Wie wird man (als) Politiker?
2009 wurde Angela Dorn als jüngste Abgeordnete in den Hessischen Landtag gewählt, im Wahlkampf 2013 war sie schon Spitzenkandidatin der Grünen in Hessen. Eine steile Karriere. Noch vor 15 Jahren hat sie mit der Autorin des Features die Schulbank gedrückt.
Es ist ziemlich genau 14 Jahre her: Meine Freundin Angela und ich sitzen in der ersten Reihe, Leistungskurs Geschichte/Sozialkunde an der Maria-Ward-Schule in Aschaffenburg. Ich bin mit meinen Gedanken - wie so oft - woanders. Angela ist wie immer voll bei der Sache. In ein paar Wochen ist Abitur und Angela hat schon drei Monate vor der ersten Prüfung mit einem strikten Lernplan begonnen. Zu einem Zeitpunkt als ich noch keinen Gedanken ans Abi verschwendet hatte.
Sie will Psychologin werden - und weil der Notendurchschnitt für das Studium bei 1,8 liegt, macht sie sich wahnsinnigen Stress. Mich befremdet das etwas, Angela ist ohnehin sehr gut in der Schule, niemand zweifelt daran, dass sie das schafft.
Andererseits imponiert es mir: Sie hat ein klares Ziel und setzt alles daran, es zu erreichen. Und das ist ihr am Ende natürlich auch gelungen. Ihr Schnitt: 1,4.
Angela geht an die Uni Marburg, ich ziehe zum Studium nach Bamberg. Die erste Zeit telefonieren wir noch oft, besuchen uns gegenseitig. Ich bekomme noch mit, wie sie anfängt, sich bei den Grünen in Marburg zu engagieren. Dann verlieren wir uns irgendwie aus den Augen.
Alles, was danach kommt, bekomme ich nur noch aus der Ferne mit: 2009 wird Angela als jüngste Abgeordnete in den hessischen Landtag gewählt. Da ist sie gerade mal 26. Und noch mal vier Jahre später wird sie Spitzenkandidatin der Grünen im hessischen Landtagswahlkampf, gemeinsam mit Tarek al Wazir. Es kommt zu Schwarz-Grün. Angela stellt mit ihrer Partei jetzt die Regierung und wird Parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Landtagsfraktion. Eine ziemlich steile Karriere.
(Landtagsrede von Angela Dorn)
So klingt die Landtagsabgeordnete Angela Dorn heute. Ich sehe mir ein paar aufgezeichnete Reden von ihr an. Da vorne am Pult steht meine damalige Freundin Angela, aber wenn sie spricht, ist sie ganz Politikerin: viele Betonungen und Gesten erscheinen mir auf den ersten Blick fremd und irgendwie unnatürlich, sie verwendet Phrasen, die ich so von ihr nicht kannte, die ich aber so oder ähnlich von anderen Politikern kenne. Und: sie kann ganz schön angriffslustig sein.
In meinem Kopf bringe ich das nur schwer zusammen: Das soll meine Freundin von damals sein? Die alternative, idealistische Angela, die Kröten über die Straße getragen und ehrenamtlich im Weltladen für fairen Handel gearbeitet hat? Die angehende Psychologin, die sich in erster Linie um andere gekümmert hat.
Wie viele ihrer Ideale konnte sie sich bewahren?
Ich frage mich, wie stark sie sich verändert hat in ihrer neuen Rolle. Wie muss man sein oder wie muss man werden, um in der Politik zu bestehen? Wie viele ihrer Ideale konnte sie sich bewahren?
Ich schreibe ihr und schlage ein Treffen vor. Sie freut sich, von mir zu hören, und ist einverstanden, dass ich ein Porträt fürs Radio über sie mache.
Ich besuche sie zu Hause in Marburg. Inzwischen gibt es da einen Mann, den ich noch nicht kenne, und drei kleine Töchter.
Wir haben uns so viel zu erzählen, dass wir gar nicht wissen, wo anfangen. Wie macht sie das mit den drei Kindern? Das Pendeln zwischen Marburg, wo ihr Wahlkreis ist, und Wiesbaden, wo der Landtag ist?
"...dann ist Tim unter der Woche hier und ich in Wiesbaden, Wochenendebeziehung, auch nicht leicht, und dann kann ich mich ganz auf die Arbeit konzentrieren am Morgen..."
