Neues Drosten-Buch

Die nächste Pandemie wird kommen

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Cover des Buchs "Alles überstanden? Ein überfälliges Gespräch zu einer Pandemie, die nicht die letzte gewesen sein wird" von Christian Drosten und Georg Mascolo
© Ullstein

Christian Drosten, Georg Mascolo

Alles überstanden? Ein überfälliges Gespräch zu einer Pandemie, die nicht die letzte gewesen sein wirdUllstein, Berlin 2024

272 Seiten

24,99 Euro

Von Volkart Wildermuth |
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Der Virologe Christian Drosten und der Autor Georg Mascolo haben eine Bilanz der Coronapandemie vorgelegt. Bis heute wirkt sie unterschwellig fort, in Verunsicherung, Misstrauen und einem rauen Umgangston. Grund genug für einen kritischen Rückblick.
Über ein Jahr ist es her, dass die Weltgesundheitsorganisation den internationalen Gesundheitsnotstand durch Corona offiziell für beendet erklärt hat. In Deutschland gibt es – anders als etwa in Großbritannien - bislang keine systematische Rückschau von Seiten des Staates oder der Wissenschaft. Diese Lücke wollen Christian Drosten und Georg Mascolo füllen, denn das Virus habe „nicht nur gesundheitliche, sondern auch erhebliche gesellschaftliche Schäden angerichtet“. Umso wichtiger sei es, aus der Vergangenheit zu lernen - und genau das versuchen die beiden. Das Buch ist ein Protokoll ihrer Diskussionen über die Reaktionen von Politik, Wissenschaft und Medien auf die Pandemie, über die Herkunft des Virus nach und am Ende über mögliche Strategien gegen neue Erreger.

Rückgriff auf E-Mail-Verläufe und Archive

Wichtig ist dabei, dass die beiden nicht vom jetzigen Wissensstand her argumentieren, sondern über den Rückgriff auf E-Mail-Verläufe und Archive wirklich in die jeweilige Zeit zurückgehen. So wird die große Unsicherheit nach den ersten Meldungen aus China noch einmal spürbar. Schnell entwickelte sich eine politische Eigendynamik, erinnert Georg Mascolo: „Niemand hielt es aus, etwas offen zu lassen, was in einem anderen Land für unverantwortlich und gefährlich gehalten wurde. Die härteste Maßnahme setzte sich immer sofort durch.“
Christian Drosten beriet zu dieser Zeit - in unterschiedlichen Gremien - Angela Merkel und andere aus der Politik. Offenbar nicht immer einfache Gespräche, vor allem, weil sich die Faktenlage schnell änderte. Normal für die Wissenschaft, der Politik und Öffentlichkeit aber nur schwer zu vermitteln. Die erste Welle hatte Deutschland gut überstanden, aber im Winter 2020/21 nahm die Übersterblichkeit hierzulande zu, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern. Bevölkerung und Politik gleichermaßen hatten sich zu sicher gefühlt, zu spät reagiert. „So gesehen haben wir aus der ersten Welle nicht gelernt“, meint Drosten heute. Über die ganze Pandemie sei die Bilanz aber vergleichsweise gut.

Die Politik entschied sich für die Wirtschaft

Kontroverse Themen wie Schulschließungen bleiben auch aus heutiger Perspektive kontrovers. Ja, sie sind wirksam, so Drosten, aber genauso wirksam wäre etwa eine Homeoffice-Pflicht gewesen. Die Politik hat aber der Wirtschaft Priorität gegeben.
Wie solche Entscheidungen zustande kamen, ist schlecht nachzuvollziehen, denn entscheidende Unterlagen werden von den Behörden und Gremien zurückgehalten. Für den Journalisten Georg Mascolo ein großer Fehler, denn Geheimniskrämerei wecke Misstrauen: „Der Schaden bleibt. Offene Kommunikation, auch der Unsicherheiten, ist staatliche Pflicht. Vor allem, wenn es um eine sensible Frage wie das Impfen geht.“
Umgekehrt wirft Christian Drosten einigen Medien vor, dass sie zu sehr polarisiert hätten, etwa beim angeblichen Virologen-Streit, beim Thema Impfen oder der Frage nach der Herkunft des Virus. Drosten appelliert an die Forschenden, nach Talkshow-Auftritten ihre Quellen offenzulegen.
Wobei er zugesteht: „Man kann sich bei Pandemiethemen Belege zu fast jeder gewünschten Aussage aus der wissenschaftlichen Literatur ziehen.“ Umso wichtiger sei es, auch die Qualität der Forschung kritisch zu hinterfragen.

Das Wichtigste ist Vertrauen

Vieles in diesem Buch ist interessant und manches auch überraschend. Trotzdem kann es nicht wirklich befriedigen. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens lesen sich die 272 Seiten wie das Protokoll eines Podcast, es geht hin und her, wenig wird wirklich zu Ende diskutiert.
Zweitens wäre eine systematische Analyse der Pandemie in Deutschland aus vielen - und nicht nur aus zwei - Blickwinkeln erforderlich. Dafür argumentieren auch Christian Drosten und Georg Mascolo, und man kann ihnen nach der Lektüre nur zustimmen. Denn die nächste Pandemie wird kommen und dann, so Mascolo „wird jeder technische Fortschritt nicht ausreichend helfen, wenn die Menschen kein Vertrauen haben“.
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