beschäftigt sich der Professor für Zeichentheorie. Und schließlich erteilt er einem E-Book das Wort. Voller Stolz brüstet sich das E-Book der Textmenge, die es beherbergen kann. Aber am Ende wird es von einer Identitätskrise gepackt: wer, um Himmels willen, ist es eigentlich?
Rezensiert von Maike Albath
Umberto Eco: Die Kunst des Bücherliebens
Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber
Carl Hanser Verlag, München 2009
82 Seiten, 16 Euro