Streit in einer Weinregion
Bebauungsstreit in einer der schönsten deutschen Kulturlandschaften: Im Rheingau sorgt der wirtschaftliche Wachstumszwang der Winzer für Zwist mit den Nachbarn. Bewohner wehren sich gegen große Betriebshöfe für die Weinproduktion zum Beispiel am Sonnenberg.
Winzer Christian Gebhardt steigt tief hinab in einen Gewölbekeller aus dem 16. Jahrhundert. Die Decken sind kaum zweieinhalb Meter hoch. Die Fässer, die hier nebeneinander stehen, fassen jeweils 3000 Liter Wein, erklärt der kräftige Mann um die 30:
"Früher war das auch der Luftschutzkeller von Martinsthal. Weil wir hier so weit unter der Straße sind."
Der alte Weinkeller der Familie Gebhardt liegt so weit unter einer Straße mitten im Ortskern des Rheingau-Dorfes Martinsthal, dass hier immer frisches Grundwasser vorhanden ist.
"Das Grundwasser würde quasi hier rein steigen, wir haben hinten im Eck einen Schacht, wo eine Pumpe drin sitzt, dass das Wasser in den Kanal gefördert wird."
Kellereibetrieb in 500 Jahre alte Gewölbe
Längst reicht das teilweise fast 500 Jahre alte Gewölbe auf der einen Seite der Straße nicht mehr aus, um den Kellereibetrieb wirtschaftlich zu betreiben. Denn in den letzten Jahrzehnten ist der Familienbetrieb im Rheingau von ursprünglich 3 auf nunmehr 23 Hektar Weinbaufläche gewachsen. Deshalb wurde auf der anderen Seite der Straße ein zweiter Keller ausgebaut, um den steigenden Flächenbedarf zu befriedigen. Doch die Weinverarbeitung tief unter der Erde beiderseits der alten Dorfstraße ist sehr mühselig, berichtet Christian Gebhardt:
"Vor allem ist es hier die Sache - wir haben hier, glaube ich 18 Treppenstufen, drüber 18 und nochmal der in den alten Keller. Laufstrecke 50 Meter. Wenn man sich überlegt, bei jedem Tank, der drüber voll wird, muss man dann von diesem Keller rüber in den Keller. Man macht am Tag ein paar Kilometer, wenn man in einem solchen Keller arbeitet."
Dazu kommt: Über dem Weinkeller in Martinsthal liegt ein Wirtshaus, mit dem ein Teil des Einkommens der Winzer-Familie erwirtschaftet wird. Der Keller unter der Gastronomie wird von Elke Gebhardt - Christians Mutter- für Spezialveranstaltungen mitbenutzt. Doch dafür müssen bisher nahezu alle Kellerei-Geräte immer wieder beiseite geräumt werden, erklärt der junge Winzer:
"Es ist alles sehr schwierig und zeitaufwändig. Wir arbeiten dort auf mehreren Ebenen, haben keinen Aufzug, das heißt, es muss alles von Hand hoch und runter getragen werden. Es ist auch zu wenig Platz in der Landmaschinenhalle. Wir füllen in der Landmaschinenhalle, wir müssen alles immer hin- und herräumen, im Herbst müssen alle Gerätschaften raus, was bei so einem Weingut doch relativ viel ist. Die Presse muss gestellt werden. Ich habe mal mit meinem Vater überlegt, es sind so 30 bis 50 Tage im Jahr, an denen wir nur am hin-und herräumen sind, um die jeweiligen Arbeiten erledigen zu können. Das geht nicht mehr heute, das ist zu viel Zeit und Zeit ist Geld."
