Revolutionäres Kinderfernsehen

Von Ralf Gödde |
Monster im Fernsehen? Zottelige Gesellen wie Krümelmonster, Elmo & Co. erschreckten vorwiegend die Erwachsenen, als die "Sesamstraße" auf Sendung ging. Die Kinder liebten sie von Anfang an. Die Kulisse eines amerikanischen Armenviertels mit vielen schwarzen Kindern war zunächst der Grund, warum sich ein Programm lange weigerte, die Serie zu zeigen.
Es war eine schwierige Geburt vor 40 Jahren. Als die Sesamstraße ihre Premiere hatte im Ersten Deutschen Fernsehprogramm.

Musik: Altes Sesamstraßen-Lied: " Wieso, weshalb, warum ...? "

Ganz einfach: Ernie und Bert, Oskar, Bibo und all die anderen Muppets-Figuren aus der berühmten Puppenwerkstatt von Jim Henson stießen hierzulande erst mal auf ... Bedenken.

Ernie: " ''So wars!"

Bert: "Ja!"

Von Eltern, Lehrern und Kindergarten-Pädagogen.

Mann: "Es sind zu viele kurze Geschichten, ein Denkanstoß wird relativ selten vermittelt."
Frau: "Es geht zu schnell und es ist so amerikanisiert, finde ich."

In der Tat. Denn das Original kam aus den USA, hieß Sesame Street und richtete sich an sozial benachteiligte amerikanische Kinder. Ihnen wollten die Erfinder auf unterhaltsame Weise Buchstaben und Zahlen beibringen. Dabei orientierten sie sich an der Präsentation der Werbung und verpackten das Vorschulwissen in kurze, witzige Spots, die durch mehrmalige Wiederholung Aufmerksamkeit und somit einen hohen Lerneffekt erzeugen sollten. Mit Erfolg.

Der NDR erkannte das Potenzial der Serie und zog als weltweit erster Co-Produzent mit in die Sesamstraße ein. 1972 liefen einige Originalfolgen testweise in den Dritten Programmen. Und wurden besonders kritisch beäugt. Denn Fernsehen für die Kleinsten war hierzulande bis dato tabu. Die Bewahrpädagogik wollte die Heranwachsenden vor Gefahren beschützen. Auch medialer Art. Nun aber tauchten plötzlich Monster im Fernsehen auf. Durfte man Kindern solche Puppen zeigen, die ihnen doch vermeintlich Angst einjagen konnten?

Krümelmonster: "Kekse!"

Die zotteligen Gesellen erschreckten vorwiegend die Erwachsenen. Die Kinder liebten sie von Anfang an. Für Birgit Ponten, die seit mehr als zehn Jahren als Redakteurin für die Sesamstraße arbeitet, sind die Monster sogar das eigentliche Erfolgsgeheimnis:

"Weil die können einfach alles tun, die sind verrückt und die können einem sogar was beibringen. Das nimmt man denen nicht übel, weil man über sie lachen muss und weil sie alles sozusagen auf lustige und unterhaltsame Weise den Kindern nahe bringen."

Krümelmonster: "Hier ist Krümelmonster. Passt auf, Krümel wird euch heute ein paar Kekse vorstellen. Das ist ein Quadratkeks, das ist ein Dreieckkeks und dieser hier ein kreisrunder Keks. Jetzt wird Krümelmonster die Kekse testen, um rauszufinden, welche Form Krümel am besten schmeckt. Mammmpf ..."

Auch die exotische Straßenkulisse sorgte für Unmut. Denn die Rahmenhandlungen, die in der deutschen Fassung zunächst übernommen wurden, spielten in einem typischen amerikanischen Armenviertel mit wenigen weißen und vielen schwarzen Kindern. Jahrelang weigerte sich der Bayerische Rundfunk, die Sesamstraße zu zeigen.

"Die Begründung war: Es gibt in Bayern keine Gettos und die Sesamstraße sei eine Getto-Sendung." sagt Ole Kampovski, vor 40 Jahren selbst begeistertes Sesamstraßen-Kind und heute Leiter der Kinder- und Jugendabteilung beim NDR-Fernsehen.

"Der NDR hat damals gesagt, wir kämpfen das durch."

Ernie: "Ach wirklich?"

Ole Kampovski: "Ja und dann kam halt der Erfolg, weil die Kinder wollten es damals sehen."

Seitdem widmen sich die frechen Muppets-Puppen dem wirklich wichtigen Fragen und spielen und singen sich immer wieder in die Herzen jeder neuen nachwachsenden Generation.

Grobi: "Ich erzähl euch jetzt einfach mal, etwas ganz ganz ganz Aufregendes. Über HIER und DORT. Gut, pass auf. Ich bin HIER und ihr seid DORT. Hahaha und Tschüss!"

1978 ersetzte der NDR die amerikanische Straßenkulisse durch eine eigene Rahmenhandlung mit deutschen Schauspielern und holte so auch die Bayern mit ins Boot. Extra für die deutsche Fassung wurden sogar neue Puppen entwickelt.

Ole Kampovski: "Dann haben wir einen großen Schnitt Anfang der 2000er-Jahre, wo man gesagt hat, das alte Konzept ist etwas überholt, wir machen ein neues Konzept, wo wir sehr stark mit Comedy-Elementen arbeiten. Damals hat zum Beispiel Dirk Bach angefangen, den wunderbaren Zauberer Pepe zu geben. Fast alle deutschen Comedians waren in der Sesamstraße."

Und nicht nur die. Auch viele Musiker und Sänger wie Lena, Max Raabe oder Herbert Grönemeyer fühlen sich geehrt, wenn sie mit Ernie und Bert einen ihrer Songs neu aufnehmen können.

Lied Herbert Grönemeyer und Ernie und Bert: "Doch jeder kann, was er kann / Jeder kann, was er kann."

Lena und Ernie singen "Satellite": "Bert oh Bert, wo bist du nur geblieben? / Bert oh Bert, du bist doch unser bester Freund."

Immer wieder hat sich die Sesamstraße erneuert und ist sich im Kern doch stets treu geblieben. In bis heute mehr als 2600 Folgen. Worauf es dabei ankommt, erklärt Birgit Ponten:

"Für uns als Redakteure ist natürlich wichtig, dass man sozusagen in der Zeit bleibt, dass man guckt, was sind die Themen? Früher waren das Buchstaben und Zahlen. Heute sind das ganz andere Themen, soziale Themen. Wie geht man miteinander um? Was fange ich mit Träumen an? Wovor habe ich Angst oder wie überwinde ich meine Angst und kann mutig sein? Und da müssen wir natürlich immer gucken, was ist in der Gesellschaft los und welche Themen können wir da aufgreifen, die wirklich nah an den Kinder dran bleiben."

Elmo: "Jetzt ist die Sesamstraße schon wieder zu Ende!"

Links bei dradio.de:

Wer nicht fragt, bleibt dumm -
40 Jahre "Sesamstraße" in Deutschland

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