Während wir reden, läuft in meinem Kopf die ganze Zeit ein Parallelfilm ab: Ist sie die Selbe geblieben? Was hat sich verändert?
Rein äußerlich sieht sie eigentlich aus wie früher. Die braunen Korkenzieherlocken. Jeans und kurzer Pullover, der immer mal hoch rutscht und ein Stück Bauch freilegt. Das mädchenhafte ist aus ihrem Gesicht gewichen und die Augenbrauen sind jetzt zu einem schwungvollen Bogen gezupft. Sie ist dünner geworden, obwohl sie schon früher schlank war. Weil der Job so stressig ist, vergisst sie oft das Essen, sagt sie.
Wie stark sie sich im Amt verändern würde – auch sie selbst hat sich über diese Frage schon viele Gedanken gemacht.
"Ich hab zwei Freundinnen von mir auch am Anfang meines Abgeordnetendaseins gesagt, hört mal zu: Ihr müsst mir ehrlich sagen, wenn ich mich verändere. Und nach wenigen Monaten hat die eine Freundin gesagt: 'Angela, es ist so weit.' - Und ich so: 'Hä, was ist so weit?' – 'Ja, du hast dich verändert.' Und ich hab sie angeschaut mit riesen Augen, mein Mund ist richtig aufgeklappt und ich so: 'Wie, was meinst du?' - Und dann hat sie gemeint: 'Na ja, du hörst nicht mehr richtig zu, du bist irgendwie abwesend, du bist nicht mehr so wie früher, du bist irgendwie abgehoben, ein bisschen.'"
Sie sei damals ziemlich geschockt gewesen, erzählt sie. Abgehoben sein, war das letzte, was sie wollte. Sie weiß nicht mehr genau, was sie getan hat, um gegenzusteuern. Sie meint, sie habe wohl einfach versucht, sich immer wieder an diesen Hinweis zu erinnern. Aber sie kann sich gut erklären, wie es zu dieser Veränderung kam:
"Man wird eingeladen zu Veranstaltungen, da hätte man sonst nie einen Fuß in die Tür bekommen. Man ist plötzlich beim Unternehmerverband, beim Hessischen Filmpreis, lauter solchen Events, wo die Menschen sich anders anziehen, wo so ein High-Society-Feeling aufkommt. Das, was man sagt, hat plötzlich ne ganz andere Wirkung, die Leute hören anders zu, es steht plötzlich in der Presse. Und zwar nicht nur in der Regionalen, sondern in der Überregionalen, es kommt im Fernsehen, im Radio. Und das Ganze hat auf mich schon am Anfang ne ziemliche Wirkung gehabt, so dass ich dann teilweise abwesend war, vielleicht mir die Welt der anderen nicht mehr so wichtig erschien."
Eine junge Frau, die ziemlich aufgeregt ist
Sie sagt, sie hat das am Anfang alles ein wenig überbewertet, hat sich wichtiger genommen als sie war. Irgendwann hat sie gemerkt: Ok, du bist zwar Abgeordnete, aber deswegen erkennt dich noch lange nicht jeder in Hessen auf der Straße. Inzwischen hat sie das Gefühl, mit den Füßen wieder ganz auf dem Boden zu stehen.
Aber, dass sie sich verändern muss, um als Politikerin ernst genommen zu werden, hat sie schnell gemerkt. Der Bonner Politikberater und Rhetoriktrainer Jörg Abromeit hat sich einige ihrer frühen Auftritte angeschaut.
Abromeit: "Was ich da erlebe, ist eine junge Frau, die ziemlich aufgeregt ist, die sehr schnell spricht, keine Pausen macht, das Publikum kaum anschaut und schon ziemlich rumhampelt, kann man sagen. Das alles demonstriert nicht unbedingt Führungsstärke."
Bei einer Aktuellen Stunde 2009 setzt sie sich im Landtag für die kostenlose Verteilung von Obst an hessischen Schulen ein. Damals war sie mit ihrer Partei noch in der Opposition.
Rede von 2009: "Und zum Schluss möchte ich noch über ihr Anspruchsdenken an Eltern etwas sagen – (Zwischenruf) Warten Sie, warten Sie doch mal – ich würde mir das wünschen, dass alle Eltern es verstehen würden ..."
