Tom Krebs: „Fehldiagnose“
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Wie der Wirtschaftsliberalismus der Wirtschaft schadet
06:30 Minuten
Tom Krebs
"Fehldiagnose. Wie Ökonomen die Wirtschaft ruinieren und die Gesellschaft spalten"Westend Verlag GmbH, 2024240 Seiten
25,00 Euro
Warum schwächelt die deutsche Wirtschaft? Der Ökonom Tom Krebs sieht die Gründe in einer marktliberalen Verblendung der Wirtschaftspolitik. Er zeigt, dass ökologisches, sozial gerechtes Wachstum massive staatliche Investitionen braucht.
Die deutsche Wirtschaft steckt seit zwei Jahren in der Rezession – umstritten aber ist, warum. Nicht erst im aktuellen Wahlkampf dominiert die Erzählung, die Wirtschaftsschwäche habe strukturelle Gründe, sprich: zu hohe Steuern, zu viel Bürokratie, zu kurze Arbeitszeiten.
Der Ökonom Tom Krebs sieht darin eine folgenschwere „Fehldiagnose“ – denn, so argumentiert Krebs überzeugend, die Strukturbedingungen haben sich in so kurzer Zeit nicht maßgeblich verändert. Vielmehr sei die Ursache in den Folgen der Energiekrise zu suchen – und der staatlichen Reaktion darauf: Weil die Regierung etwa die Industrie nicht ausreichend vor den steigenden Energiepreisen geschützt habe, hätten viele Unternehmen Produktionskapazitäten abgebaut oder ins Ausland verlagert.
Marktliberale Märchenwelt
Verantwortlich für diese mangelhafte Krisenpolitik ist für Krebs eine vorherrschende ideologische Verblendung seiner eigenen Zunft: In der öffentlichen Debatte und Politikberatung dominiere eine marktliberale „Märchenwelt“. Und die sei nicht nur unrealistisch, sondern führe zu fatalen Fehlentscheidungen: „Der Wirtschaftsliberalismus schadet letztlich der Wirtschaft.“
Denn er ignoriere wesentliche Erkenntnisse von Karl Polanyi, John Maynard Keynes und Karl Marx, die für das Verständnis der realen Wirtschaft unerlässlich seien: Transformationen produzieren Anpassungskosten, die der Markt allein nicht auffangen kann; Märkte operieren immer unter Unsicherheit, was erwartungsgetriebene Überreaktionen nach sich zieht; und die Verteilung des produzierten Mehrwerts (Löhne vs. Rendite) ist eine Machtfrage.
Der Marktliberalismus nimmt stattdessen an, Marktergebnisse seien generell effizient, selbstregulierend, gemeinwohlfördernd und daher staatlichen Eingriffen vorzuziehen.
Krebs, Professor für Makroökonomik und Wirtschaftspolitik in Mannheim, zeichnet ausführlich nach, welchen Einfluss marktliberale Positionen auf die Krisenpolitik der Ampelregierung hatten: Eine Verzögerung beziehungsweise Verstümmelung von Preisbremsen, Verhinderung einer angemessenen Mindestlohnerhöhung, eine kontraproduktive Inflationsbekämpfung und das verfrühte Ausrufen einer Rückkehr zur fiskalpolitischen „Normalität“ der Sparpolitik.
Zu den Stärken des Buches gehört, dass Krebs sehr anschaulich macht, was vor dem Hintergrund gesunkener Reallöhne die überdurchschnittlichen Preissteigerungen für Lebensmittel (30 Prozent) und Energie (50 Prozent) in den Jahren 2022 bis 2023 für niedrige Einkommen bedeutete, die einen großen Teil ihres Geldes dafür ausgeben müssen.
Für einen „ökonomischen Realismus“
Doch es geht Krebs nicht nur um eine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern vor allem um die Frage: Wie kommen wir raus aus der „Dauerkrise“? Und zwar auf eine Weise, die nicht nur auf dem Papier mehr Wohlstand schafft, sondern Wachstum, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander verbindet?
Krebs zeigt auf: Höhere Löhne und Klima-Investitionen sind letztlich Wachstumsimpulse. Und effiziente Klimapolitik braucht nicht nur CO2-Preise, sondern staatliche Förderung.
Deutsche Wirtschaft
Wie geht es raus aus der Krise?
04.12.2024
43:53 Minuten
Der „ökonomische Realismus“, den Krebs vorschlägt, umfasst unter anderem eine breitenwirksame, unbürokratische und großzügige Förderung klimafreundlicher Investitionen; Maßnahmen für höhere Löhne; sowie massive staatliche Investitionen in Infrastruktur und Bildung.
Finanzieren will Krebs das durch eine Besteuerung großer Vermögen und eine größere Kreditaufnahme, mittelfristig ermöglicht durch eine Reform der Schuldenbremse – wie sie mittlerweile ja viele auch liberale Ökonomen fordern. Denn wie Krebs mit dem Bild der „schwäbischen Unternehmerin“ verdeutlicht: Kreditfinanzierte Investitionen sind nicht nur ökonomisch vernünftig, sondern der Normalfall.
Ökonomische Aufklärung mit kleinen Abstrichen
Diese Vorschläge sind nicht ganz neu, wie Krebs selbst einräumt, und als Fortschrittsagenda nicht erschöpfend – so findet sich wenig zum Wohnen oder Sozialstaat. Auch geht Krebs kaum auf die zahlreichen Argumente ein (etwa den „Rebound-Effekt“), die ein langfristig mögliches grünes Wachstum infrage stellen.
Wenn es aber darum geht, akut drohende Wohlstandsverluste für die breite Mehrheit zu verhindern – und damit weitere Zugewinne für rechtsextreme Akteure –, ist sein Programm ein sinnvoller Aufschlag. Und ein dringendes Gegengewicht zum dominanten Diskurs um Steuersenkungen, Mehrarbeit und Sparzwang.