Rheinland-Pfalz

Wie Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt finden

Alaa Edin Suliman (l.) mit seinem "Paten" Andreas Gieß beim Treffen in der Jugenheimer Computerfirma Roi Solutions, wo Suliman bis 2019 eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert
Alaa Edin Suliman (l.) mit seinem "Paten" Andreas Gieß beim Treffen in der Jugenheimer Computerfirma Roi Solutions, wo Suliman bis 2019 eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert © Deutschlandradio / Anke Petermann
Von Anke Petermann |
25.000 Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz suchen derzeit einen Job. Nur etwa ein Zehntel von ihnen findet pro Jahr in den Arbeitsmarkt. Im rheinhessischen "Willkommensdorf" Jugenheim motivieren Ehrenamtliche Arbeitgeber, den Neulingen eine Chance zu geben.
Die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Anne Spiegel zu Besuch in Jugenheim – Gelegenheit für Mohammad Aalo, zentrale Probleme der Arbeitsmarkt-Integration anzusprechen. Mit Kurdisch als Muttersprache, Arabisch, Französisch und Deutsch spricht der 32-Jährige, der in Syrien schon als Reiseleiter für Franzosen arbeitete, vier Sprachen fließend. Aber die Suche nach einer Ausbildungsstelle im Tourismusbereich könnte an fehlendem Englisch scheitern, fürchtet der Akademiker aus Aleppo.
"Ich würde gern Englisch lernen…"
… aber er habe große Angst, so Aalo an die Adresse der grünen Ministerin, im Sommer keinen Ausbildungsplatz zu finden und ein weiteres Jahr warten zu müssen, weil diese Kenntnisse derzeit noch fehlen. Wegen des Kriegs in Syrien und des langen Leerlaufs zwischen den Deutschkursen hier habe er schon so viel Zeit verloren, schiebt Aalo nach.
Angelika Fingerhut (l.) thematisiert beim Besuch der rheinland-pfälzischen Integrations- und Frauenministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen – ganz rechts im Bild) in der Evangelischen Kita in Jugenheim die Frage, wie syrische Frauen Arbeit finden.
Angelika Fingerhut (l.) thematisiert beim Besuch der rheinland-pfälzischen Integrations- und Frauenministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen – ganz rechts im Bild) in der Evangelischen Kita in Jugenheim die Frage, wie syrische Frauen Arbeit finden.© Deutschlandradio / Anke Petermann
Klaus Zimmermann (l.) war Mohammad Aalos Alltagshelfer in Jugenheim. Aalo wohnt jetzt in Mainz, pflegt aber noch die alten Kontakte.
Klaus Zimmermann (l.) war Mohammad Aalos Alltagshelfer in Jugenheim. Aalo wohnt jetzt in Mainz, pflegt aber noch die alten Kontakte.© Deutschlandradio / Anke Petermann
Firmen auf Fachkraft-Suche mit den besonderen Ausbildungsprofilen von Flüchtlingen vertraut zu machen, entgegnet Ressortchefin Anne Spiegel, das sei Teil des Aktionsplans "Arbeitsmarkt-Integration" der Landesregierung Rheinland-Pfalz:
"…hier tatsächlich auch regional besser zu verzahnen, das ist etwas, woran wir mit Hochdruck arbeiten, und was ich für mich auch noch mal mitnehme in meine Gespräche mit Unternehmen und natürlich meinen Kabinettskolleginnen und -kollegen."
Aalo hofft darauf. Er ist aus Jugenheim nach Mainz umgezogen, hat dort ein Praktikum in einem Reisebüro absolviert, weiß jetzt: Das ist das Richtige für ihn. Soeben hat er den Fortgeschrittenenkurs C1 für Fachkräfte begonnen. Sein ehemaliger Jugenheimer Alltagshelfer Klaus Zimmermann hält Aalos Weg für erfolgversprechend:
"Er ist natürlich auch ein sehr gutes Beispiel, denn er hat immer wieder die Zeit genutzt und hat einfach immer besser Deutsch gelernt."
Zimmermann findet das mit am Wichtigsten für den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Dass der 30 Jahre jüngere Syrer den bald schafft – davon ist er überzeugt.