Abromeit: "'Warten Sie, warten Sie' – Die Stimme ist sehr hoch und sie ist ganz engagiert, das heißt, sie ist im Thema und innendrin – jetzt interpretiere ich einfach mal - hat sie so'n Ding laufen, das sagt: 'Mensch, ihr müsst doch jetzt aufpassen, es geht doch jetzt um was total Wichtiges.' Und die Leute sagen: 'Nö, ist uns völlig wurscht, für uns ist das hier so n bisschen so'n Theaterstück, auf jeden Fall nehmen wir dich noch nicht richtig ernst, weil du das jüngste Mitglied dieses Landtages bist und du bist auch noch bei ner Partei, die nicht am Ruder ist, also wat willste denn eigentlich.' Und das hat sie glaub ich noch nicht so richtig drin, wie sich das verhält da im Miteinander."
Bei einer Rede, die Angela Anfang dieses Jahres zum Thema Energiewende hält, hört sich das schon sehr viel anders an. Gleich zu Beginn wettert sie gegen einen FDP-Abgeordneten:
Rede von März 2015: "Ich habe ein Zitat gefunden vom Februar 14 – auch da haben Sie noch für den Netzausbau gekämpft – und jetzt wittern Sie (...) ein paar Proteststimmen vor Ort, werfen jegliche Glaubwürdigkeit über Bord. Wissen Sie, das könnte mir ja egal sein, weil Sie werden sehen, was Sie davon haben. Was mir aber nicht egal ist, dass Sie dazu beitragen, Menschen zu verunsichern, statt sie aufzuklären und das ist der eigentliche Skandal!"
Ich habe Angela vorgespielt, was der Rhetoriktrainer Abromeit zur Landtagsabgeordneten Angela Dorn von heute sagt:
Abromeit: "Sie hat gewechselt zur Abteilung Attacke, sie geht direkt zum Angriff über. Sie hängt jetzt nicht so am Thema, sondern sie hat verstanden, was da passiert in diesem Landtag und ist gewillt in ihre Rolle einzusteigen. Sie ist viel präsenter als vorher. Sie ist praktisch die ganze Zeit mit den Augen beim Publikum, spricht die Leute direkt an, sie spricht langsamer, sie macht Pausen und sie hat so ein bisschen so was in der Stimme, anhand dessen man merkt: 'Ihr kleinen Würmer – also sie schaut so'n bisschen stimmlich auf diese Leute herab und das hätte sich das kleine Mädchen von der ersten Rede niemals getraut. Die war viel zu aufrichtig, die war viel zu nett dafür, hätte die nicht gemacht."
"Frau Ministerin, Sie haben da versagt"
Was sagst Du dazu?
Angela Dorn: "Also ich nehm's schon erstmal als Kompliment wahr. Weil, so wie er über mich spricht, klingt das ja nach ner sehr selbstbewussten, angreifenden Frau, die ihrer Rolle als Parlamentarischen Geschäftsführerin bewusst ist. Und ein Stück weit ist es ja auch das Spiel in diesem Parlament, dass man sich selbst überhöht und den anderen niedriger macht. Es hat natürlich auch etwas von Überheblichkeit und das ist ja was, was man in der Politik gar nicht mag oder was viele Bürgerinnen und Bürger abschreckt. Also wär' jetzt fast wieder ein Punkt, wo ich sagen würde, oh, da will ich noch mal gucken, bin ich jetzt schon übersteigert?"
Rhetorik sei nie ihre Stärke gewesen, erzählt sie. Die Fraktionskollegen sagten am Anfang: Du bist viel zu wissenschaftlich, du musst endlich mal richtig draufhauen. Und auch sie selbst hat gemerkt, dass sie mit ihren Botschaften nicht richtig durchkommt.
Zum Beispiel beim Thema Zulassung zum Studium – ein Herzensanliegen. Sie hatte alles darüber gelesen und sogar Veranstaltungen mit Experten organisiert. Ihre Rede im Parlament strotze vor Fachkenntnis. Und zwar so sehr, dass sie – die junge Grüne von der Opposition – sogar von der Bildungsministerin gelobt wurde. "Frau Dorn ist die einzige, die das Thema verstanden hat", soll die gesagt haben.
