Und täglich grüßt das Phrasenschwein - Wenn es darum geht, mit vielen Worten nichts zu sagen, haben es viele Politiker zur Meisterschaft gebracht. Allen voran die Bundeskanzlerin und ihr Herausforderer Martin Schulz - ein kurzer Überblick.
Worthülsen und Sprechblasen
Reden, ohne etwas zu sagen: Kaum eine Berufsgruppe hat das so perfektioniert wie unsere Politiker. Oder etwas so auszudrücken, dass es nicht verstanden wird - beziehungsweise nicht verstanden werden kann oder soll. Steckt dahinter vielleicht ein System?
"Wir wollen, so sagt es der Koalitionsvertrag, Deutschlands Zukunft gestalten. Und wir wollen Europas Zukunft mitgestalten."
"Meine Damen und Herren, wir brauchen substanzielle Reformen zur Stabilisierung der Eurozone, nicht nur weil wir der größte Garantiegeber sind, sondern weil der Euro eine identitätsstiftende Wirkung hat."
"Es sind große Aufgaben im Land und große Aufgaben in der Welt."
"Franz Josef Strauß hat einmal gesagt: Dankbar rückwärts, mutig vorwärts, gläubig aufwärts."
Schiefe Metaphern, Sprechblasen und Worthülsen – es scheint, als sei die Sprache der Politik Ausdruck eines tief sitzenden Widerspruchs: Einerseits sollen Politikerworte die Menschen erreichen, sie möglicherweise von einer Idee, einem Programm überzeugen, wenn nicht gar begeistern, auf der anderen Seite kommen im politischen Tagesgeschäft oft verbale Mittel zum Einsatz, die genau das verhindern.
"Wenn die Grenze zwischen innen und außen verschwimmt, dann muss man aufpassen, dass damit nicht auch der Parlamentarismus weggespült wird, sondern im Gegenteil, ich glaube, ich weiß, Sie, die Parlamentarier, müssen die Fährleute zwischen den beiden Ufern, von innen und außen, sein."
Klarheit ist in der politischen Rhetorik ebenso Mangelware wie Unverwechselbarkeit. Offenbar greifen Politiker über Lagergrenzen hinweg in den gleichen Textbaukasten, um ihre umständlichen Satzgebilde zu errichten. Warum, fragt man sich, können Politiker nicht einfach mal irgendwas tun, sondern müssen immerzu gestalten, womöglich sogar Dinge, die es noch gar nicht gibt – Zukunft zum Beispiel? Und warum können sie nicht einfach mal traurig sein, wenn etwas Schlimmes passiert ist, sondern sind stets nur "betroffen"?
"Noch schlimmer ist, wenn Sie sagen: Das macht mich ein Stück weit betroffen. Das wäre sozusagen die Spitze des Politikerdeutschs."
Sprache als Handwerkszeug der Politik
Ole von Beust, ehemaliger Bürgermeister von Hamburg, hat nach seinem Ausscheiden aus der Politik unter dem Titel "Wenn die richtigen Worte fehlen" in der "Süddeutschen Zeitung" einen Gastbeitrag über Politikersprache veröffentlicht.
"Eine wesentliche Aufgabe des Politikers ist ja, nicht zu verwalten, dafür gibt's Beamte, sondern zu vermitteln, was man will und warum man etwas macht. Darum ist die Sprache der Politik das Handwerkszeug. Ich hab mich mit der Frage immer schon gerne beschäftigt, weil ich auch Spaß an Sprache habe. Also das war kein Heldentum nach Ladenschluss, also Politik vorbei, nun äußere ich mich. (...) Das mangelnde Vertrauen der Menschen in die Politiker hat ja eine Ursache und ich glaube, dass die Sprache der Politik mit eine der Ursachen ist."
Seinen Artikel beginnt Ole von Beust mit einem Unglückszenario: Aufgrund eines Statikfehlers ist in einer deutschen Kleinstadt eine Fußgängerbrücke eingestürzt. Es gibt viele Verletzte. Der Bürgermeister der Stadt bekundet seine Betroffenheit:
"Unsere Gedanken sind bei den Opfern und deren Angehörigen. Jetzt gilt es, schnell und unbürokratisch zu helfen.'
