Michael Norton: "Rituale, die dein Leben verändern"

Rituale sind mehr als Tradition und Routine

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Buchcover zu "Rituale, die dein Leben verändern" von Michael Norton
© HarperCollins

Michael Norton

Rituale, die dein Leben verändernHarper Collins, Hamburg 2024

288 Seiten

22,00 Euro

Von Benjamin Knödler |
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An Feiertagen, beim Trauern, im Alltag: Rituale sind überall. Aber welche Funktion haben sie für Menschen und Gesellschaften? Das hat der Verhaltensforscher Michael Norton untersucht.
Bei einem Staatsbesuch schütteln sich zwei Regierungschefs intensiv die Hände. Eine Familie kocht jedes Jahr an Weihnachten ein besonderes Gericht. Bei einem Tennismatch zupft sich ein Spieler die Unterhose vor jedem Aufschlag zurecht. Die erste Tasse Kaffee des Tages trinken wir immer auf einem bestimmten Sessel.
Allein diese kleine Aufzählung zeigt: Rituale sind überall. Die Menschen um uns herum haben sie, wir selbst vermutlich auch – selbst dann, wenn wir behaupten würden, keine zu haben.

Annäherung aus verschiedenen Perspektiven

Schon allein diese Allgegenwart macht es zu einem lohnenden Projekt, sich mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen. Genau das tut der Verhaltenswissenschaftler und Harvard-Professor Michael Norton in „Rituale, die dein Leben verändern“.
Der Titel klingt gefährlich nach einem weiteren Selbstoptimierungsratgeber, doch das ist nicht der Fall. Norton nähert sich den Ritualen stattdessen aus verschiedenen Perspektiven – von der Verhaltenspsychologie bis hin zur Sozialwissenschaft.

Individuelle Riten bilden Identität aus

Anders würde man dieser menschlichen Kulturtechnik auch nicht gerecht – zu vielschichtig sind Rituale, zu ambivalent ihre Wahrnehmung; den einen geben sie Sicherheit und Struktur. Man kann Rituale aber auch mit negativeren Bewertungen assoziieren, mit Aberglauben, sozialem Ausschluss, Konservatismus und Traditionalismus.
Tatsächlich hat sich Michael Norton selbst lange als „Ritualskeptiker“ begriffen. Bis er an sich selbst beobachtete, wie er immer neue Abläufe entwickelte, um seine Tochter ins Bett zu bringen.
In der Handlung des Zubettbringens zeigt sich gleich eine wichtige Erkenntnis. Rituale sind nicht nur überlieferte Riten, die uns Religionen oder Gesellschaften auferlegen. Rituale können individuell entwickelt werden.
Es ist die Eigenleistung, die dabei eine große Rolle spielt und die den Ritualen die Kraft gibt, ein gutes Leben zu führen. Allein schon, weil wir durch unsere Rituale die eigene Identität herausbilden.
Aber auch darüber hinaus: Wer Rituale hat, so die Botschaft, meistert den Alltag besser, geht besser mit Unsicherheit um, führt oft ein genussvolleres Leben und hat einen besseren Zugang zur ganzen Palette menschlicher Emotionen. Das klingt dann zwar doch wie die Vorstufe zum Ritualratgeber, ist aber psychologisch spannend und durch die Schilderung verschiedener Experimente fundiert.

Rituale schaffen Zugehörigkeitsgefühle

Überhaupt bezieht sich Norton vielfach auf konkrete Beispiele aus der Forschung. So macht er nebenbei Wissenschaft erfahrbar. Doch es sind vor allem die Schilderungen verschiedenster Rituale, die seine Auseinandersetzung anschaulich und leicht machen.
Darunter sind skurrile Spleens wie der von Charles Dickens, der stets darauf achtete, dass sein Bett nordwärts ausgerichtet war. Doch es geht auch um Alltäglichkeiten, wie bei jener Krankenpflegerin, die schwere Erfahrungen bei ihrer Arbeit in der Dusche rituell abwäscht.
So wird Michael Nortons Analyse einerseits zugänglich, zuweilen aber auch etwas sprunghaft. Das ist schade, denn gerade im zweiten Teil widmet sich Norton den großen gesellschaftlichen Fragen, die mit Ritualen einhergehen.
Wie sie zum Beispiel dazu beitragen, die Belegschaft einer Firma bei Laune zu halten. Durch Rituale entsteht ein Gefühl der Zugehörigkeit, aber auch eines höheren Sinns.
Oder wie sie einerseits große gesellschaftliche Konflikte auslösen (selbst der Dreißigjährige Krieg geht laut Norton auf einen Streit um Rituale zurück), aber auch, wie sie einen Friedensprozess fördern könnten. Und ja, da sind wir dann auch wieder beim Händeschütteln.
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