Rheinland-Pfalz

Unterwegs im Moscheltal

Das Dr.-Faust-Haus in Bad Kreuznach, erbaut im Jahr 1507: Es war die Heimat von Johann Georg Faust, dem Alchimisten, auf dem das Faust-Märchen beruhen soll.
Das Dr.-Faust-Haus in Bad Kreuznach, erbaut im Jahr 1507: Es war die Heimat von Johann Georg Faust, dem Alchimisten, auf dem das Faust-Märchen beruhen soll. © picture alliance / Friedel Gierth
Von Anke Petermann |
Die Moschel ist ein Gebirgsbach in der Nordpfalz. Sie ist nur 20 Kilometer lang, hat aber etlichen Ortschaften entlang ihres Laufs den Namen vermacht. Früher hielt das Flüsschen zahlreiche Mühlen auf Trab. Ein Ortsbesuch.
Die Moschel entspringt in der Nordpfalz, südöstlich von Dörrmoschel. Sie mäandert über Teschenmoschel, fließt weiter durch die kleinste pfälzische Stadt Obermoschel und ergießt sich bei Niedermoschel in die Alsenz. Im vergangenen Spätsommer spielte sich der friedliche Mittelgebirgsbach als reißender Strom auf und legte eine echte Sintflut hin. "Warum dut de liewe Gott s Moscheltal strofe?“, fragte seinerzeit ein Lokalblatt. Wir wissen es auch nicht und waten mal ein Stück.
Fragt man drei Bewohner des hügeligen, wiesenreichen Moscheltals, woher der Name Moschel kommt, dann geben sie drei Antworten. Uwe Rainau, Landwirt und Bürgermeister von Dörrmoschel:
"Das Moschel kommt von Muschel, deshalb auch im Ortswappen die Muschel.“
Vielleicht war es aber auch andersrum: der Wappenmaler hörte Moschel und malte Muschel. Ernst Spangenberger, gebürtiger Niedermoscheler und Gymnasiallehrer im Vorruhestand, meint zur Herkunft von Moschel:
"Das kommt von moosige Niederung – Moosel, das war wahrscheinlich eine Sumpfregion hier.“
Ein Moosbach, das ist vermutlich historisch korrekt. Aber sympathischer kommt die Version von Ernst Schulz daher, Mühlenbewohner, Nebenerwerbslandwirt und Bürgermeister von Teschenmoschel:
"Redendes Gewässer", heißt das, glaube ich, übersetzt.“
Redendes Gewässer – klingt interessant, das klingt nach moscheln und mauscheln.
Bauerndörfer mit großen Höfen
Was also will uns dieser nordpfälzische Bach erzählen? Vielleicht nuschelt er davon, dass es anstrengend war, Jahrhunderte lang Mühlen anzutreiben. Damit Menschen Mehl mahlen konnten und Erz pochen, also in kleine Stücke zerhauen. Die Dörfer im Moscheltal sind Bauerndörfer mit großen Höfen. Doch immer mal wieder in den vergangenen sieben, acht Jahrhunderten waren sie auch Bergbaudörfer. Silber und Quecksilber wurden in drei Abbauperioden ab 1400, ab 1728 und zuletzt ab 1938 aus den Bäuchen ihrer Hügel zutage gefördert, zum Beispiel aus dem Landsberg:
"Der ist hohl wie ’n Schweizer Käse.“
Ernst Spangenberger hat im ersten Stock des Bürgerhauses von Niedermoschel eine Ausstellung über den Bergbau eingerichtet. Die Außentreppe erklimmen und Blick auf den hohlen Landsberg.
"Der wurde ausgehöhlt. Da war der Quecksilber-Bergbau, und in der letzten Abbau-Periode sind die dann in die Tiefe gegangen. Das Quecksilber, das kam ja unten mit heißen Wässern hoch. Und die sind erst oben, in der Nähe der Oberfläche, kondensiert und auskristallisiert. Das heißt, unten war’s noch zu heiß. Und die, die sind dann runter,“
die Bergleute in der Nazi-Zeit,
"runter bis auf 49 Meter NN, das heißt also 100 Meter unter das Bachniveau praktisch und: alles Erz leer, war nix mehr zu holen. Also die Alten wussten schon: oben holt man die guten Sachen und unten ist nix mehr dann.“
Gut, dass sie in den Jahrhunderten davor fast alles rausgeholt hatten und damit dem Kriegstreiber Adolf Hitler zuvorgekommen waren.
"Der hat halt das Quecksilber gebraucht, zum Beispiel als Knallquecksilber für Zündhütchen. Hinten an der Patrone ist ein kleines Zündhütchen, und wenn das explodiert, explodiert vorn auch die Ladung, das Schwarzpulver.“
Quecksilber-Abbau bis 1942
1942 gaben die Nazis den wenig ertragreichen Quecksilber-Abbau im Moscheltal auf. Den Rohstoff lieferte ihnen fortan die spanische Franco-Diktatur. Damit endete im Moscheltal eine Bergbautradition, die ihren Ursprung im Mittelalter und ihre Blütezeit im 18. Jahrhundert hatte.