Der örtliche Baudezernent erklärt: 'Ein Aufsichtsversagen der genehmigenden Behörde liegt nicht vor. Demgegenüber betont der Finanzdezernent: Die Finanzaufsicht habe alle Beteiligten rechtzeitig auf Probleme bei der Vergabe der Brückenbauarbeiten hingewiesen.
Die Lokalzeitung kritisiert, dass noch kein Schuldiger für das Unglück gefunden sei. Daraufhin der Bürgermeister: 'Nun gilt es, umfassend, ohne Ansehen der Personen, die Ursachen aufzuklären.'"
"Meine Erfahrung ist, dass Politiker sich immer weniger als Politiker verstehen, als Ideengeber oder Anführer, sondern letztlich als oberste Instanz der Exekutive. Und die reden auch sehr exekutiv. Also es gilt in der Politik eigentlich als kompetent, wenn man besonders Beamtendeutsch spricht. Und das ist ein Rollenverständnis, was sich so eingebürgert hat, auch Kompetenz vorzugeben durch eine exekutive Sprache, das eigentlich mit der ursprünglichen Aufgabe des Politikers, Ideen zu geben, auch mal Ungewohntes zu tun, zu führen, gar nichts mehr unbedingt zu tun hat."
"Drei Monate später: Die Brücke ist eine Ruine, Geld haben die Opfer noch nicht gesehen, (...) die Presse berichtet über den 500. Stadtgeburtstag. Die Bürger aber denken: Wir sind belogen worden. Beim Regieren und Verwalten geschehen Fehler, auch Unglücke – sie gehören zum Leben. Die Regierenden und Politiker finden jedoch nicht die richtigen Worte für diese Fehler und Unglücke. Sie benennen nicht, sie verbrämen; sie verklausulieren die Wahrheit im Wortschwall einer Insidersprache."
"Wenn ich gestanzte Formulierungen nehme, gehe ich kein Risiko ein. Es ist manchmal auch der Routine und der Schnelligkeit geschuldet, so Formulierungen, wo man weiß, man macht nichts falsch, das sagen alle. Auf der anderen Seite werden die so routiniert rausgehauen und man vergisst dabei, das nimmt keiner zur Kenntnis oder ist mit eine der Ursachen der mangelnden Glaubwürdigkeit."
"Herzlich willkommen in der Regierungspressekonferenz. Ich begrüße den Regierungssprecher Herrn Steffen Seibert und die Sprecher und Sprecherinnen der Ministerien ..."
Routinemäßige Bundespressekonferenzen
Eine Bundespressekonferenz, wie sie dreimal wöchentlich im Regierungsviertel stattfindet. Zirka 20 Journalisten haben Platz genommen, zwei Studentengruppen, ein paar Volontäre. Auf dem Programm steht u.a. der Besuch des ukrainischen Ministerpräsidenten Petro Poroschenko bei Angela Merkel. Routinemäßig wird informiert und abgehakt, bis aus einer hinteren Reihe Tilo Jung die Abläufe des Besuchs hinterfragt.
"Wird es eine Pressekonferenz geben, Herr Seibert?"
"Nein, es gibt Statements oder Erklärungen der beiden vor Beginn des Gesprächs."
"Warum wollen die beiden keine Fragen der Journalisten beantworten?"
"Es ist eine informelle Begegnung, es gibt manche davon mit Pressekonferenz, und bei informellen Begegnungen kann auch diese Form gewählt werden."
"Ja, aber warum?"
"Sie ist gewählt worden."
"Wir wollen, indem wir die Regierungspressekonferenz dokumentieren, zeigen, wie die Bundesregierung informiert und argumentiert. Und wenn sie nicht informieren will, dann ist es auch meine Aufgabe herauszustellen, dass sie das nicht tun will."
Seit 2013 betreiben Tilo Jung und sein Team das spendenfinanzierte Webportal "jung & naiv" mit dem Untertitel "Politik für Desinteressierte". Auf Facebook und Youtube wollen sie damit Leute erreichen, die bei den üblichen Debatten in Talkshows oder im Bundestag längst nicht mehr hinhören.
"Ich kann verstehen, warum Steffen Seibert und die Regierungssprecher so sprechen, wie sie sprechen. Ich hab ein großes Problem damit, wenn die Politiker und ihre Chefs sich immer mehr der Sprache der Regierungssprecher annähern. Also dieses Technokratische, Unkonkrete. Wir sagen was, ohne etwas zu sagen, ohne dass wir verraten, was wir eigentlich meinen. Und das wird dann aber trotzdem als Antwort akzeptiert. Daraus werden wieder DPA-Meldungen gemacht. Frau Merkel hat da was gesagt, obwohl sie eigentlich gar nichts gesagt hat."
