Revolutionsdoku

Oscar-nominiert, aber in Ägypten noch beim Zensor

Die ägyptische Regisseurin Jehane Noujaim und ihr Produzenten Karim Amer beim Empfang der Dokumentarfilmer in der Film-Akademie der Oscars in Los Angeles am 26.02.2014. Für ihre oscar-nominierte Dokumentation "Al-Midan" ("Der Platz") stand sie Seite an Seite mit Demonstranten auf Kairos Tahrir-Platz, wurde verhaftet und riskierte ihr Leben.
Die ägyptische Regisseurin Jehane Noujaim und ihr Produzenten Karim Amer beim Empfang der Dokumentarfilmer in der Film-Akademie der Oscars in Los Angeles. © dpa / Barbara Munker
Von Cornelia Wegerhoff |
Als erster ägyptischer Film überhaupt ist die Doku "Al Midan" ("Der Platz") für den Oscar nominiert worden. Doch der Film über die revolutionären Ereignisse auf dem Kairoer Tahrir-Platz darf in Ägypten noch nicht gezeigt werden.
Das "Cinema Odeon” liegt in der Kairoer Innenstadt, Luftlinie keine 500 Meter vom berühmten Tahrir-Platz entfernt. Hier gibt es alles, was zu einem gelungenen Kinoabend gehört: frisches Popcorn, moderne Säle, mit dicken Teppichen, bequemer Bestuhlung und Dolby-Surround-System.
Nur den für den Oscar nominierten Film "Al Midan", das erste ägyptische Werk, das es bis zu den Academy Awards geschafft hat, gibt es hier nicht. Er ist von der ägyptischen Zensurbehörde noch nicht freigegeben worden. Die Nachfrage, ob das wirklich wahr sein kann, ist dem Kinochef merkbar unangenehm.
"Richtig, richtig", sagt Osama Mohamed hastig. "Aber bei Gott, wir hoffen, dass der Film tatsächlich den Oscar bekommt, dass die Leute über ihn reden und dann alle zu uns in Kino kommen."
Die frommen Wünsche können nicht ablenken: Dass "Al Midan" in Hollywood läuft, aber nicht in Ägypten, ist ein heikles Thema in der Branche. Auch Marianne Khoury gibt als erstes einen langen Seufzer von sich, als sie um eine Stellungnahme gebeten wird. Sie ist die Managerin von Misr Film International und hat sich bereits vor Monaten vertraglich den Vertrieb von "Al Midan” gesichert.
"Dieser Film muss die entsprechenden Papiere haben. Die sind in Ägypten sehr wichtig. Und bei einheimischen Filmen ist alles noch ein bisschen komplizierter als bei ausländischen. Man braucht Papiere zu den Urheberrechten, die Zulassung vom Filmsyndikat und und und. Und bis jetzt haben wir diese Papiere eben noch nicht. Aber es wird hart daran gearbeitet."
Mehr möchte Marianne Khoury zu den behördlichen Angelegenheiten nicht sagen. Den Film kann sie empfehlen:
"Ich mochte ihn: Es ist ein guter Film. Wir sind sehr glücklich, dass er für den Oscar nominiert wurde. Das ist ungeheuer wichtig für die ägyptische Filmindustrie."
Symbol des ägyptischen Volksaufstandes
"Al Midan" sei eines der mutigsten Werke, das sie in den letzten Jahren gesehen hätten, so auf der Berlinale das Lob der Juroren, die der ägyptisch-amerikanischen Regisseurin Jehane Noujaim den Amnesty International Film Preis für ihre Dokumentation verlieh. Sie überzeuge durch die Bildsprache, die politische Brisanz und die Menschlichkeit der Geschichten. Die spielen sich alle rund um den Midan el Tahrir ab, dem Platz, der 2011 zum Symbol des ägyptischen Volksaufstands wurde.
Die drei Protagonisten, die sich dort begegnen, kommen aus ganz unterschiedlichen Lebenswelten. Der eine kommt aus armen, der zweite aus gut situierten Verhältnissen. Beide sind bis dahin unpolitisch. Der Dritte ist ein Anhänger der Muslimbruderschaft. Sie eint der Wunsch, der Unterdrückung durch Ägyptens Langzeitdiktator Hosni Mubarak ein Ende zu setzen:
Als der nach 18-tägigen Massenprotesten seinen Rücktritt erklären lässt, herrscht erst Euphorie. Der Midan, der Platz hat gesiegt, jubeln die Leute. Aber der Kampf, das Sterben hört nicht auf. Mohamed Mursi wird für viele der neue Hoffnungsträger. Für andere ist es nur ein neuer, islamistischer Diktator.
Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle, die die drei Hauptfiguren auf dem Kairoer Tahrir-Platz erleben und mit ihnen das ganze ägyptische Volk, das quasi das Drehbuch für den Dokumentarfilm geschrieben hat. Ein Projekt ohne ein richtiges Ende, meint Ramy Esam, einer der Nebenfiguren in "Al Midan":
"Der Film sollte zuerst die 18 Tage des Volksaufstands gegen Mubarak dokumentieren. Aber danach ist immer wieder etwas Neues passiert und es wurde weiter gedreht, immer weiter. Bis wir gemerkt haben, dass drei Jahre um sind. Da haben wir entschieden: Der Film muss jetzt gezeigt werden."
Wohl ahnend, dass das Publikum daheim in Ägypten länger auf die Freigabe warten muss, gaben Jehane Noujaim und ihr Produzent Karim Amer "Al Midan" auch über Netflix für das Internet frei. Interessierte Ägypter können den Film so auf ihrem Computer sehen. Die Reaktionen, die sich auf Facebook und bei Bloggern nachlesen lassen, gehen auseinander. So wie auch die internationale Kritik.
Beim Filmfestival in Toronte erhielt "Al Midan" bereits im September vergangenen Jahres den Publikumspreis. In den USA wird unterdessen bemängelt, dass die Dokumentation den Sturz Mursis beschönige und nicht ausreichend darstelle, mit welcher Gewalt die ägyptischen Sicherheitskräfte im Anschluss gegen die Muslimbrüder vorgegangen seien.
Impuls für die ägyptische Filmszene
Marianne Khoury freut sich, dass die Filmszene am Nil durch die Revolution überhaupt wieder lebendig geworden sei. Ihr eigener Onkel, der legendäre Filmproduzent Youssef Shahine, hatte den ägyptischen Film nämlich schon in den 90er-Jahren für tot erklärt. Es gab nur noch flache Volksbelustigung, die Regisseure wussten genau, dass der Zensor kritische Töne rausstreicht. Aber jetzt wende sich das Blatt, sagt Marianne Khoury
"Die ägyptische Filmlandschaft verändert sich gerade. Die Revolution hat für die Filmemacher alles verändert. Du kannst nicht durch eine Revolution gehen, ohne deine Sicht auf die Dinge zu überdenken. Das sind die Jungen, die jetzt kommen, mit neuen Ideen. Sie machen vielleicht unsere Träume wahr."
"Das wäre wunderbar, wenn neue Filme kommen und wieder alles seinen Gang hat."
- meint auch Osama Mohamed, der Chef vom Cinema Odeon in der Kairoer Innenstadt. Aber dann meint er nüchtern:
"Noch ist es nicht so weit".
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