Rettung für die "Boat People"

Von Otto Langels |
Der Vietnamkrieg endete 1975 mit dem Sieg des kommunistisch geführten Nordens und der Wiedervereinigung mit dem Süden. Aus Angst vor Repressalien flohen Hunderttausende Vietnamesen über das Meer, wo sie entweder Stürmen oder Piraten zum Opfer fielen. Um den Flüchtlingen zu helfen, gründete der Journalist Rupert Neudeck das Komitee "Ein Schiff für Vietnam" und charterte den Frachter "Cap Anamur".
"Unser Schiff war ungefähr drei Tage auf dem Meer. Wir sind schon über das Hoheitsgebiet hinausgekommen. Wir hatten Pech, dass unsere Maschine defekt ging und das Schiff nur noch auf dem Meer weiter treiben konnte."

Seit dem 13. August 1979 kreuzte die "Cap Anamur" im Südchinesischen Meer, auf der Suche nach vietnamesischen Flüchtlingsbooten. Der heute in Deutschland lebende Ho Tuong war damals zehn Jahre alt und ohne seine Eltern unterwegs. Er gehörte zu den ersten, die auf hoher See von der Besatzung der "Cap Anamur" an Bord des Rettungsschiffes geholt wurden.

Der Exodus der sogenannten "Boat People" hatte nach dem Ende des Vietnamkrieges und der Wiedervereinigung des Nordens mit dem Süden Mitte der 70er-Jahre begonnen. Viele Südvietnamesen fürchteten die Arbeits- und Umerziehungslager des kommunistischen Regimes. Ihnen drohten Umsiedlungsaktionen und wirtschaftliche Sanktionen. Zudem vertrieb die Regierung als Reaktion auf die politischen und militärischen Konflikte mit der Volksrepublik China systematisch die eigene chinesische Minderheit. Wer das Land auf dem gefahrvollen Seeweg verlassen wollte, musste bis zu 2500 Dollar zahlen, eine Summe, die vor allem ärmere Vietnamesen nicht aufbringen konnten. Dennoch flohen Monat für Monat mehrere Zehntausend "Boat People" und setzten sich dem stürmischen Wetter und den Angriffen von Piraten aus.

Dies war Anlass genug für den Kölner Journalisten Rupert Neudeck und seine Ehefrau Christel, Anfang 1979 die Initiative "Ein Schiff für Vietnam" zu gründen.

"Das war für mich eine totale Automatik. Ich wusste, ich kann nicht nicht etwas tun. Wir müssen versuchen, etwas zu tun, um wenigstens das Massensterben, das Massenertrinken im Südchinesischen Meer zu unterbrechen."

Angesichts der dramatischen Bilder von den hilflosen Menschen in kleinen Booten fanden die Neudecks rasch großen Zuspruch.

Unterstützung erhielt das Komitee von prominenten Politikern und Schriftstellern wie Norbert Blüm, Martin Walser und dem Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll.

"Die Information über die Flüchtlingsbewegung in dieser Region hat gezeigt, wie hilflos wir den Problemen gegenüber sind, die wir zum Teil selber schaffen."

In kurzer Zeit sammelte das Komitee über eine Million Mark Spendengelder. Der nächste Schritt war, ein großes Schiff zu chartern, das möglichst viele Boat People aufnehmen konnte.

"Dieses Schiff habe ich dann in Kobe, Japan, gefunden, das war gerade zur Versteigerung freigegeben. Ein deutscher Reeder hatte das ersteigert. Und das hatte einen ganz komischen Namen. Das hieß nämlich Cap Anamur."

Den knapp 120 Meter langen Frachter "Cap Anamur", benannt nach einem Kap an der türkischen Küste, ließ das Komitee zu einem Hospitalschiff umbauen. Anfang August 1979 verließ die "Cap Anamur" den japanischen Hafen und erreichte am 13. August das Südchinesische Meer – die Fluchtroute von Zehntausenden Vietnamesen.

"Ich habe alles verloren. Auf dem Weg von Vietnam nach Malaysia sahen wir ein thailändisches Boot. Sie attackierten uns und raubten uns aus. Sie nahmen uns alles weg, was wir noch hatten: Dollars, Schmuck, Wertgegenstände. Wir hatten sieben Tage nichts zu essen, kein Wasser, gar nichts. Meinen Mann musste ich in Vietnam zurücklassen. Er ist für fünf Jahre ins Gefängnis eingesperrt worden, weil er in der alten Armee Offizier gewesen war. Ich habe ihn sehr lange nicht gesehen, und er darf Vietnam nicht verlassen",

berichtete 1979 eine Vietnamesin nach ihrer Flucht. Schätzungsweise 1,6 Millionen Vietnamesen versuchten auf dem Seeweg ins Ausland zu gelangen. 250.000 Menschen fanden dabei den Tod. Bis 1986 kreuzte die "Cap Anamur" im Südchinesischen Meer, was den Helfern den Vorwurf einbrachte, weitere Vietnamesen zur Flucht zu ermuntern. Insgesamt 10.000 Boat People fischte das Schiff aus dem Wasser, darunter Huy Hung Nyen. Er fand, wie alle Geretteten der "Cap Anamur", Aufnahme in Deutschland, nachdem die bundesdeutschen Behörden ihre ablehnende Haltung aufgegeben und Unterkünfte bereitgestellt hatten.

"Ich hab schon echt Glück zu den anderen Menschen. Ein Freund von mir, der hatte auch eine Schwester. Bei der Flucht kamen auch die thailändischen Piraten. Und die haben seine Schwester mitgenommen. Und seitdem hat er nichts mehr gehört."