Beengte Verhältnisse
Deshalb hat das Weingut Hirt-Gebhardt nun eine neue Kellerei und ein Wohngebäude gebaut- außerhalb des engen Ortskerns von Martinsthal in einem Weinberg oberhalb des Nachbarortes Eltville. Christian Gebhardt wird dort gemeinsam mit seiner Frau Claire und der fünfjährigen Tochter Mia-Luisa auf diesem "Aussiedlerhof" leben. Einerseits bedauert Elke Gebhardt den Auszug des Paares aus der familiären Hausgemeinschaft. Andererseits sieht sie die Aussiedlung aufgrund der bisherigen beengten Verhältnisse auch als Chance für den Teil der Familie, der vor allem vom Gasthaus in Martinsthal leben will:
"Da sind wir sehr beengt. Ob das jetzt das Mobiliar ist, mit Tischwäsche, mit Lebensmitteln. Wenn es im Sommer warm ist, dann muss hier alles in die Kühlung rein und da haben wir uns halt immer sehr beholfen. Wenn der Betrieb getrennt ist, es ist zwar schade, dass sie weggehen von hier, aber auf der anderen Seite freuen wir uns auch für sie, dass sie da so was Tolles geschaffen haben. Und da unterstützen wir sie natürlich."
Doch nicht von allen in der Region wird die Aussiedlung eines Teils der Winzerfamilie mit jahrhundertealter Weinbau-Tradition unterstützt. Denn der gerade fertiggestellte Neubau des Weingutes Hirt-Gebhardt liegt nur wenige hundert Meter vom Ortsrand des idyllischen Rheingauortes Eltville entfernt. In einem bisher unbebauten, markanten Weinberg mit Namen "Sonnenberg", in dem viele Menschen gerne spazieren gehen und den Blick auf Eltville und den Rhein genießen. Einer der Flaneure ist Ludwig Zahn, der auch für die örtliche Tourismusorganisation Rheingau-Taunus e.V. als sogenannter "Gästebegleiter" Weinliebhaber durch die alte Kulturlandschaft führt:
"Ich bin Weinliebhaber und ich bin Weintrinker und ich bin ausgebildeter und zertifizierter Kultur- und Weinbotschafter hier im Rheingau. Ich führe regelmäßig Menschen durch den Rheingau. Und ich zeige den Menschen gerne, wie schön dieser Rheingau ist und wie toll unser Wein hier schmeckt und es tut natürlich schon weh. Ich hatte jetzt gerade vor ein paar Wochen wieder eine Führung, die ging vom Kloster Eberbach bis zum Eltviller Sonnenberg und da steht man dort oben am Eltviller Sonnenberg-Häuschen und die Leute schauen runter auf Eltville und sehen dann diesen massiven Bau des neu ausgesiedelten Hofes. Und die Leute sind da teilweise schon schockiert und ich empfinde da ähnlich."
Stadtbildverein will mitreden
Ludwig Zahn engagiert sich im Eltviller Stadtbildverein, der vor Jahrzehnten aus einer Bürgerinitiative entstanden ist, die sich gegen den Bau einer Schnellstraße unmittelbar am Eltviller Rheinufer wehrte. Über dieses letztlich erfolgreiche Engagement ist heute die ganze Region froh, Eltville ist nicht zuletzt deshalb ein touristischer Anziehungspunkt im Rheingau geworden, weil das Ufer nicht unter den Asphalt geriet. Nun will der Stadtbildverein verhindern, dass immer mehr Weinberge rund um den Ort von den Winzern selbst bebaut werden - ohne öffentliche Debatte. Die Eltviller Ärztin Renate Quermann ist die Vereinsvorsitzende:
"Grundsätzlich ist unser Thema schon der Schutz der Kulturlandschaft. Das heißt, wir wollen nicht auf dem Status wie vor 50 Jahren stehenbleiben. Aber wir wollen die Eigenheit und die Eigenart der Region bewahren und auch dafür sorgen, dass auch in 20, 30 oder 50 Jahren die Menschen, die hierher kommen noch den Rheingau als erlebenswert erleben."