"In dem Moment hab ich mich erstmal gefreut, weil ich dachte, 'Wow, ich werde gelobt'. Und später hab ich gemerkt, 'Mist, das ist ja gar nicht Sinn und Zweck, dass mich die Ministerin lobt', sondern ich hätte natürlich eigentlich gerne dargestellt, dass das, was die Ministerin macht, völlig unzureichend ist. Also ich habe sozusagen ein Thema in den Sand gesetzt, weil ich nicht so stark drauf gesetzt habe: Frau Ministerin, Sie haben da versagt, Sie hätten das so so und so lösen müssen: Ministerium versagt – Grüne haben die Idee."
Am nächsten Tag schlug sie die Zeitung auf und stellte fest, dass sie überhaupt nicht vorkam. Stattdessen wurde ausführlich die Position der Linken behandelt, die zahlreiche Kritikpunkte am Konzept der Ministerin angebracht hatten.
"Als ich gemerkt hab, dass zu viel Differenziertheit dazu führt, dass ich dann nicht mehr zitiert werde und dass ich auch nicht so ganz ernst genommen werde, weil ich meine Rolle nicht so ausfülle, wie ein Politiker seine Rolle auszufüllen hätte, dann hab ich immer mehr umgeswitched und hab versucht, mehr auf Angriff zu gehen, mehr eine Sache als die Wahrheit zu verkaufen. Also nicht mehr so sehr das Graue zu verkaufen, sondern mehr schwarz und weiß."
Bei den Reden im Parlament geht es ohnehin nicht so sehr um die Sache. Wir haben Arbeitsparlamente, keine Redeparlamente. Die inhaltliche Arbeit findet in Ausschüssen, oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
"Deswegen ist es manchmal auch so bisschen Schauspiel, weil man ... weil man nur die Unterschiede zelebriert und die auch so überspitzt darstellt. Als ich die ersten Male im Parlament war, kam es mir so vor, als ob ich mich jetzt in mein Lager reinsetzte, man verschanzt sich und jetzt kämpft man gegeneinander, ganz absurd. (...) Und man hat mit dem einen gerade politisch heftigst debattiert am Rednerpult und dann geht man raus und kann Kaffee miteinander trinken. Am Anfang fand ich diese Kluft, hab ich als sehr extrem empfunden, konnt' ich gar nicht so richtig nachvollziehen, wie man so schnell springen kann. Und ich hab halt immer mehr verstanden, dass das diese Rolle ist, die man da spielt. Und es sind politische Unterschiede und das andere ist das Persönliche und man kann sogar mal dem anderen sagen: 'Also wie du jetzt grade mich angegriffen hast, da muss ich zugeben, chapeau, hast du gut gemacht'."
Das alles musste sie sich erst antrainieren. Geholfen hat ihr dabei ein Coach. Bei ihm lernte sie beispielsweise, wie wichtig es ist, eine politische Botschaft zu formulieren: Bei jeder Rede und jedem Interview den einen zentralen Satz herauszufiltern, der bei den Leuten ankommen soll. Und den dann immer wieder anbringen. Obwohl sie sagt: Den Werkzeugkasten für eine gute Rede, den gibt es nicht. Jeder muss finden, was zu einem passt.
"Vieles kommt wirklich learning bei doing, sich selbst beobachten, andere beobachten. Bei mir war's zumindest der psychologische Auslöser: Spaß entwickeln beim Reden. Nicht mehr das sehen als: 'O Gott, das ist jetzt ne herausfordernde Situation!', sondern: 'Wow, ich kann denen mal sagen, was ich darüber denke und ich hab auch was zu sagen.'"
"Das ist jetzt eine herausfordernde Situation" – da spricht eindeutig die Politikerin. Früher hätte sie wahrscheinlich gesagt: "Ich hab Angst, das nicht hinzukriegen." Aber Angst haben darf man als Politiker ja nicht. Für Politiker gibt es nur noch Herausforderungen.
Schaut ins Plenum und sammelt sich
Jedenfalls hat sie die Situation gemeistert und ist heute – vielleicht noch keine brillante, aber auch keine schlechte Rednerin. Verändert hat sich bei ihr vor allem das Auftreten, das, was Fachleute wie der Rhetoriktrainer Abromeit Status nennen.