Ausbruch aus einem "Sprachgefängnis"
Bevor Tilo Jung anfing, Pressekonferenzen mit hartnäckigen und unkonventionellen Fragen in ihrem eingespielten Ablauf zu stören, hat er als Rundfunkjournalist für öffentlich-rechtliche Sender gearbeitet. Dort stieß er jedoch bald an die Grenzen der etablierten Rhetorik politischer Repräsentanten.
"Ich habe die Antworten nicht verstanden, also einfach inhaltlich habe ich nicht gewusst, ob jetzt die Frage, die ich gestellt habe, gerade beantwortet wurde, so dass ich gesagt habe: Können Sie mir das noch mal erklären, aber in einer anderen Art und Weise, dass die sich angepisst gefühlt haben: 'Du bist doch hier 'n Journalist, warum verstehst du das nicht auf Anhieb, was ist denn hier los?' Das hab ich über Monate erfahren und das hat mich aufgeregt, weil ich dachte, das ist doch nicht mein Problem als Journalist, den Bürgern in irgendeiner Weise verständlich zu machen, was der Politiker gerade gesagt hat. Das ist doch nicht meine Aufgabe, den Politiker zu interpretieren. Der Politiker sollte sich doch selber so verständlich wie möglich äußern, so dass ich dann die naive Figur erfunden habe."
Als naiver Reporter, der seine Interviewpartner duzt und ihnen mit dem Mikrofon regelrecht auf den Leib rückt, hat Tilo Jung sich im Internet ein eigenes Format geschaffen, mit dem er Berufspolitikern hilft, wie er sagt, aus ihrem "Sprachgefängnis" auszubrechen. Wer sich duzen lässt, muss Klartext reden oder er entlarvt sich als Nebelkerzenwerfer – vor allem wenn er das Wort Transparenz gebraucht. Diese Erfahrung machte beispielsweise Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich, als er über seine Arbeit im Untersuchungsausschuss zur Parteispendenaffäre plauderte.
"So richtig rausgekommen ist bei der Sache nichts, außer dass wir in vielen Dingen Transparenz geschaffen haben."
"Also am Ende ging es um Korruption. Geld für ..."
"Na, es ging nicht um Korruption. Es ging um die Frage, wo sind Gelder hergekommen für Parteien."
Warum benutzen Politiker oft so viele Worte, ohne etwas zu sagen? Warum weigern sie sich, konkret zu werden? Warum wählen sie von verschiedenen möglichen Formulierungen gerne die umständlichste? Ist das Unbeholfenheit, Ignoranz oder Desinteresse? Tilo Jung hat dazu eine klare Meinung: Politiker haben heutzutage keine Visionen, sagt er, sie seien nur daran interessiert, den Status Quo zu erhalten.
Rhetorik? Findet in den Medien und in der Öffentlichkeit kaum noch statt
"Und dementsprechend wird auch die Sprache angepasst. Warum lesen die Menschen keine Wahlprogramme? Muss man mal in die Wahlprogramme gucken, erstens sind die 100 Seiten, 200 Seiten dick, und dann liest man das, und dann versteht das ein normaler Mensch wieder nicht. Ich bin der Meinung, die Parteien möchten nicht verstanden werden."
"Und so Wörter wie 'Transparenz', da gibt's noch ein paar andere, 'Reformstau' ... ja.
'Zukunft gestalten', was in sich schon völlig verquer ist."
Sammy Stauch und Birgit Lechtermann unterhalten sich in der Deutschen Rednerschule über Phrasen und Worthülsen, die Sie ihren Seminarteilnehmern aus ihren Redemanuskripten streichen würden. Die Moderatorin und Redakteurin Birgit Lechtermann trainiert Politiker für ihre Medienauftritte, Sammy Stauch ist Geschäftsführer der Deutschen Rednerschule, die sein Schwiegervater vor knapp 40 Jahren gegründet hat.
