Barbara Bleisch: "Mitte des Lebens"

Über das Potenzial der vielleicht besten Jahre

05:44 Minuten

Barbara Bleisch

Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten JahreHanser Verlag, München 2024

272 Seiten

25,00 Euro

Von Andrea Gerk · 26.07.2024
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Midlife-Crisis oder die potenziell beste Zeit des Lebens? Barbara Bleisch betrachtet die "Mitte des Lebens" philosophisch. Sie plädiert dafür, vorhandene Gestaltungsspielräume zu nutzen.
Um die Lebensmitte herum, also ab 40 plus, fragen sich viele, ob das jetzt schon alles gewesen sein soll. Die Einsicht, dass die Jugend vorbei ist, erwischt früher oder später jeden und nun kommt es darauf an, das Leben beim Schopf zu packen, denn die Zeit zwischen 35 und 65 kann die beste unseres Lebens sein.
Zumindest, wenn man der Philosophin Barbara Bleisch glaubt, die seit vielen Jahren die „Sternstunde Philosophie“ beim SRF moderiert und sich als Autorin unter anderem mit der Frage „Warum wir unseren Eltern nichts schulden“ befasste.

Contra Midlife-Crisis

In ihrem neuen Buch nun setzt die Schweizerin mit ansteckender Begeisterung dem schalen, grauen Gefühl, das mit der viel besprochenen Midlife-Crisis verbunden wird, vielschichtige philosophische Überlegungen zur Lebensmitte entgegen.
In der sind wir, erklärt Bleisch, spätestens dann angekommen, wenn bei jedem „Geburtstagsfest irgendein Spaßvogel verlässlich sein Glas hebt und mit dem Geburtstagskind auf ein fiktives Alter anstößt, das es längst hinter sich gelassen hat“. Sprich: Wenn andere einen jünger reden, als man ist.

Die guten Seiten des Alterns

Was kein Grund zur Verzweiflung ist, eher im Gegenteil: So interpretiert Bleisch es als Chance, dass wir dann mit unserer Endlichkeit in radikalerer Weise konfrontiert sind als in früheren Jahren, weil wir – sofern wir das Leben von seinem Ende her denken – größere Intensität erfahren können und das, was wir erleben, mehr schätzen.
Auch Rückschau und möglicherweise Reue über manche falsche Entscheidung, die man getroffen hat, kann produktive Fragen aufwerfen: „Zwischen dem, was man werden möchte, und dem, was man geworden ist, klafft eine tiefe Lücke, die sich niemals schließen wird. Und diese Lücke scheint der letzte Spielraum, die letzte Gelegenheit zur Gestaltung zu sein“, zitiert Bleisch den Schriftsteller James Baldwin, wie sie überhaupt immer wieder Impulse aus Literatur und Philosophie in ihre Überlegungen einfließen lässt.

Die Krise als Kipppunkt betrachtet

Anders als manche Ratgeber, die Auswege aus der scheinbaren Misere des Älterwerdens zeigen wollen, will Barbara Bleisch das Krisenhafte dieses Lebensabschnitts gerade nicht verdrängen; vielmehr stürzt sie sich mit philosophischem Scharfsinn mitten hinein in das darin verborgene Potenzial und erklärt, dass Krise ursprünglich „Unsicherheit“, „Zuspitzung“ oder auch „Wendepunkt“ bedeutet. „Krisen sind damit so etwas wie Kipppunkte, die wesentliche Dinge zur Klarheit bringen, im Guten wie im Schlechten.“
In diesem Sinne zeigt Barbara Bleisch in ihrem vielschichtigen Buch die Lebensmitte vor allem als Chance, das eigene Leben zu gestalten. Wer sich die Fähigkeit zu staunen bewahrt, wird sich auch mit Falten und Knieproblemen lebendig fühlen und sich über die Freiheit und Fülle freuen, die einem die Mitte des Lebens bieten kann, sofern man sich für diese Perspektive öffnen kann.
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