"Bis zu tausend Leute waren da beschäftigt in der Region. In der Blütezeit wurden zum auch Leute von auswärts geholt, Bergleute, die erfahren warn, zum Beispiel aus Tirol oder aus dem Elsass-Lothringen-Bereich,“
"Gastarbeiter“ sozusagen, denen man nachsagte, "wilde Gesellen“ zu sein und die man vorsichtshalber auf dem Bachufer jenseits vom Niedermoscheler Zentrum ansiedelte, auf der "Welschseite“. So heißt auch heute noch die Straße am Südufer des Bachs, wo früher in winzigen Häuschen die "welschen“ Bergleute lebten.
Auch heute könnten sie im Moscheltal Zuwanderer gebrauchen. Vorzugsweise solche, die Geld und Lust haben, große, mehr als hundert Jahre alte Bauernhäuser in den Dörfern zu kaufen, zu renovieren und mit Leben zu füllen. Zum Beispiel in Dörrmoschel mit 160 Einwohnern oder Teschenmoschel mit hundert. Teschenmoschels Bürgermeister Ernst Schulz weist die Hauptstraße hinauf, da wo die sanierte alte Volksschule steht, heute ein Wohnhaus.
"Das ist jetzt auch diese Denkmalschutzzone, da hinten sieht man auch so ein typisches schön gestaltetes Bauernhaus, so typisch wie’s halt früher mal war.“
Treffpunkt unter der Linde
Ende des 19. Jahrhunderts, mit hölzernen Fensterläden und Sandstein-Fassungen um Eingangstür und Fenster. Vor fünfzehn Jahren etwa fingen die ersten Teschenmoscheler an, ihre Häuser zu sanieren. Eine Art edler Wettstreit entbrannte um die schönste Restaurierung. Im Sommer öffnen am "Tag des offenen Gartens“ viele Dörfler ihre Tore, um die blühende Pracht der Bauerngärten und parkähnlichen Anwesen zu präsentieren. Sonntags abends zapft Ortsbürgermeister Schulz in der Kneipe des Bürgerhauses Bier. An einem Abend der Woche immerhin lässt sich so der verlorengegangene Treffpunkt ersetzen. Der lag mal ein paar Schritte vom Bürgerhaus entfernt unter der Linde vorm gemalten Muschelwappen.
"Hier war früher die Milchsammelstelle, das war so’n kleines Häuschen, wo die Milch gesammelt und gekühlt wurde. Abends, wenn die Milch abgeliefert wurde, standen hier bis zu fünfzehn Landwirte und haben sich ausgetauscht. Das war immer interessant, hat manchmal bis zu zwei Stunden gedauert. Bis fast in die achtziger Jahre.“
Heute könnte sich Ernst Schulz nur noch mit sich selbst austauschen.
Von einstmals dreißig Bauern ist er der einzige, der zumindest als Nebenerwerbslandwirt überlebt hat. In Dörrmoschel gibt es von ehemals zwanzig immerhin noch zwei Bauern im Hauptberuf.
Einer davon ist Uwe Rainau, Ackerbauer und Herr über neunzig Milchkühe im modernen Boxenlaufstahl.
"Ich als Betriebsleiter und drei Festangestellte, also, ich bin dann der größte Arbeitgeber bei uns im Dorf." (lacht)
Die meisten Familien haben zwei Autos
Ein Dorf, das mal mehr Arbeitgeber hatte:
"Zwo Gaststätten, eine Gaststätte hatte eine Bäckerei dabei. Dann war eine Tankstelle vor Ort, Schmiede, Friseur, Schneider, zwo Kolonialwarenläden, also da waren wir relativ breit aufgestellt. Gut, das ist der Lauf der Zeit, der Wandel, das ist dann peu à peu verschwunden, das waren dann meistens ältere Leute, und wie die das Rentenalter erreicht haben, wurde der Laden oder Betrieb dann aufgegeben, die Jungen hatten kein Interesse. Und es war auch von der Wirtschaftlichkeit so, dass es sich einfach nicht mehr getragen hat.“
Ober- und Niedermoscheler, Teschen- und Dörrmoscheler arbeiten heutzutage in Bad Kreuznach, Rockenhausen oder Kaiserslautern. Die meisten Familien haben zwei Autos und sind tagsüber woanders, jedenfalls nicht im schönen Moscheltal.
Ist also das Dorfleben an der Moschel auf den Hund gekommen? Was sagt der sprechende Bach dazu? Wenn wir sein Moscheln richtig verstehen, hält er dagegen und verweist auf die liebevoll hergerichteten Häuser und Gärten an seinem Ufer. Und auf die vielen Engagierten im Moscheltal. Für die sind diese drei ja nur Stellvertreter: der Niedermoscheler, der ehrenamtlich ein Bergbaumuseum aufbaute und betreut. Der Teschenmoscheler, der jeden Sonntagabend ehrenamtlicher Wirt wird. Und der Dörrmoscheler Herr über neunzig Kühe, der im vergangenen September als Feuerwehrmann die Jahrhundert-Sintflut im Moscheltal bekämpfte
"Da war das ganze Tal Land unter, das habe ich noch nicht erlebt. Da kamen rechter Hand von den Hängen Sturzbäche in einem unbeschreiblichen Ausmaß. Wir hätten ursprünglich an diesem Samstag eine Gemeinschaftsübung gehabt, also Wehrbesichtigung, das findet einmal im Jahr statt, und das ist buchstäblich alles ins Wasser gefallen. Also, aus der Übung wurde ein Ernstfall – und der hatte sich gewaschen!“