Abromeit: "Bei dieser Frau kann ich davon ausgehen, dass die irgendetwas verinnerlicht hat, ich glaube, dass sie in ihrer Persönlichkeit gereift ist. Ich hab erfahren, dass sie inzwischen mehrfache Mutter ist, auch das verändert einen Menschen und führt bei fast allen Leuten dazu, dass das, was wir natürliche Autorität nennen, auf einmal viel stärker hervorkommt. Und ich geh' mal davon aus, dass diese Frau zu sich selber gefunden hat und gesagt hat: 'Ja, ich wollte gerne Kinder, jetzt hab ich welche (...) und den Job, den mache ich auch gut.' Und ich glaube, dass das auch ein Teil ist, der hier zum Ausdruck kommt und den können Sie nur ganz schlecht trainieren."
Bei Angela ist es also wohl vor allem das Ankommen im Amt, das sie verändert hat. Ein bisschen Technik auch, klar. Zum Beispiel hält sie heute immer kurz inne, wenn sie ans Rednerpult geht. Schaut ins Plenum, sammelt sich. Das erzeugt sofort eine viel stärkere Präsenz. Auch das hat ihr ihr Coach geraten.
Jörg Abromeit, der seit Jahren Politiker von der kommunalen bis zur Ministerebene coacht, stellt vor allem zwei Veränderungen bei Politikern fest: Sie werden selbstbewusster – und misstrauischer.
"Sie lernen anderen Menschen nicht allzu sehr zu vertrauen, es gibt ja diese alte Sage einer Steigerung: Freund, Feind, Parteifreund – das können fast alle Politiker daherbeten. (...) Sie lernen zu kontrollieren, was sie sagen und wie sie's sagen. Also Sie können kaum so reden, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist, wenn Sie in der Öffentlichkeit stehen."
Das ist es, was viele bei diesem Beruf abschreckt. Die Politikbranche hat ein echtes Nachwuchsproblem. So gut ist der Verdienst auch wieder nicht, wenn man bedenkt, was man alles dafür in Kauf nehmen muss. Der frühere Innenminister Schleswig-Holsteins, Andreas Breitner, ist einer von denjenigen, die dem Job den Rücken gekehrt haben. Als Innenminister vermisste er das Gefühl, wirklich etwas gestalten zu können:
Andreas Breitner: "Dieses Amt wirkt ja nach außen machtvoll. In der Innenschau finde ich, dass es doch machtloser ist als viele denken, weil man in Abhängigkeit von verschiedensten Faktoren steht: Zu den Fraktionen, zur Partei, zur Staatskanzlei, zum Ministerpräsidenten, zu den anderen Häusern, mit denen ja jedes Regierungsvorhaben abgestimmt wird, weil es eigentlich immer so komplex ist, dass mehr als nur ein Ministerium und ein Fachgebiet davon betroffen ist. Und dieser ganze Abstimmungsprozess, da können Sie zwar mit einem festen Willen reingehen, aber in diesen Abstimmungsprozessen, (...) wird jede Meinung verändert. Oftmals durch sinnvolle Sachargumente, aber sie wird verändert."
Für einen Job in der Wirtschaft gab er sein Amt auf
Breitner hatte den Eindruck, dass das große Ganze – das Ziel, das Leben der Menschen in Schleswig-Holstein zu verbessern – irgendwie hinten runter fällt. Er hechelte von Termin zu Termin, hielt an einem Tag manchmal drei Reden und vier Grußworte und fragte sich abends: Was hast du eigentlich geschafft?
Nach zwölf Jahren Berufspolitik hat ihn die öffentliche Aufmerksamkeit mehr belastet als ihm zu schmeicheln.
"Man darf das Amt kritisieren und über alles urteilen und gerne noch öffentlich, im Netz sowieso, aber vielleicht auch noch über die Zeitung und Leserbriefe und wo ich dann irgendwie dachte: Also soll ich mir das bis zum Ende antun? Diesen Preis irgendwie auch zahlen? Oder doch mal wieder raus dem Scheinwerferlicht und mal im Privaten und Diskreten arbeiten. Und nicht mehr ständig unter dem Fokus der Öffentlichkeit. Ich weiß, dass viele diesen Fokus suchen und brauchen und wollen und es für die auch Lebenselixier ist, genau diesen Fokus auch zu spüren. Und ich hab ja auch zwölfeinhalb Jahre mit ner hohen Portion Eitelkeit dieses Amt gern ausgeübt. Aber irgendwie war die Eitelkeit auch erschöpft."