"Seinerzeit auch auf Ratschlag von Franz-Josef Strauß, der gesagt hat, ist ne gute Idee, was du da vorhast, 'ne Rednerschule zu gründen, den Politikern 'n bisschen Rhetorik beizubringen. Und so ist die ganze Sache entstanden."
Rhetorik, meint Stauch, finde in den Medien und in der Öffentlichkeit kaum noch statt. Rhetorik sei ein Wettbewerb der Ideen, eine Diskussionskultur, in der nach Lösungen gesucht werde und in der es nicht in erster Linie darauf ankomme, den politischen Gegner zu diskreditieren.
"In den Talkshows geht es nur ums Gewinnen und Verlieren, nicht darum, mal einen gemeinsamen Standpunkt zu formulieren. Deswegen bleibt ja der Zuschauer, mir geht es so, ständig meinungs- und ratlos zurück."
"Ich denke, dass es bei den Menschen auch nicht gut ankommt. Es ist ja auch keine Kommunikation mehr, sondern nur: Ich muss jetzt meine Message durchdrücken.
"Es ist Akklamation und keine Rhetorik mehr."
"Ja, lassen Sie mich ausreden!"
"Herr Söder seien Sie nicht so mimosenhaft. Es war doch jetzt auch ein Gedanke der Widerspruch verträgt."
"Nein, den akzeptiere ich nicht."
"Haben Sie doch gar nicht gehört, weil Sie nicht zugehört haben."
"Wie kann ich denn zuhören, wenn Sie mir ständig ins Wort fallen."
"So, weiter! Das ist Kindergarten."
"Ja, da haben sie recht, das ist Kindergarten."
"So gewisse Interview-Knigge-Regeln, wenn man es so bezeichnen möchte, wird einfach über Bord geschmissen heutzutage. Also es ist auch ruppiger geworden."
Politische Begriffe können ideologische Botschaften aussenden
Anstandsregeln der Rhetorik werden den Politikern in der Deutschen Rednerschule beigebracht, zum Beispiel das Ausredenlassen und Zuhören oder das Beantworten von Fragen der Interviewpartner. Ob sie sich später daran halten, stehe allerdings auf einem anderen Blatt. Ein Auftreten, das nur darauf ausgerichtet sei, Schlüsselworte und Programmsätze unterzubringen, gepaart mit einer floskelhaften, starren und äußerst unkonkreten Sprache fördere die Politikverdrossenheit, davon ist Sammy Stauch überzeugt:
"Ja, absolut, absolut. Nehmen wir mal eine Familie, wenn da einer permanent Quatsch erzählt, gibt's auch Knatsch in der Familie. Das Problem ist, wenn Kommunikation nicht mehr dazu da ist, um etwas gemeinsam zu erörtern oder sich über etwas zu verständigen, wenn dieses Verständnis fort ist, dann geht man getrennte Wege. Und so ist das, glaube ich, in großen Teilen der Gesellschaft, die sagen: Okay, dann gehe ich eigene Wege."
"Ich glaub zunächst mal, dass tatsächlich bestimmte Interessengruppen auch über Macht verfügen, bestimmte Sprechweisen in der Öffentlichkeit durchzusetzen."
Der Journalist Stephan Hebel ist davon überzeugt, dass viele politische Begriffe ideologische Botschaften aussenden, die den Blick auf die Realität verändern. In seinem Buch "Gute-Macht-Geschichten", das er gemeinsam mit seinem Kollegen Daniel Baumann geschrieben hat, geht es um "politische Propaganda und wie wir Sie durchschauen können". Die Sprache, die Politiker verwenden, so Hebel und Baumann, beschreibe "nicht nur unsere Wirklichkeit aus einer bestimmten Perspektive", sondern sie forme sie zugleich.
"Sie nehmen einen positiven Begriff, die Eigenverantwortung; und jeder wird sagen, Eigenverantwortung ist doch was sehr Schönes und verstecken dahinter, dass sie eigentlich den Menschen Lasten, die früher die Gemeinschaft getragen hat, jetzt aufhalsen wollen als Individuum. Es ist natürlich schöner, als Politiker zu sagen: Wir kämpfen für Eigenverantwortung, als zu sagen: Wir wollen Sozialleistungen abbauen und jeder soll sich um sich selbst kümmern."