Vormittags Deutsch lernen, nachmittags arbeiten

Albermann: "So, du meldest dich mal auf dem Server an…"
Blick in die Jugenheimer Computerfirma Roi Solutions.
"… und gehst mal in die Ereignislog."
Fehler bei einer Datensicherung soll Alaa Edin Suliman aufspüren. 2015 fing der Abiturient aus Aleppo als Minijobber bei Roi Solutions an. Die Kombination vormittags Deutsch lernen, nachmittags arbeiten, war einige Monate lang anstrengend, aber:
"Das war sehr gut für mich. Ich konnte die Sprache danach mehr – besser sprechen."
Bei einem Treffen des Jugenheimer Gewerbevereins hatte der ehrenamtliche Alltagshelfer Andreas Gieß für den technisch begabten jungen Syrer und verhinderten Informatik-Studenten geworben. Roi-Chef Carsten Albermann biss an und bot seinem neuen Mini-Jobber bald darauf eine Ausbildung an. Dass Suliman das Bewerbungsgespräch für die Lehrstelle wichtig nahm, fiel ins Auge, erinnert sich Andreas Gieß.
"Der Dressman hoch zehn, mit Anzug, mit Weste, mit Rasierwasser – vom Allerfeinsten, geschniegelte Schuhe – ja, da würde ich sagen, da hatte er dann schon gewonnen."
In Schale wirft sich Suliman heute nur selten, mit dunkelrandiger Brille und Mütze bevorzugt er den Computer-Nerd-Look. Aber in seinem Arbeitseifer hat er nicht nachgelassen. Erfolgreich absolvierte er das Telefontraining für die Kundenkontakte.
Gieß lacht: "Der Mann von der Hotline."
Der, so lobt Sulimans Chef, prüft alles akribisch, ist pünktlich und flexibel, hat inzwischen auch die Führerscheinprüfung bestanden. Für die Kundenbetreuung eröffnet das neue Perspektiven.
"Er spricht sehr gut Englisch, das haben Sie bei manchen deutschen Auszubildenden nicht. Da hat er eine Stärke. Und ich bin mir ganz sicher, so in zwei Jahren wird er so richtig fließend Deutsch sprechen, so dass das alles überhaupt gar kein Problem mehr ist."
Doch derzeit, so erzählt Suliman seinem Alltagshelfer Andreas Gieß, komme er nur schwer mit beim Berufsschul-Unterricht, Fachbegriffe wie "Geschäftsprozess" habe er im Fortgeschrittenenkurs B2 nicht gelernt.
"Manchmal gibt es viele neue Wörter für mich, und das kommt sehr häufig vor. Und ich brauche manchmal ein bisschen Zeit, um diese Worte zu verstehen."
Weil er so viele Vokabeln nachschlagen müsse, schaffe er oft die Hausaufgaben nicht. Irgendwann staut sich der Stoff, Suliman kommt nicht mehr nach. Die Noten leiden, die Zwischenprüfung ist in Gefahr. Könnte ein Mitschüler helfen? Andreas Gieß wendet sich an Suliman.
"Man hat ja in so einer Klasse immer zwei, drei Leute, mit denen man sich gut versteht. Wenn du die mal fragst – lädst du einen ein, sagst, 'ich gebe dir einen Kaffee aus, lass uns mal zusammensetzen, ich versteh das nicht'. Ja?"
Suliman lacht: "Ja!"
"Ruf mich an, falls es weiter Probleme gibt", schiebt Gieß zum Abschied nach.

Ein Netz ehrenamtlicher Alltagshelfer

Rinas Bakki ist 28, sechs Jahre älter als Alaa Edin Suliman. Der gehörte mit zu den ersten, die Ende 2014 ins rheinhessische Jugenheim kamen und damals schon vom Netz ehrenamtlicher Alltagshelfer profitierten. Bakki ist erst 15 Monate da, spricht längst noch nicht so gut Deutsch wie seine Landsleute Aalo und Suliman. Dennoch hat er in Rekordzeit einen Job in seinem Beruf gefunden. Mit Hilfe seiner "Patin", sagt er und lächelt zufrieden.
"Meine Arbeit ist Glasschneider."
Mit dem Beruf Glasschneider konnte Bakkis Alltagshelferin Angelika Fingerhut erst mal nichts anfangen. Anhand von Fotos im Internet grenzten die beiden genauer ein, dass eine Stelle als Flachglasmechaniker für Bakki in Frage kommen könnte. Bei der Sichtung der Angebote stießen sie auf eines in Ginsheim bei Mainz. Bakki bewarb sich und fuhr zum Bewerbungsgespräch, gemeinsam mit Angelika Fingerhut. Die war selbst unsicher, ob ihre Anwesenheit der Bewerbung schaden oder nutzen würde.
"Also, ich fand es letztendlich gut. Ich glaube, der Arbeitgeber hatte einen positiven Eindruck, weil er schon mal wusste, dass da noch jemand im Hintergrund ist, der bei Schwierigkeiten oder Fragen hilft, Antworten zu finden, und unterstützend wirken kann."
Neun Jahre hatte Bakki in Syrien und im Libanon als Glasschneider gearbeitet, aber nur den kleinsten Teil davon bestätigte ihm ein Arbeitgeber per WhatsApp. "Gepunktet hat er letztendlich mit seiner sympathischen, freundlichen Art", meint Angelika Fingerhut. Nicht immer verstehe er, was der Chef von ihm wolle, bilanziert der syrische Kurde nach einem Monat in der Glasfirma.
"Aber ich kann fragen, meine Kollegen, alle Kollegen – sehr nett!"
Die Kollegen helfen weiter Bakki hofft, dass er sein Deutsch mit der Praxis weiter verbessert.
Fingerhut: "Und der Chef hat sogar angeboten, bei ihm eine Ausbildung machen zu können. Letztendlich hängt das von den Sprachkenntnissen ab, wann er so viel Kenntnis hat, dass er eine Ausbildung anfangen kann."
Wie andere Alltagshelfer in Jugenheim auch, rät Angelika Fingerhut den jungen Flüchtlingen, solch ein Angebot anzunehmen. Eine höhere Qualifikation zahlt sich aus, man kann später mehr verdienen das verspricht sich auch Rinas Bakki von einer Lehre.
Fingerhut: "Dem hat der Chef zugestimmt."
Dass es bei den Frauen mit der Integration in den Arbeitsmarkt bislang nicht geklappt hat, bedauert die Alltagshelferin. Eine junge Syrerin würde gern in dem Jugenheimer Kindergarten arbeiten, den ihr Sohn besucht. Doch die Kitas nehmen niemanden ohne pädagogische Qualifikation. Eine Erzieherinnen-Ausbildung würde die Mutter von zwei Kindern wegen der Sprache aber nicht schaffen. Jetzt hofft sie auf einen Aushilfs-Job in der Küche. Nur als erster Schritt, kommentiert Angelika Fingerhut, "um Selbstbewusstsein zu gewinnen".