Der Stadtbildverein Eltville weiß, dass dieses Ziel grundsätzlich nur gemeinsam mit den örtlichen Winzern zu erreichen ist, die seit Jahrhunderten das Bild der Kulturlandschaft geprägt und aufrechterhalten haben. Doch Renate Quermann will dafür werben, dass der Neubau größerer Betriebshöfe mitten in den alten Weinbergen außerhalb der Ortschaften von den Winzern nicht als einziger Weg für wirtschaftliche Entwicklung in den Blick genommen wird:
"Wir wünschen uns eigentlich, mit den Winzern etwas engeren Kontakt zu bekommen, um bei denen die Sensibilität zu schaffen und vielleicht Wege aufzuzeigen, wie kann man es machen. In Martinstal gibt es zum Beispiel eine große Halle, wo mehrere Winzer zusammen sich dieses Gewerbe teilen. Das wäre ja auch eine Möglichkeit. Und das wollen wir versuchen, mit denen zu erörtern, damit das so ein bisschen zielgerichteter wird."
Kritik an der Stadtregierung
In Sachen "Aussiedlerhof" der Familie Hirt-Gebhardt kommt dieses Gespräch zu spät. Die Gebäude stehen bereits. In die Kritik gerät in diesem Fall insbesondere die Eltviller Stadtregierung, die den Bau des neuen Weingutes im Hausberg des Ortes genehmigt hat, ohne im Vorfeld das Kommunalparlament zu informieren. Gerhard Hammer, ebenfalls Vorstandsmitglied des Eltviller Stadtbildvereins:
"Gerade bei privilegierten Baumaßnahmen, in einer Kulturlandschaft mit besonderem oder sogar bundesrepublikanischem Rang, wäre es hier vonnöten gewesen, auch die Stadtverordnetenversammlung zu beteiligen und die Öffentlichkeit insgesamt, weil das einen erheblichen Eingriff in diese Landschaft darstellt."
Dass die Öffentlichkeit nicht in die Pläne der Martinsthaler Winzerfamilie einbezogen wurde, liegt an einem alten Recht für Landwirte in Hessen. Sie dürfen einen neuen Hof außerhalb ihres bisherigen Betriebsareals bauen, wenn es ihre wirtschaftliche Zukunft sichert. Die Lokalpolitik habe sich bei dieser Entscheidung traditionell kaum eingemischt, kritisiert die Eltviller Stadtbild-Vereinsvorsitzende Renate Quermann:
"Weil es bisher so gelaufen ist: Ein Winzer stellt den Antrag zum Aussiedeln. Und wenn das Weinbauamt sagt: Ja, aus technischen und wirtschaftlichen Gründen ist das notwendig, dann werden alle anderen zuständigen Behörden gefragt und die sagen in der Regel: Ja. Weil das Aussiedeln ist so was Wichtiges, dass das immer genehmigt wird."
Eckart Mascus ist der Leiter des zuständigen Amtes für den ländlichen Raum, das dem hessischen Landkreis Limburg-Weilburg zugeordnet ist. Im Rheingau habe es bisher wenig Aussiedlungen gegeben, betont Mascus, der den Vergleich mit anderen Landwirtschaftsregionen Hessens hat. Aber auch im bekannten Riesling-Anbaugebiet am Rhein gibt es eine Tendenz zu immer größeren Betrieben mit entsprechend größeren Produktionsstätten, beobachtet der Landwirtschafts-Experte der öffentlichen Verwaltung:
"Das ist dieser Wachstumszwang oder nennen wir es mal Wachstumstendenz, die es ja in der Landwirtschaft überall gibt. Das ist im Ackerbau oder in der grünlandwirtschaftlichen Landwirtschaft oder im Gemüsebau genau dasselbe wie im Weinbau. Und das harmoniert nicht mit den alten Betriebsstätten, teilweise, das muss nicht immer so sein aber in diesem Fall ist das so: Wenn sie eingeengt in alten Teilen von Dörfern sich befinden, dann gibt das einfach diese Konflikte. Das hängt mit den Maschinen zusammen, den Dimensionen. Das hängt übrigens auch zusammen mit der gestiegenen Empfindlichkeit der Menschen gegenüber Belästigungen in der Ortslage."
