Peter Heather und John Rapley: “Stürzende Imperien”
Peter Heather und John Rapley untersuchen die Parallelen zwischen dem Ende der westlichen Weltherrschaft und dem Untergang des Römischen Reichs. © picture alliance / Zoonar / Tolo Balaguer
Was der Untergang Roms über die Gegenwart lehren kann
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Peter Heather und John Rapley vergleichen das Ende des Römischen Reichs mit dem gegenwärtigen Niedergang der westlichen Globalherrschaft. Das ist unter Historikern schon lange beliebt. Doch Heather und Rapley leiten daraus andere Schlüsse ab.
Der Westen ist am Ende. Die westlichen Imperien und Kolonialreiche sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zerfallen, nun ist auch die wirtschaftliche Dominanz der westlichen Industrienationen vorüber, und wer nach dem Ende des Kalten Kriegs noch glaubte, dass sich das westliche Modell der liberalen Demokratie in aller Welt ausbreiten werde, sieht sich angesichts des allgemeinen Aufschwungs autoritärer Systeme eines Besseren belehrt.
Was sind die Gründe für diesen Niedergang? Und was bedeutet er für die Zukunft der verbliebenen westlichen Demokratien? Diesen Fragen gehen Peter Heather und John Rapley in ihrem Buch „Stürzende Imperien“ nach. Dabei interessieren sie sich besonders für die Parallelen zwischen dem Ende der westlichen Weltherrschaft und dem Untergang des Römischen Reichs in der Mitte des ersten nachchristlichen Jahrtausends. John Rapley forscht als politischer Ökonom zu Globalisierung und Migration in der Gegenwart. Peter Heather hat als Professor für mittelalterliche Geschichte mehrere Bücher zur römischen Spätantike verfasst.
Schwinden der Wehrfähigkeit und Wirtschaftskraft
Sie sind natürlich nicht die ersten Historiker, die hier nach Gemeinsamkeiten suchen. Lange Zeit prägend für diese Perspektive war Edward Gibbons’ monumentales Werk „Verfall und Untergang des Römischen Imperiums“ aus dem späten 18. Jahrhundert. In ihm wird das Ende des Reichs auf die zunehmende Dekadenz seiner Bürger geschoben. Deswegen seien Wirtschaftskraft und Wehrfähigkeit so weit geschwunden, dass man den Anstürmen der Hunnen und anderer Barbaren nichts mehr entgegenzusetzen hatte.
Rechte Historiker und Politiker folgern daraus bis heute, dass dem untergehenden Westen seine Rettung nur dann gelingen kann, wenn er sich gegen den neuen „Ansturm der Barbaren“ (diesmal aus Afrika und den islamischen Ländern) abschottet.
Opfer des eigenen Erfolgs
Daran ist alles falsch, schreiben Heather und Rapley. Denn wie neuere archäologische Funde belegen, stand das römische Imperium kurz vor seinem Ende in der höchsten wirtschaftlichen Blüte. Es sei nicht an Dekadenz zugrunde gegangen, sondern zum Opfer des eigenen Erfolgs geworden.
Die prosperierende Wirtschaft im Zentrum des Reichs habe über Jahrhunderte hinweg auch dessen Peripherie immer weiter gestärkt. So seien die dort lebenden nicht-römischen Stämme irgendwann in die Lage versetzt worden, eigene Macht- und Territorialansprüche gegen das Reich durchzusetzen. Dadurch sei dieses so weit geschwächt worden, dass es unter dem Ansturm germanischer Stämme und der iranischen Sassaniden zunächst in zwei Hälften zerfiel und das weströmische Reich schließlich unterging.
Verschiebung der Macht zur Peripherie
Hier seien die Parallelen zum Aufstieg und Niedergang des Westens deutlich: Dieser habe seinen wirtschaftlichen Erfolg seit dem späten 18. Jahrhundert ja wesentlich dem Kolonialismus und der Ausbeutung unterworfener Völker und Territorien zu verdanken. Davon habe er auch in der Epoche der Dekolonisierung seit 1945 noch profitiert, als nämlich das produzierende Gewerbe zunehmend an die Peripherie des alten Imperiums verlagert worden sei.
Der Westen sie nie so reich gewesen wie kurz vor dem Beginn seines Abstiegs in den 1990er-Jahren. In diesem Jahrzehnt seien die Länder der ehemaligen Peripherie dann aber wirtschaftlich so mächtig geworden, dass sie schließlich vereint die Hegemonie des Westens herausfordern konnten und diesen so weit schwächten, dass er heute seinen Anspruch auf globale Alleinherrschaft gegen den neuen Konkurrenten China nicht mehr durchzusetzen vermag.
Was folgern Heather und Rapley daraus für die Zukunft des Westens? Erstens solle dieser alles daransetzen, nicht – wie das Römische Reich in Ost- und West-Rom – zu zerbrechen. Alleingänge à la Brexit und Trump führten unweigerlich in den Untergang. Zweitens müsse man sich damit abfinden, dass man sich über nächsten paar Hundert Jahre hinweg die Macht mit China teilen muss - so wie das Byzantinische Reich mit den Sassaniden und später dem islamischen Kalifat. Gegen China müsse man – drittens – um die Sympathien der ehemals kolonisierten Völker konkurrieren. Gelinge dies, könne man darauf hoffen, dass sie sich irgendwann auch wieder für das westliche Modell der liberalen Demokratie begeistern.
Ein Stück Zweckoptimismus
Spätestens hier schlägt der sonst angenehme kühle Ton der Globalhistoriker in einen sonntagsrednerischen Zweckoptimismus um. Denn so stark ist der von China, Russland und dem politischen Islam angeführte globale Autoritarismus inzwischen, dass die verbliebenen westlichen Demokratien hier nur noch wie Ausnahmefälle wirken, deren historische Zeit abgelaufen ist.
Am Ende machen Heather und Rapley ihren Lesern also mehr Hoffnung, als sie zu begründen vermögen. Dennoch ist ihr Buch unbedingt lesenswert. Viele Parallelen, die sie entwerfen, sind unmittelbar einleuchtend. Interessant ist ihre Studie nicht zuletzt wegen der komprimierten, lebendigen Schilderung der Spätphase des Römischen Reichs.
Peter Heather & John Rapley: “Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens“
Aus dem Englischen von Thomas Andresen
Klett-Cotta, Stuttgart 2024. 288 S., 25 Euro