Cristina Henríquez: "Der große Riss"
© Hanser Verlag
Wie der Panamakanal spaltet und verbindet
06:30 Minuten
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Cristina Henríquez
Der große RissHanser, München 2025416 Seiten
26,00 Euro
Für die USA ist der Panamakanal ein wichtiger Handelsweg, für Menschen aus dem Süden bedeutet er die Teilung des Kontinents. Anhand von Einzelschicksalen zeigt Henríquez, welche schweren Eingriffe der Bau damals für Menschen und Umwelt bedeutete.
Es hat plötzlich eine erschreckende Aktualität, dieses Buch über den Bau des Panamakanals. Ob die künstliche Wasserstraße quer durch den Isthmus von Panama den amerikanischen Kontinent teilte oder verband – darauf gibt es zwei Antworten und zwei Perspektiven. Für Nordamerika, zumal die USA, bedeutete der neue Schifffahrtsweg eine äußerst nützliche Verbindung zwischen Ost und West, zwischen New York und Kalifornien.
Ein französisches Bauprojekt war in den 1880er-Jahren bereits gescheitert, also nahmen die USA die Angelegenheit gemäß ihren eigenen Interessen in die Hand: Sie unterstützten mit Geld und militärischem Druck die Abspaltung Panamas vom kriegsgeschüttelten Kolumbien, setzten im neuen Staat eine ihnen genehme Regierung ein, sicherten sich die künftige Kanalzone als Hoheitsgebiet und begannen erneut den Bau.
Panamakanal teilt den Kontinent
Aus der Perspektive des Südens hatte der Kanal vor allem die Konsequenz, dass das Land und der Kontinent durchtrennt wurden. Und diese Perspektive ist es, die Cristina Hernández in ihrem Roman einnimmt – was schon der Titel unmissverständlich klarstellt: The Great Divide.
Henríquez entwickelt ihre Erzählung aus einem Gewebe verschiedener Geschichten: etwa die der 16-jährigen Ada Bunting aus Barbados, die wie so viele andere auf der Suche nach Arbeit in die Kanalzone kommt; wie die von Francisco, dem melancholischen Fischer, der die Yankees zutiefst verabscheut und nicht darüber hinwegkommt, dass sein einziger Sohn sich bei ihnen verdingt; die vom Fischhändler Joaquín, dessen Verwandte zwangsumgesiedelt werden sollen, weil ihre Stadt geflutet wird.
Und selbst die Ehefrau eines US-Wissenschaftlers und ein französischer Arzt haben einen wachen, nicht unbedingt kritischen Blick auf die Zustände in der Kanalzone, in der rassistische Segregation herrscht: eine weitere Kluft, a Great Divide, in Läden, Transportmitteln und Krankenhäusern.
Eingriff in Geografie und Ökologie Panamas
Cristina Henríquez gelingt es, große Geschichte ganz aus dem kleinen Alltag von Leuten zu erzählen, deren Leben durch die gigantische Baustelle einschneidend verändert wird. Für die einen bringt dieser massive Eingriff in Geografie, Ökologie und Politik im Namen des Fortschritts tatsächlich Vorteile mit sich. Für andere bedeutet er den Tod, furchtbaren Verlust, und das Erwachen eines tiefen Zorns.
Ada Bunting und der Fischersohn Omar werden mitten in alledem erwachsen. So schafft Henríquez ein eindrückliches, dabei sehr zugängliches, farbiges und kenntnisreiches Epos voller Empathie.