Fania Oz-Salzberger: „Deutschland und Israel nach dem 7. Oktober“
© Suhrkamp Verlag
Einladung zum Dialog mit Israel
07:46 Minuten
Fania Oz-Salzberger
Michael Bischoff
Deutschland und Israel nach dem 7. OktoberSuhrkamp Verlag, 202478 Seiten
12,00 Euro
Die Historikerin Fania Oz-Salzberger lädt in ihrem neuen Buch zu einem offenen Dialog mit Israel ein - emotional und analytisch. Sie sieht in der Zwei-Staaten-Lösung den einzigen realistischen Weg zu einem nachhaltigen Frieden im Nahen Osten.
Seit einem Jahr wühlt der Terrorangriff der Hamas auf Israel und der daraus erwachsende Krieg die Weltöffentlichkeit auf. Fania Oz-Salzberger, Tochter des israelischen Autors Amos Oz, hat im Juni dieses Jahres im universitären Rahmen einen Vortrag über den Krieg zwischen Hamas und Israel sowie den Antisemitismus gehalten. Überarbeitet erscheint dieser nun als Buch in deutscher Übersetzung. Er lenkt das Augenmerk auch auf das deutsch-israelische Verhältnis, das hierzulande stärker hinterfragt wird als je zuvor.
Kritik an der eigenen Regierung
Gleich zu Beginn steht die Aufforderung an ein deutsches und internationales Publikum, mit Israelis in Dialog zu treten. Ebenso bekennt die Autorin, in diesem Gespräch keine neutrale Stimme zu sein. Denn durch den Überfall der Hamas habe sie „schrecklichste Leiden und Schmerzen“ erlitten, die Katastrophe habe ihre Persönlichkeit verändert und ihr „Bewusstsein für das Böse“ geschärft.
Sie zeigt sich überzeugt, „dass es der Hamas um Völkermord an den Israelis geht“. Und besteht darauf, von einem Krieg der Hamas gegen Israel zu sprechen, statt von einem Krieg Israels gegen die Hamas. Zugleich aber beklagt sie, dass ein gerechter Krieg „zur Bestrafung und Zerschlagung der Hamas“ zu unmoralischen, illegalen und in manchen Fällen verbrecherischen Aktionen Israels geführt habe, die sie verabscheue.
Fania Oz-Salzbergers Text ist anfangs emotional. Sie selbst spürt das und verspricht in der Folge eine vernunftgeleitete Analyse. Die bleibt jedoch weitgehend aus. Doch konzentriert sich die emeritierte Historikerin auf zwei Themen: Den israelisch-deutschen Dialog und eine Ehrenrettung des Zionismus, den sie von der Rechten in Israel gekapert sieht.
Warnung vor deutschem Philosemitismus
Sie stellt fest, innerdeutsche Debatten zum deutsch-israelischen Verhältnis seien in Israel „schlichtweg unbekannt“. Selbst der Historikerstreit der 1980er Jahre, habe nicht Einlass in das öffentliche Gespräch dort gefunden. Und die wegweisende Rede Richard von Weizsäckers von 1985 sei erst 2016 in Übersetzung in Israel erschienen.
Jüngsten Forderungen, die deutsche Identität von ihrer Verantwortung für die Erinnerung an die Shoah zu „befreien“, erteilt sie eine eindeutige Absage. Diese zielten auf die Vernichtung Israels. Andererseits warnt sie vor deutschem Philosemitismus: Romantisierung könne leicht zu Dämonisierung führen. Die Shoah dürfe nicht von Deutschen oder israelischen Politikern missbraucht werden. In einem deutsch-israelischen Dialog käme es vor allem auf Aufrichtigkeit und Bereitschaft zur Nuancierung, Verantwortung für gegenwärtige und zukünftige Generationen an. Und durchaus dürften auch die Deutschen Israel vor selbstzerstörerischen Aktionen warnen.
Humanistischer Zionismus
Der Hauptteil des Textes widmet sich der Rückgewinnung des Zionismus-Begriffs. Sie geht zurück an die Wurzeln, bis zu Herzl. Und tritt ein für einen liberalen, humanistischen Zionismus, der sich eine sozial gerechte Gesellschaft und Demokratie auf die Fahnen schreibt. In diesem Sinne sei auch die israelische Unabhängigkeitserklärung verfasst, in der der Wunsch nach Frieden und guter Nachbarschaft, das Versprechen von sozialer und politischer Gleichberechtigung unabhängig „von Religion, Rasse und Geschlecht“ ausdrücklich formuliert worden sei.
Diesen Zionismus, so Oz-Salzberger, gälte es, wiederzubeleben, in einem Kampf der gemäßigten Israelis gegen die eigenen Fanatiker. Oz-Salzberger unterschlägt dabei aber, dass es immer schon auch weniger liberale Auslegungen des Zionismus gab und der messianische Zionismus keineswegs eine Erfindung der Regierung Netanyahu ist.
Festhalten an der Zwei-Staaten-Lösung
Als Utopie am Horizont zeichnet Oz-Salzberger dann die Zwei-Staaten-Lösung. Sie sei zionistisch und humanistisch. Ein entmilitarisiertes, deradikalisiertes, von arabischen Staaten überwachtes unabhängiges Palästina. Trotz Schock und Misstrauen seien die meisten Israelis nach dem 7. Oktober zu einem territorialen Kompromiss bereit.
Ob das tatsächlich so ist? Und wie war das bislang? Dass die Gruppe der „gemäßigten Zionisten“ eine Minderheit im Land und längst schon nicht mehr an der Regierung beteiligt ist, blendet sie aus. Und die Bereitschaft der Palästinenser und irgendwelcher arabischer Staaten zu einer solchen Lösung setzt sie einfach als gegeben voraus.
Fania Oz-Salzbergers Credo, dass der „instinktive Wunsch des Menschen nach Heilung und eine gute Dosis Rationalität“ auch nach dem 7. Oktober zum friedlichen Zusammenleben von Juden und Arabern in der Region führen könnte, ist alternativlos. Und wirkt doch verzweifelt naiv.