Susanne Schmidt: „Midlife-Crisis"
© Goldmann Verlag
Erst feministisches Konzept, dann Männer-Klischee
06:25 Minuten

Susanne Schmidt
Aus dem Englischen von Stefanie Brägelmann und Annika Klapper
Midlife-Crisis – Von den feministischen Ursprüngen eines Männer-KlischeesGoldmann Verlag, München 2025336 Seiten
18,00 Euro
Mit Mitte 40 verlässt der erfolgreiche Mann seine alternde Ehefrau und rast in einem knallroten neuen Sportwagen mit einer hübschen jungen Frau an seiner Seite in die Freiheit davon. Die Midlife-Crisis: ein Klischee – mit feministischem Ursprung.
In ihrem Buch „Midlife-Crisis“ zeichnet die Historikerin Susanne Schmidt nach, wie sich die Midlife-Crisis von einem Schlagwort der Popkultur zu einem wissenschaftlichen Konzept entwickelte.
Schon das ist interessant, galt es doch lange als wissenschaftlich zweifelsfrei, dass die Idee einer Midlife-Crisis von der universitären Psychologie in die Populärkultur gewandert sei. Doch Susanne Schmidt fand heraus: Es war genau anders herum.
Befreiende Idee für Frauen und Männer
Am Anfang stand das höchst erfolgreiche Buch „Passages“ von Gail Sheehy, das 1976 in den USA erschien. Die Journalistin prägte darin den Begriff der Midlife-Crisis – feministisch: die Zeit nach der Mutterschaft als Chance für Frauen, aus engen Rollen auszubrechen, öffentlichen Raum zu erobern, einen Beruf zu ergreifen oder gar Politikerin zu werden.
„Passages“ basierte auf mehr als hundert Interviews mit Menschen in der Lebensmitte und traf damals den Nerv eines breiten Publikums, zumal es auch Männer mitdachte, schließlich konnte die Aufweichung tradierter Rollenbilder auch ihnen mehr Bewegungsfreiheit eröffnen.
Ehefrauen sollten sich fügen
Doch schon wenige Jahre später wurde die befreiende Idee von einer konservativen akademischen Psychologie gekapert. Einflussreiche Psychologen – das Buch stellt sie im Detail vor – werteten Gail Sheehys Arbeiten als unwissenschaftlich ab und wendeten sie, nun mit akademischen Weihen, ins Reaktionäre: Laut ihrer Analyse betraf die Midlife-Crisis nun auf einmal vorwiegend Männer, da sie es seien, die sich eingeengt fühlten – nicht zuletzt durch allzu anspruchsvolle Ehefrauen, die nicht begriffen, dass ihre Aufgabe darin bestehe, den Mann in allen seinen Bedürfnissen zu unterstützen.
Midlife-Crisis als Brennglas
Chronologisch wandert Susanne Schmidt in ihrem Buch von Lebensphasen-Modellen des 19. Jahrhunderts bis zur heutigen Zeit. Ihre abwechslungsreichen Betrachtungen, unterfüttert mit vielen historischen Zitaten und Abbildungen, lassen das sozialpsychologische Partikularkonzept der Midlife-Crisis zu einem Brennglas werden, unter dem sich die großen gesellschaftlichen Entwicklungen und Geschlechter-Debatten quer durch die Jahrzehnte überraschend hell und deutlich zeigen.
Doppelmoral des Alterns
Immer wieder geht es dabei um ein Problem im Zentrum dieser Auseinandersetzungen: die „Doppelmoral des Alterns“. Der berühmte Begriff stammt von der US-amerikanischen Schriftstellerin und Essayistin Susan Sontag und meint jenen unbarmherzig misogynen Blick auf ältere Frauen, denen ausschließlich die schlechte Laune und der körperliche Verfall der Post-Menopause zugeschrieben wird, während ältere Männer sich angeblich noch jahrzehntelang ungebrochener Attraktivität erfreuen.
Belege dafür, wie hartnäckig dieses Klischee immer wieder aufersteht, findet Susanne Schmidt quer durch Medizin, Sozialwissenschaften, Wirtschaft, Politik und Journalismus.
Kampf um Deutungshoheit
Doch auch das macht die Historikerin in ihrem Buch deutlich: Frauen haben immer aufbegehrt, nicht in Wellen und Moden, sondern aus dem existenziellen Bedarf an Gleichberechtigung und Deutungshoheit über den Verlauf des eigenen Lebens.