Als er ein Angebot aus der Wirtschaft bekam, schied er freiwillig aus dem Amt. Hauptargument war für ihn aber das Familienleben, das viel zu kurz gekommen sei.
"Also, es hat meine komplette Konzentration aufgebraucht. Da war wenig Zeit für Freizeit, Familie. Und es war, wenn ich mit meinem Sohn gespielt hab, hat er mich was gefragt und irgendwann hat meine Frau gesagt: Du, Jakob hat dich schon dreimal gefragt, du hast immer noch nicht geantwortet und ich wusste gar nicht was er gefragt hat, ich hab ihn gar nicht gehört. Und das war schon ne Belastung für die Familie, weil, irgendwas hören Sie im Radio und dann ist man gleich mit irgendwelchen Abwehrmechanismen das ganze Wochenende beschäftigt. Das ist schon auch kräftezehrend."
Auch bei Angela wirkt die Politik in das Privatleben hinein. Die jüngste ihrer drei kleinen Töchter ist gerade mal ein Jahr alt und die Zeit, in der die Kinder ihre Mutter ganz für sich haben, ist knapp. Freie Wochenenden sind selten, meistens ist das Handy dabei. Und manchmal schafft es Angela auch nicht, die Politikerin vor der Tür zu lassen.
Angela Dorn: "Ich bin resoluter geworden. Manchmal vielleicht weniger kompromissbereit, dass ich ungeduldiger bin, wenn etwas nicht so läuft. Ich bin irgendwie klarer, in dem was ich will und was ich nicht will und äußere es vielleicht auch klarer. Und manchmal führt's auch dazu, dass mein Mann dann sagt: 'Angela, du bist jetzt hier daheim.' Also ich muss dann schon auch manchmal aufpassen, dass man dadurch, dass man Politik macht und ja auch viele Mitarbeiter hat und gewöhnt ist, dass alle einem effizient zuarbeiten - diese Effizienz darf man nicht nach Hause tragen. Ich hab glücklicherweise einen sehr direkten Mann, der mir das dann schnell zurückgibt. Da bin ich auch sehr froh drum."
Der Spagat zwischen Privatleben und Öffentlichem Amt verlangt ihr viel ab. Gerade auch das Gefühl, immer unter Beobachtung zu stehen, sei nicht leicht. Sie sagt, sie sei immer auf der Hut, was sie vor Journalisten oder anderen Politikern sage. Vor allem, wenn es um Persönliches gehe, oder um etwas, das eine Schwäche preisgeben könnte.
Dass Ehrlichkeit sofort bestraft wird, lernte sie schnell. Vor der Kommunalwahl in Marburg 2006, fragte sie ein Bekannter, ob sie nicht für die Grüne Jugend auf einem aussichtsreichen Listenplatz als Stadtverordnete kandidieren wolle. Damals war sie weder Mitglied in der Partei, noch in der Jugendorganisation. Aber sie war sozial und umweltpolitisch engagiert und schien prädestiniert für den Posten. Bei der Wahl zur Verteilung der Listenplätze entschied sie sich spontan dafür:
"Und dann hab ich halt all meinen Mut zusammen genommen und bin nach vorne und hab gemeint: 'Ja, hallo, ich bin Angela Dorn, ihr kennt mich nicht, ich hab auch von Kommunalpolitik noch keine Ahnung, ich mache aber das und das' - und hab mein Engagement erzählt. Ich wollte einfach ehrlich sein, ich wollte den Leuten sagen, wer ich bin. Die haben alle ganz mords applaudiert und ich hab mich auch gefreut, wie die mich dann wirklich gewählt haben auf diesen Platz. Und dann hab ich am nächsten Tag die oberhessische Presse aufgeschlagen und da war dann das glaub ich sogar in der Titelzeile: 'Habe von Kommunalpolitik keine Ahnung' – und ich hab mich so geschämt."
Unschuld im Umgang mit Menschen und Medien verloren
Schon damals hat sie wohl ihre Unschuld verloren im Umgang mit Medien und Öffentlichkeit. Seitdem hat sie dazugelernt und weiß inzwischen, wie sie in heiklen Situationen agieren muss. Ihr Pressesprecher rät ihr zum Beispiel bei konfrontativen Interviews möglichst oft das Gleiche zu sagen.
