Michael Grüttner: "Talar und Hakenkreuz"

Wie die Universitäten sich gleichschalten ließen

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Das Buchcover von "Talar und Hakenkreuz. Die Universitäten im Driten Reich" von Michael Grüttner
© C.H.Beck Verlag

Michael Grüttner

Talar und Hakenkreuz. Die Universitäten im Dritten ReichVerlag C.H. Beck, München 2024

704 Seiten

44,00 Euro

Von Hans von Trotha · 10.06.2024
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In einer umfassenden Studie rekapituliert der Berliner Historiker Michael Grüttner die Geschichte der deutschen Universitäten unterm Hakenkreuz – die erste Gesamtdarstellung zum Thema. Das Warten hat sich gelohnt.
Bislang hat eine Gesamtdarstellung der deutschen Universitätsgeschichte unter dem Nationalsozialismus gefehlt, eine Lücke, die von Untersuchungen zu einzelnen Hochschulen nicht gefüllt werden konnte.
Nach ausführlichen Forschungen zu Teilbereichen des Themas hat Michael Grüttner jetzt mit „Talar und Hakenkreuz“ sein „opus magnum“ als Forscher und Autor vorgelegt: „Die Universitäten im Dritten Reich“. Das Warten hat sich gelohnt. 

Klar strukturiert, gut belegt, stets nachvollziehbar

Grüttner behandelt das Thema nach allen Regeln der historiografischen Kunst und präsentiert seine Ergebnisse ausführlich, dabei klar strukturiert, gut belegt, stets nachvollziehbar und immer gut lesbar. So erlaubt zum Beispiel ein Wechsel zwischen Statistiken und individuellen Einzelfällen unmittelbar Einblick in komplexe Strukturen.
Behandelt werden die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, die ihr folgende Hochschulpolitik, das Verhältnis zwischen Universität und Politik, Veränderungen im Lehrkörper und die Auswirkungen all dieser Aspekte auf die Wissenschaft.
Eröffnet wird die Studie mit einer Analyse der Vorgeschichte. Das ist das vielleicht spannendste und für uns heute womöglich aufschlussreichste der sechs großen Kapitel – zeigt es doch eindringlich, wie rasant und grundsätzlich das Unterwandern stabilisierender Vereinbarungen auch eine jahrhundertealte Institution wie die Universität in einem anderen, radikalen Geist umkrempeln kann; und sei der noch so wissenschaftsfeindlich, chauvinistisch und menschenverachtend.

Relativ reibungslose Gleichschaltung

Die Universität als Institution wie auch ihre (meist männlichen) Protagonisten als Individuen befanden sich demnach in der Weimarer Republik in einer „multiplen Krise“. Eine tendenziell nationalkonservative, antidemokratische, antisemitische Universitätselite war anfällig für das Gerede von einer „nationalen Wiedergeburt“ und die geschürte Angst vor dem Kommunismus, was im Ergebnis zu einer „relativ reibungslosen Gleichschaltung der Hochschulen“ führte.
Dabei wirkten eine „Machtergreifung von oben“ und eine „Machtergreifung von unten“ Hand in Hand, wobei letztere „alle Merkmale eines Generationenkonflikts“ trug. Die Bücherverbrennung etwa wurde nicht, wie oft kolportiert, von Goebbels' Propagandaministerium initiiert, sondern von der nationalsozialistischen Studentenschaft, die überhaupt auf schwindelerregende Weise zum Kraftzentrum der Veränderungen an den Universitäten wurde.
Der „Volksgemeinschaft“ konnte nationalsozialistische Wissenschaft mit der Ausbildung von Ideologen und Experten dienen. Der Schwerpunkt lag auf Disziplinen wie Vor- und Frühgeschichte, Volkskunde oder Rassenhygiene, wobei die Medizin den „am stärksten nazifizierten Teil der deutschen Universitätslandschaft“ darstellt mit der „Eugenik als neuem handlungsleitenden Paradigma“.
Dass die massiven Eingriffe in Organisation, Inhalt und Personal der Universitäten schließlich zu einem eklatanten Verlust an wissenschaftlicher Substanz und zu einer Stärkung des wissenschaftlichen Potenzials von Deutschlands künftigen Kriegsgegnern führen sollte, erkannten die Verantwortlichen zu spät.
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