Ron Leshem: "Feuer. Israel und der 7. Oktober"

Terror mit Langzeitwirkung

06:31 Minuten
Buchcover von "Feuer. Israel und der 7. Oktober"
© rowohlt

Ron Leshem

Übersetzt von Ulrike Harnisch und Markus Lemke

Feuer. Israel und der 7.OktoberRowohlt Berlin, Berlin 2024

311 Seiten

25,00 Euro

Von Carsten Hueck · 07.06.2024
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Israels beschädigte Demokratie, der Terrorangriff der Hamas und wie es weitergehen kann: Ron Leshem dokumentiert eindringlich die Vorgeschichte des 7. Oktober und seine Folgen. Ohne Pathos macht Leshem die Geschehnisse transparent.
Er lebt seit zehn Jahren in Boston. Geboren und aufgewachsen aber ist Ron Leshem in Israel. Er hat Verwandte im Kibbuz Be’eri - am 7. Oktober 2023 einer der Schauplätze von Entführung, Zerstörung, Folter und Mord.
In der Vorbemerkung seines Buches beschreibt der Autor seinen Schock. Er spricht von Kindheitserinnerungen, seiner Familie und seinem Cousin, der an diesem Tag als Geisel entführt und später umgebracht wurde. Unterstreicht aber, dass er die Ereignisse des 7. Oktober dokumentieren will - vor allem, um Fake-Narrativen, die bis heute in den sozialen Netzwerken kursieren, etwas entgegenzusetzen.

Blick vor und zurück

Als junger Mann hat Ron Leshem für den militärischen Geheimdienst und viele Jahre als Journalist gearbeitet. Im 7. Oktober sieht er einen Schlüssel zum Verständnis dessen, was er die „mentale Zerrüttung der ganzen Region“ nennt. Er zeigt deren Geschichte in ihrer Komplexität, geht dabei zurück in die Geschichte vor der Staatsgründung, und arbeitet Wendepunkte heraus, an denen sich das Verhältnis Israels und der Palästinenser verändert hat. Beispielhaft nennt er das Massaker von Hebron 1929 und die Attentate palästinensischer Terroristen nach der Ermordung Yitzhak Rabins 1995. Und er stellt ausführlich die Verfassung dar, in der sich das Land am Vorabend des 7. Oktober befand.
„Feuer“ ist das Ergebnis detaillierter Recherche. Es ist auch - und das macht es in besonderer Weise lesenswert – eine Analyse der Verfasstheit der jüdischen wie auch der palästinensischen Gemeinschaft.
Leshem warnt vor einem theokratischen, rassistischen Staat, zu dem sich Israel, so fürchtet er, nach dem 7. Oktober entwickeln könnte, wenn nicht ein grundsätzlicher Politikwechsel stattfindet. Der Autor warnt ebenso vor den Ambitionen der Hamas, die mit langem Atem an der Zerstörung Israels arbeitet – und er unterstreicht, dass es um mehr geht als um einen lokalen Konflikt.

Der Hamas-Terror als Inspiration

„Es wird der Sieg, den die Hamas bei ihrem Überfall davongetragen hat, in den nächsten Jahrzehnten anderen Terrororganisationen, auch auf anderen Kontinenten, als Inspiration dienen. Das ultimative Grauen, das sich verbreiten lässt, indem man Menschen in ihrem privaten Zuhause angreift, das Grauen von Eltern, die ihre Kinder nicht schützen können, wird Terrororganisationen und Einzeltäter auf den Plan rufen“, schreibt er.
Beeindruckend an dem Buch ist die Verbindung von Kritik, Empathie, Information und Faktenreichtum: präzise zusammengefasst, ein sachlicher Ton. Jedes Pathos wird vermieden, doch in jedem Satz sind die Emotionen des Autors spürbar.
Erbarmungslos sachlich sind hingegen die Passagen, in denen er den Ablauf der Ereignisse vom 7. Oktober chronologisch, in kleine Absätze gegliedert, mit Datum und Uhrzeit versehen, rekonstruiert.

Morde und Gräueltaten im Minutentakt

46 von 311 Seiten umfasst dieses „Chronik eines Tages“ überschriebene Kapitel. Morde und Gräueltaten im Minutentakt: Das in einem Rutsch durchzulesen, ist unmöglich.
Für den Autor ist der 7. Oktober der „am besten dokumentierte Massenmord der Geschichte“. Dessen mediale Verbreitung, betont Leshem, die Kombination von Technologie und Bewusstseinsmanipulation, sei ein Sieg der Hamas. Seine Sorge: „Die für die Kamera bestimmten Taten stacheln die Barbarisierung und Bestialisierung nur noch weiter an.“

Das bislang wichtigste Buch zum 7. Oktober

Ron Leshems Buch ist das bislang wichtigste zum 7. Oktober. Es macht das Geschehene auch über den Tag hinaus auf eindringliche Weise transparent. Der Autor schaut vor und zurück. Und das ist besonders für Leserinnen und Leser, die nicht mit der Geschichte des Nahostkonfliktes vertraut sind, unverzichtbar.
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