Bernd-Jürgen Fischer (Hg.): "Marcel Proust – Der Briefwechsel mit Reynaldo Hahn"
Übersetzt von Bernd-Jürgen Fischer
Reclam 2018, 576 Seiten, 25 Euro
"Geheimnisvoller Grund unserer Seele"
28:12 Minuten
In einem Pariser Salon begegnen sie sich zum ersten Mal: der Komponist Reynaldo Hahn und der Schriftsteller Marcel Proust. Ihre Liebesbeziehung endet nach zwei Jahren. Doch ihre Freundschaft hält bis zu Prousts Tod im Jahr 1922.
1894 lernen sich der 19-jährige Sänger und Komponist Reynaldo Hahn und der 23-jährige Schriftsteller Marcel Proust kennen: Im legendären Pariser Salon von Madeleine Lemaire, wo der junge Komponist seine "Chansons Grises" vorträgt und sich dabei selbst am Klavier begleitet.
Komponiert hatte Hahn die Lieder bereits mit zwölf Jahren. Eine romantische Liebesbeziehung entspinnt sich zwischen den beiden. Proust und Hahn reisen ans Meer in die Normandie und in die Bretagne. Die Liebe zur Musik bildet trotz unterschiedlicher Vorlieben von Anfang an das Fundament ihrer Freundschaft. Denn für den Schriftsteller nahm die Musik unter den Künsten den höchsten Rang ein.
Klingende Porträts
Proust und Hahn planen gemeinsame Projekte, darunter eine Chopin-Biografie und eine Oper über Antoine Watteaus Gemälde "Einschiffung nach Kythera". Doch das einzige Projekt, das sie tatsächlich realisieren, sind die "Portraits des peintres": Eine Reihe von Klavierstücken nach Gedichten, die Proust über vier Maler geschrieben hatte: Albert Cuyp, Paulus Potter, Anton van Dyck und Antoine Watteau.
Neben dem Salon der Madame Lemaire war es der Salon von Winnaretta Singer-Polignac, den sowohl Hahn als auch Proust eine Zeit lang besuchten. Winnie, wie enge Freunde die Prinzessin nennen durften, kultivierte in ihrem Salon eine außergewöhnliche musikalische Bandbreite.
Nicht nur Komponisten der Avantgarde wie Erik Satie und Igor Strawinsky förderte die Kunstmäzenin, sondern auch Musiker wie Reynaldo Hahn, der um die Jahrhundertwende immer noch romantische Opern und Liederzyklen komponierte. Liebevoll dekorierte sie für die Uraufführung seines Balletts "Le Bal de Béatrice d’Este" den Musiksaal in ihrem Palais in der Nähe des Eiffelturms. Passend zum Stil des Werks schmückte sie die Bühne mit Tapisserien der Renaissance, sanft erhellt von mildem Kerzenlicht.
Intensive Brieffreundschaft
Proust nimmt in seinen Briefen immer wieder regen Anteil am Schaffen Hahns. Aus den wenigen Briefen, die von Hahn überliefert sind, spricht eine große Sorge um die Gesundheit seines Freundes. Hahn war es auch, der am 18. November 1922 der Zeitung "Le Figaro" bekannt gab, "dass unser teurer Marcel Proust heute Abend um halb sechs verstorben ist".