In Martinsthal passiert es schon mal, dass ein Traktor seines Familien-Weingutes die unmittelbar benachbarte Feuerwehr behindert, die über die enge Straße vor dem alten Weinkeller zu einem Einsatz fahren muss, berichtet Winzer Christian Gebhardt. Aber auch den wirtschaftlichen Wachstumszwang verspürt er deutlich:
"Es ist ganz normal, kleine Weingüter von drei bis fünf Hektar können heute nur noch sehr schwierig überleben. Wenn ich mir überlege, ein neuer Traktor kostet zwischen 70.000 und 100.000 Euro. Wie soll man das erwirtschaften? Wenn da nicht eine gewisse Substanz dahinter steckt, geht das nicht. Das ist ganz einfach. Das ist ja auch die Entwicklung, dass immer mehr kleine Betriebe hinten runter fallen und die großen Betriebe immer größer werden. Und entweder man macht mit oder man fällt irgendwann selbst hinten runter."
Auch Eckart Mascus, der Landwirtschafts- und Umweltexperte aus der öffentlichen Verwaltung, wirbt grundsätzlich um Verständnis für das Neubauprojekt der Winzerfamilie Gebhardt:
"Wir betrachten das natürlich aus einer gewissen gesamt-landwirtschaftlichen Sicht, was hier auch im Rheingau vollzogen wird und selbstverständlich auch in anderen Weinbaugebieten Deutschlands. Denn wir haben einen Strukturwandel in der Landwirtschaft, wie auch im Weinbau insgesamt und der bedingt einfach, wenn sich Betriebe weiterentwickeln wollen, die in einer eingeengten Ortslage sich befinden, wie es eben hier in diesem einen Falle des Weinguts Gebhardt eben auch der Fall ist in Martinsthal – dass, wenn die sich weiterentwickeln wollen, nicht nur flächenmäßig, sondern eben auch von der Kapazität der Verarbeitung ihrer Rohstoffe, dass die dann auch räumlich die Bedingungen haben müssen, dass das auch möglich ist."
Aber: Eckart Mascus hat ebenfalls Verständnis für die Sorgen des Eltviller Stadtbildvereines, dass zu viele Weinbauflächen im Rheingau zu Bauland umgewandelt werden und sich damit der Charakter der alten Kulturlandschaft unwiederbringlich verändern könnte. Denn täglich werden allein in Hessen Ackerflächen und Viehweiden in der Größenordnung von 4-6 Fußballfeldern versiegelt, beklagt der Verwaltungsfachmann für den ländlichen Raum:
"Wenn wir uns mal vergegenwärtigen, dass in Hessen täglich, 365 Tage im Jahr, 3 bis 5 Hektar landwirtschaftliche Fläche für andere Zwecke in Anspruch genommen wird. Weggenommen wird! Das sind Infrastrukturmaßnahmen, Baugebiete, Siedlungsgebiete – dann ist das schon ein ziemliches Brett, was man da betrachtet. In Deutschland liegt das irgendwo bei 70 Hektar am Tag, 365 Tage. Darüber spricht selten jemand."
Christian und Claire Gebhardt gehen voran über den losen, braunen Kies des unteren Hofes ihres neuen Aussiedlergehöfts. Sie haben nicht einfach asphaltiert, der Regen kann hier weiterhin in den Untergrund dringen und den Weinberg bewässern. Doch die neue Kellerei schließt den Hof als gut 20 Meter breiter Betonriegel gegen den Weinberg hin ab. Einige Meter ist das Gebäude in den Abhang hinein versenkt, ein Teil ragt jedoch auch über die Rebstöcke des Eltviller Sonnenberges hinaus, die das insgesamt fußballfeldgroße neue Weingut umschließen. Claire Gebhardt erklärt, welche Funktion die noch leere Halle haben wird, die als erstes vom Hof aus betreten wird:
"Wir sind jetzt hier reingekommen, direkt zur Multifunktionsfläche hier vorne. Der Bereich, den wir jetzt eben nicht haben, wo abgefüllt werden kann, wo ausgestattet werden kann, etikettiert werden kann. Hinten geht es rein in den Tankraum, hier wird irgendwann die Kelter – also die Pressen – stehen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt auch, das war meinem Mann sehr wichtig, dass die Trauben von oben durch Trichter fallen können und eben nicht mehr wie jetzt gepumpt werden, ein viel schonenderer Schritt für die Trauben."
