Richard Girling: "Der Mensch und das Biest"
© Rowohlt
Sind Veganer wirklich die rücksichtsvolle Krone der Schöpfung?
06:21 Minuten
Richard Girling
Übersetzt von Hainer Kober
Der Mensch und das BiestRowohlt, Hamburg 2021512 Seiten
26,00 Euro
Die Herrschaft des Menschen über das Tier ist brutal: Es wird gejagt, geschlachtet, benutzt. Richard Girling zeigt, dass daran auch Bibel und Aufklärung schuld sind, stellt Pioniere des Tierschutzes vor und erklärt, warum sich so wenig geändert hat.
In „Der Mensch und das Biest“ erzählt der britische Wissenschaftsautor Richard Girling von der Herrschaftsgeschichte des Menschen über die Tiere. Wo unsere Spezies auftaucht, sterben reihenweise andere Arten.
Diese Destruktivität hat sich zuletzt noch einmal erhöht. Seit 1970 ist der Gesamtbestand an wild lebenden Tieren um zwei Drittel geschrumpft, schreibt Girling. 90 Prozent der Säugetiere sind heute Nutztiere.
Haben Tiere mehr Vernunft als ein Stein?
Girlings Buch holt weit aus, erzählt von der Frühgeschichte und der Zähmung der ersten Haustiere, von den Jagdexzessen barocker Fürsten und den Verheerungen maskuliner Großwildjäger in Afrika und Amerika, vom massenhaften Einsatz der Tiere in den Kriegen und in den Versuchslaboren der Wissenschaft. Der Autor nimmt Methoden der Schlachtung in Augenschein und protokolliert die Leiden der Überzüchtung, etwa bei Rassehunden mit Atemproblemen und Hüftbeschwerden.
Die grausame Praxis ist das eine, der abwertende Diskurs das andere: Unheilvoll wirkte sich die biblische Schöpfungsgeschichte aus, nach der die Tiere zum Nutzen des Menschen geschaffen seien: „Machet sie euch untertan!“
Die Folgen der Aufklärung waren in Hinblick auf die Tiere allerdings oft nicht besser als die der Bibel. Die Tiere wurden noch weiter vom Menschlichen weggerückt: als mechanistische Bio-Apparaturen, die Gefühle so wenig kennen wie eine Rübe.
Während der Philosoph René Descartes der Auffassung war, dass ein Tier nicht mehr Vernunft habe als ein Stein, änderte Jeremy Bentham um 1800 die Blickrichtung: „Die Frage ist ja nicht, ob sie denken können … Die Frage ist: Können sie leiden?“ Er forderte bereits Rechte für Tiere ein.
Pioniere des Tierschutzes
So ist dieses Buch auch eine Geschichte wachsender Empathie: Bei dem romantischen Lyriker William Blake erstreckte sich die Einfühlung sogar auf eine Stubenfliege: „Bin ich denn nicht / eine Fliege gleich dir?“
Auch der pessimistische Philosoph und Pudelfan Arthur Schopenhauer zeigte bereits ein erstaunliches Sensorium für die Leiden und die Ausbeutung der Tiere. Sie wurden ihm als „personifizierte Gegenwart“ zu spirituellen Lehrmeistern für die Philosophie des Augenblicks.
Immer wieder fügt Girling interessante Porträts in seine Darstellung ein. Er stellt Pioniere des Tierschutzes vor wie Lewis Gompertz (1783-1861), der kein Fleisch aß, auf Schuhe aus Leder und Kleidung aus Wolle verzichtete und sich in kein Fahrzeug setzte, das von einem Pferd gezogen wurde. Dafür hat er was für die Fortbewegung ohne Pferdestärke getan: Er erfand den Handkurbelantrieb für Draisinen.
Der menschliche Exzeptionalismus ist widerlegt
Girling hat ein komplex argumentierendes Buch geschrieben, das – auch wenn es entschieden für die Tiere Partei nimmt – nicht mit einem Pamphlet von Tierschutzaktivisten zu verwechseln ist. Denn die Natur ist selbst eine Arena unendlicher Qualen. Hyänen wühlen ihre bluttriefenden Schnauzen in die aufgerissenen Bäuche ihrer Beute, während diese noch lange vor Qualen brüllt.
Soll der Mensch sich denn besser verhalten als die Hyäne? Liefe das nicht wiederum auf eine humane Sonderstellung hinaus – der Veganer als rücksichtsvolle Krone der Schöpfung? Auch solche Fragen fordern Antworten.
Affen und Menschen unterscheiden sich lediglich zu 1,3 Prozent ihrer DNA. Gedächtnis, Planung, Kommunikation, Kooperation und Mitgefühl gehören ebenso zum tierischen wie zum menschlichen Leben.
So steht am Ende dieses kenntnisreichen Buches die Einsicht, dass der menschliche Exzeptionalismus des biblischen Schöpfungsmythos nach zweieinhalb Jahrtausenden widerlegt ist. Für viele Arten kommt diese Einsicht allerdings zu spät.