"Ich hab zu dem Thema eine Botschaft und ich möchte, dass die draußen auch gehört wird – ich hab ja nur zehn Sekunden höchstens in diesem Beitrag. Und ich möchte gerne, dass die Leute auch in diesen zehn Sekunden mitbekommen, was ich auch dazu zu sagen habe. Und ich möchte ungern, dass die in den zehn Sekunden auf ne schwierige Frage, die ich gestellt bekomme, eine Antwort bekommen, die sozusagen das alles andere außer Acht lässt, was mir wichtig ist, zu sagen. Und insofern hab ich schon gelernt, diese Botschaft irgendwie unterzubringen, koste es, was es wolle."
Sie hat sich eingelassen auf das Spiel, das Politiker und Medien da spielen. Besonders befriedigend findet sie das nicht und versucht bei allem noch so authentisch wie möglich zu sein. Aber es gibt Mechanismen, die sie daran hindern.
"Da kommt ein Thema auf und man muss in der nächsten Stunde sprachfähig sein. Da kann man keine gute Lösung haben, wenn das Thema neu ist. Und wenn man dann sagt, wir schauen's uns genau an, dann gilt das als Schwäche. Das macht mich wirklich wahnsinnig, weil, wenn man nämlich einmal sich festgelegt hat, ist es ganz schwer noch mal zurückzurudern und zu sagen: Eigentlich hab ich gemerkt, das was ich als erstes spontan gesagt hab, war eigentlich falsch. Eigentlich ist es ja ein Zeichen von Stärke, wenn man das sagen kann, aber in der Konstellation im Parlament, wird das dann so schön schamhaft ausgenutzt, also versucht man das bestmöglich gar nicht eintreten zu lassen."
Kein Wunder, dass Politiker oft glatt oder langweilig klingen, dass man oft das Gefühl hat, sie reden, ohne wirklich etwas zu sagen. Jörg Abromeit kennt zahlreiche Beispiele.
Abromeit: "Wenn Frau Merkel spricht, versuchen Sie mal nach fünf Sätzen wiederzugeben, was sie gesagt hat. Sie werden es nicht können. Das liegt daran, dass Sie sich auf eine bestimmte Weise schwammig ausdrückt, immer, grundsätzlich. Weil sie einfach nicht angreifbar sein will. Je mehr Sie sich als Politiker festlegen, umso mehr wissen Sie, dass Sie in kurzer Zeit wahrscheinlich der Lüge überführt werden, oder der Falschaussage ..."
Angela Merkel in einer TV-Debatte: "Mit mir wird es keine PKW-Maut geben!"
Abromeit: "... da hat Frau Merkel den Fehler gemacht, sich festzulegen. Heute haben wir tatsächlich ne Entscheidung, die sagt, jawohl, diese Maut wird kommen. Also kann man sagen, seh'n Sie, Frau Merkel hat die Unwahrheit gesagt, man könnte auch sagen, die Frau hat schlichtweg gelogen. In der Politik ist es nun mal so, dass Sie selten irgendetwas für die Zukunft prophezeien können und sagen können, 'nein niemals werde ich so oder so entscheiden', weil Sie nicht wissen, welche politischen Konstellationen sich möglicherweise noch ergeben und wenn Sie dann nicht der Lüge überführt werden wollen, müssen Sie sich einfach in vielen Fällen schwammig ausdrücken, weil Sie sonst zur Schlachtbank geführt werden."
Angela Dorn ist gerne Politikerin
Angela liebt ihren Beruf, sie ist gern Politikerin. Aber auf diesen Teil des Spiels könnte sie gut verzichten. Sie ist in die Politik gegangen, um etwas zu bewegen. Und sie findet, dass ihr das an vielen Stellen auch gelingt: die Studiengebühren in Hessen wurden abgeschafft, es gibt jetzt eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Auf das Kapitel Energiewende im schwarz-grünen Koalitionsvertrag ist sie besonders stolz, sagt sie.