Winzer Christian Gebhardt geht voraus über eine Treppe in das obere Stockwerk der Kellerei. Das Treppengeländer ist liebevoll vom Schwiegervater mit Weinblättern aus Metall verziert worden. Der junge Winzer öffnet eine Tür zum oberen Hof, auf dem die neue Landmaschinenhalle steht, die aus dem höher gelegenen Teil des Weinbergs gut sichtbar ist. Christian Gebhardt erläutert, dass die Arbeit mit den Landmaschinen in der neuen Kellerei komplett vom unteren Hof mit der PKW-Zufahrt zu einer Vinothek für die Direktvermarktung getrennt wird:
"Von hier oben der landwirtschaftliche Weg, die Landmaschinenhalle. Da ich unten Kundenverkehr und Dreck von Traktoren, von Arbeit getrennt haben möchte, wenn ich jetzt den Hof geschottert oder mit Kies vollgefahren habe, möchte ich nicht, dass da ein Traktor reinfährt oder irgendwann mal vielleicht eine Ölleitung platzt und der ganze Hof voller Öl ist. Sondern hier oben, da fahre ich in die Landmaschinenhalle, da kann ich es reparieren. Wenn es repariert ist, kann ich direkt wieder weiterfahren."
Die beiden Arbeitsebenen der Kellerei im Weinberghang sorgen aus seiner Sicht des jungen Winzers dafür, dass der Wein künftig wesentlich schonender verarbeitet werden kann als in der alten Kellerei in Martinsthal. Damit werde der Rebensaft noch besser, versichert Christian Gebhardt:
"Es wirkt sich auf die Qualität des Weins aus, wie man die Trauben bearbeitet. Wenn ich die einer hohen mechanischen Kraft aussetze und die werden gedrückt und die Stile werden gedrückt vor allen Dingen und die Kerne werden gedrückt, dann lösen sich gewisse Bitterstoffe, die sich beim Pressvorgang ansonsten nicht lösen, wenn sie nur abgekippt werden. Und die Bitterstoffe möchten wir im Wein nicht drin haben und dadurch wird natürlich die Weinqualität weiter gesteigert."
Reporter: "Das heißt, man kann zugespitzt sagen, durch diese Investition können sie zukünftig qualitativ besseren Wein machen?"
Winzer: "Auf jeden Fall, ja."
Winzer fühlen sich an den Pranger gestellt
All das hätten Christian und Claire Gebhardt ihren Kritikern gerne einmal persönlich erklärt – doch bisher hat noch niemand mit ihnen direkt das Gespräch gesucht. Stattdessen hängen in Schaukästen im Ortskern von Eltville Zeitungsartikel, die sich kritisch mit dem neuen Weingut beschäftigen. Claire Gebhardt fühlt sich an den Pranger gestellt:
"Für uns wär natürlich wünschenswert gewesen, die Kritiker oder die Leute, die Fragen haben oder Bedenken, wenn die persönlich auf uns zugekommen wären. Weil natürlich, jetzt aus meinem Standpunkt betrachtet, muss man auch bedenken: Da stehen Menschen dahinter, die erstmal damit umgehen müssen, dass sie auf einmal in der Presse stehen ganz groß. Ich laufe mit meiner jungen Tochter gestern durch die Stadt in Eltville und sehe dann auch ganz riesengroß diese Zeitungsartikel und sie fragt mich: Mama, Mama, da ist ja unser Haus! Das finde ich schade. Denn man kann über Dinge sprechen."
