Revolution ohne Blutvergießen

Von Victoria Eglau |
Im 19. Jahrhundert wächst in Lateinamerika der Widerstand gegen die spanische Krone - auch Paraguay will unabhängig werden. Doch während bei Kämpfen in andern Ländern unzählige Menschen sterben, wird in Paraguay nicht eine Kanonenkugel abgefeuert.
1767. Die spanische Krone gründet in Südamerika das Vize-Königtum Río de la Plata mit der Hauptstadt Buenos Aires. Die riesige Verwaltungseinheit des Kolonialreiches umfasst das heutige Argentinien, Teile Chiles, Bolivien, Uruguay und Paraguay. Gut vier Jahrzehnte später ist das Mutterland Spanien besetzt von napoleonischen Truppen. In Buenos Aires stellt eine Gruppe einheimischer Militärs und Politiker die Autorität des spanischen Vize-Königs in Frage. Im Mai 1810 bricht die Revolution aus. Der Statthalter des Monarchen muss abdanken und eine lokale Regierungs-Junta übernimmt die Macht. Doch aus Paraguay kommt Widerstand. Die Provinz erkennt die revolutionäre Junta in Buenos Aires nicht an.

"Der von Spanien eingesetzte, königstreue Gouverneur Bernardo de Velasco blieb auf seinem Posten. Dennoch, auch in Paraguay gärten revolutionäre Ideen. Die Mai-Revolution in Buenos Aires und die Ideale der Revolutionen in Frankreich und Nordamerika hatten auch in Paraguay Auswirkungen","

erzählt der paraguayische Journalist und Pädagoge César Orué Paredes. Doch zunächst lehnt ein im Juli 1810 einberufener Kongress es ab, sich der neuen Regierung in Buenos Aires zu unterwerfen. Diese beschließt schließlich, mit militärischen Mitteln ihren Einfluss auf die Provinz auszuweiten. Im September 1810 beginnt die sogenannte Befreiungs-Expedition nach Paraguay unter General Manuel Belgrano. Doch die Kolonial-Streitkräfte leisten erfolgreich Widerstand. Gustavo Guevara, Professor für lateinamerikanische Geschichte an der Universität Buenos Aires:

""Paraguay wehrte die militärische Offensive aus Buenos Aires ab, aber gleichzeitig begann ein interner Umwälzungsprozess. Er endete damit, dass im Mai 1811 die politischen Figuren der Kolonialherrschaft abtreten mussten. In Paraguay konstituierte sich eine Junta, die sagte: Wir unterwerfen uns nicht mehr der spanischen Krone, aber wir lassen uns auch nicht aus Buenos Aires regieren."

"In der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1811 kommandierte Pedro Juan Caballero das militärische Hauptquartier in Asunción. Er positionierte mehrere Kanonen vor dem Regierungsgebäude und forderte den königstreuen Gouverneur Velasco auf, sich zu ergeben. Velasco zögerte die Kapitulation hinaus, um Unterstützung aus anderen Quartieren zu erhalten, aber das gelang ihm nicht. Alle hatten sich den jungen, revolutionären Militärs angeschlossen","

erläutert César Orue Paredes den Hergang der Ereignisse, die den Beginn von Paraguays Unabhängigkeit markieren. Es ist eine Revolution ohne Blutvergießen – anders als fast überall sonst in Lateinamerika, wo bis 1825 die Loslösung von Spanien mit Kriegen ausgefochten wird. Offiziell erklärt sich Paraguay zwar erst 1842 zum unabhängigen Staat, doch ab 1811 führt das Land unter dem langjährigen Diktator Gaspar Rodríguez de Francia eine eigenständige Politik. Der Historiker Gustavo Guevara:

""Das Verhältnis zu Buenos Aires blieb kompliziert. Mit zwei mächtigen Nachbarn, dem ab 1816 unabhängigen Argentinien und dem portugiesischen Imperium in Brasilien, entschied sich Paraguay unter Francia für eine Politik der Selbst-Isolierung. Daher wird der Schriftsteller Augusto Roa Bastos später von Paraguay als einer von Land umgebenen Insel sprechen."

In den ersten Jahrzehnten seiner Unabhängigkeit modernisiert Paraguay seine Wirtschaft. Nicht zuletzt ökonomische Interessen führen dazu, dass das Land seine Isolierung aufgibt. 1864 beginnt der sogenannte Tripel-Allianz-Krieg, in dem Paraguay von Argentinien, Brasilien und Uruguay besiegt wird. Das Land verliert etwa die Hälfte seines Staatsgebiets und einen Großteil seiner männlichen Bevölkerung. Ende des neunzehnten Jahrhunderts zieht Paraguay viele Einwanderer aus Europa an. Nach der langen Diktatur von Alfredo Stroessner ist Paraguay heute ein demokratischer Staat mit hohem Wirtschaftswachstum, aber einer Armutsrate von fast vierzig Prozent.