Klar, die großen Ideale von damals – die Welt gerechter machen, ein friedliches Miteinander, global denken, lokal handeln – sind heruntergebrochen in viele kleine Trippelschritte. Vieles kann sie nicht so umsetzten, wie sie es sich vorstellt. "Ein guter Kompromiss" ist eine Redewendung, die ich von ihr sehr oft höre. Darum geht es in der Politik: Bei all den Zwängen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu kommen.
Aber es gibt auch Kompromisse, die man nicht wirklich gut nennen kann. Manchmal gibt's nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Zum Beispiel beim Streit um das nordhessische Unternehmen K + S, früher Kali und Salz. Bei der Kaliförderung werden Unmengen von Salzabwasser produziert. Das wird zum Teil in den Untergrund gepresst, zum Teil in die Werra geleitet. Beides birgt hohe Risiken für die Natur. Die Grünen wollten eigentlich die Verpressung in den Boden sofort beenden. Und eine Nordseepipeline bauen für das Abwasser. Beides hat sich als nicht machbar erwiesen.
Angela Dorn: "Wenn wir bei dem Unternehmen zu viele ökologische Forderungen stellen, dann ist die Gefahr schlicht vorhanden, dass das Unternehmen zugrunde geht. Das sind in der ohnehin strukturschwachen Region ne Menge Arbeitsplätze. Plus, wenn das Unternehmen einfach dicht macht, dann haben wir ganz viele Altlasten von dem Unternehmen. Da stehen diese großen Berge noch von Salz, die müssen irgendwie abgeräumt werden. Und deswegen haben wir jetzt einem Kompromiss zugestimmt, der uns weh getan hat: Wir haben gesagt, die Versenkung darf noch mal befristet für ein paar Jahre passieren, wenn es einen Nachweis gibt, dass das Grundwasser nicht gefährdet wird."
"Dieses Gefühl macht süchtig"
Außerdem haben sie die Fristen für die Einleitung des Abwassers in die Werra verlängert. Ein Kompromiss, für den die Grünen auch innerhalb der Partei heftig angefeindet wurden. Für Angela ist der Entschluss zwar tragbar, weil sie findet, dass es keine bessere Lösung gab. Aber die Kritik macht ihr zu schaffen.
"Ich merke, dass es mir manchmal schwer fällt, wenn man so heftig angegriffen wird, dass man das Gefühl hat, die sehen in einem nur diesen Machtpolitiker, dem eigentlich alles egal ist und der einfach über die Köpfe hinweg entscheidet. Und so ist es einfach bei den wenigsten Politikern und bestimmt nicht bei mir: dass ich mir einfach mal was denke und das dann hau ruck mache."
Angela hat sich verändert in diesem Beruf. Sie spielt eine Rolle, wenn sie in der Öffentlichkeit steht. Aber - auch ich spiele eine Rolle, wenn ich mein Mikrofon einschalte und gebe mich als Journalistin vielleicht manchmal kompetenter oder bärbeißiger als ich bin.
Ich glaube dennoch, sie ist mehr bei sich als andere Politiker, sicherlich auch immer noch idealistischer. Eine Rampensau war sie noch nie und ist es auch heute nicht. Aber, was sie schon immer hatte, ist dieser unbedingte Wille, zu erreichen, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Und dieser Ehrgeiz.
"Ich hab sicherlich auch einen Instinkt nach oben, sonst wär' ich nicht da. Man muss irgendwie etwas versprühen, dass man was will und ich sprech's immer noch nicht gern aus, aber natürlich will ich auch irgendwie Macht haben. Für mich ist das aber nicht n Punkt: 'Jetzt fühl ich mich gut'. Sondern es ist ein unglaublich tolles Gefühl gestalten zu können. Zu sehen, ich hab meine Hand gehoben und es bewegt sich etwas. Das ist einfach großartig. Es macht süchtig, dass ich anrufen kann irgendwo und weil ich sage 'ich bin Angela Dorn' plötzlich ganz schnell mich die Leute zurückrufen und mit mir Dinge besprechen wollen und sich freuen darüber, dass ich daran Interesse habe und mir Dinge mitgeben wollen, das so und so zu machen. Das Privileg, dass Menschen sich öffnen. Dass, wenn man sich für ein etwas einsetzt, dass sich dann auch wirklich was tut, auch wenn's nicht hundertprozentig das ist, was man möchte, aber es geht in die richtige Richtung. Dieses Gefühl macht süchtig."