Der Eltviller Stadtbildverein hätte sich jedoch gewünscht, dass die Familie Gebhardt vor Baubeginn das Gespräch mit Stadtparlament und lokaler Öffentlichkeit gesucht hätte. Im Nachbarort Kiedrich etwa werde das so gehandhabt, betont Wein-Gästeführer Ludwig Zahn:
"Wenn da ein Winzer vorhat, auszusiedeln, dann geht er zu seinem Bürgermeister und spricht mit ihm mal darüber. Und dann reden die miteinander, welche Flächen kommen denn so in Betracht und dann werden sie sich mit Sicherheit nicht mitten in den Eltviller Hausberg, die werden sich mit Sicherheit nicht mitten in den Eltviller Gräfenberg hineinsetzen. So läuft das in Kiedrich und das hat der Bürgermeister auch sehr nachvollziehbar und glaubhaft hier erklärt. Und wir erleben in Eltville genau das Gegenbeispiel."
Nun will man für die Zukunft verhindern, dass weitere Weinberge der alten Kulturlandschaft bebaut werden, ohne dass darüber eine politische Debatte stattfindet. Der Eltviller Stadtbildverein strebt deshalb eine Ausweitung des öffentlichen Landschaftsschutzes im Rheingau an. Vereinsvorsitzende Renate Quermann:
"Wir sehen nämlich, dass die Selbstverantwortung der Winzer in diesen Punkten versagt."
Eckart Mascus vom zuständigen Amt für den ländlichen Raum hält jedoch nicht die Winzer für die vorrangigen Adressaten, wenn es um die drohende Versiegelung wertvoller Riesling-Weinlagen geht. Aus seiner Sicht bedrohen insbesondere von den Kommunen ausgewiesene neue Wohnsiedlungen und Gewerbegebiete den Rheingau, der aufgrund der räumlichen Enge zwischen Rheinufer und bewaldeten Taunushöhen nur noch wenig Spielraum für großflächige Neubauzonen bietet:
"Wir sind dafür verantwortlich, diese Gesellschaft, der wir alle angehören. Und darüber müssen wir uns alle Gedanken machen und viel mehr Gedanken machen aus meiner Sicht, als wir das bisher getan haben. Denn diese Fläche ist ein für alle Mal verloren für andere Zwecke. Und wenn so ein Baugebiet ausgewiesen wird oder so ein Gewerbegebiet, dann kann man sich ja auch über ästhetische Aspekte der Veränderung der Kulturlandschaft unterhalten trefflich und das findet in dem Maße relativ selten statt."
Im Gegensatz zu anderen Winzern der Region habe ihre Familie nie Weinbaufläche als Bauland verkauft, betont Claire Gebhardt. Mit dem Bau des neuen Hofes gehe es lediglich darum, die Jahrhunderte alte Weinbautradition der Familie auch für die nächste Generation unter guten Bedingungen aufrechterhalten zu können. Claire Gebhardt glaubt auch nicht, dass viele Winzer im Rheingau ihrem Beispiel folgen werden:
"Ich befürchte nicht, dass da zu viele hier im Rheingau kommen, die das auch machen. Eher wenige. Es ist ein Punkt, überhaupt diesen Schritt zu gehen. Diesen Schritt zu wagen, so ein verdammt hohes Risiko einzugehen. Was das für uns für eine Bedeutung hat, privat, finanziell. Wir sind auch Menschen, wir sind nicht nur das Weingut, das jetzt hier hin gebaut hat. Wir sind auch Menschen, die genauso hier leben, die ihr Leben auch irgendwie meistern müssen. Vor allem wenn man ein Familienbetrieb ist. Das einzugehen, das kann ich versprechen, das wagen nicht zu viele."