Der Euphemismus, so Hebel, also die Schönfärberei unpopulärer Maßnahmen, gehöre zum Standardrepertoire der politischen Manipulation. Ein positiv besetzter Begriff wie "die Reform" wurde beispielsweise verwendet, um massive soziale Einschnitte durchzusetzen. Und wer dabei durchs Raster fällt, gilt als "sozial schwach".
"Wer Sprache geschickt einsetzt, findet weder Arme noch Reiche, sondern nur Vermögende und sozial Schwache in der Bundesrepublik. Das legt einen angenehmen Schleier über die extreme finanzielle Ungleichheit in Deutschland. Für die Armen ist es allerdings alles andere als angenehm, als sozial schwach bezeichnet zu werden. Nicht, dass sie nur mit wenig Geld zurechtkommen müssen. Nein, ihnen wird auch noch ein menschlicher Mangel unterstellt."
"Wenn Sie das Wort 'sozial schwach' wörtlich nehmen, dann heißt das, es fehlt jemandem an sozialer Kompetenz, an Empathie, Mitleid oder was auch immer. Aber natürlich ist jemand, weil er arm ist, nicht gleich sozial schwach, sondern höchstens sozial benachteiligt. So kommt's, dass wir bestimmte Menschen, die in der Gesellschaft benachteiligt sind, durch die Sprache mit einer Färbung belegen, die sie diffamiert."
Auch Medien haben Anteil an der Verbreitung manipulativer Begriffe
Aber wer bringt solche Formulierungen in Umlauf? Gibt es eine Zentrale für politische Propaganda? Eine Manipulationsbehörde?
"Wenn Sie sehen, dass Gruppierungen wie die Initiative neue soziale Marktwirtschaft, eine Arbeitgeberorganisation, eine Studie, ein Propagandainstrument nach dem andern in die Gegend werfen, um eine bestimmte, im Kern neoliberale Politik positiv zu verkaufen, dann wissen Sie, das Sprechen über Politik zu bestimmen, das hat auch was mit der ökonomischen Macht zu tun, über die man verfügt. In der Wirtschaftswissenschaft hat eine bestimmte neoliberale Sichtweise lange Zeit die klare Mehrheit gehabt, ist nicht hinterfragt worden. Und in diesem Bündnis aus bestimmten Interessengruppen, ’ner bestimmten wissenschaftlichen vorherrschenden Richtung und Politik lassen sich Sprechweisen durchsetzen."
Auch die Medien haben ihren Anteil an der Verbreitung manipulativer Begriffe wie "Griechenlandhilfe" oder "Freihandelsgegner". Journalisten, die solche Worte in ihren Artikeln und Beiträgen verwenden, befördern politische Interessen, die sie möglicherweise gar nicht teilen, meint Stephan Hebel.
"Deshalb glaube ich, man muss sich eine Art Immunisierung zulegen, gerade als Journalist. man muss wirklich mal durchreflektieren, mit wie vielen Begriffen Schindluder getrieben wird in der politischen Debatte und dann so eine Bremse einbauen, wo man sich noch mal kurz fragt: Ist das ein Euphemismus oder ist das wirklich der Begriff, der die Wirklichkeit so beschreibt, wie ich sie für richtig beschrieben halte?"
Die Wirklichkeit richtig zu beschreiben, das ist auch die Antriebsfeder des Kabarettisten Mathias Richling. Resolut wischt er in seinen Shows und Programmen die Nebelschwaden des politischen Vokabulars zur Seite und karikiert Politiker bis zur Kenntlichkeit – zum Beispiel Frank-Walter Steinmeier nach seinem Amtsantritt als Bundespräsident.
"Wie Sie wissen, hat mit der Abschaffung der Monarchie 1918 das Volk, also die SPD, die Schlösser erobert. Wenn wir wohin gehören, dann isses ins Schloss. Die SPD ist im Grunde König."
"Wie begegnen Sie als König denn Leuten wie Trump, den Sie ja mal als Hassprediger bezeichnet haben?"
"Also die Schwierigkeiten dürfen nicht übersehen ... zu bedeuten, dass ich ja Bundespräsident aller Deutschen bin."
"Ja, ja, und sprechen Sie dann mit Trump?"
"Wir leben in schwierigen Zeiten. Die Welt ist aus den Fugen, das habe ich auch schon in meiner Antrittsrede so gesagt."
"Und entschuldigen Sie sich bei ihm?"
"Ich habe festgestellt, dass die Amtszeiten meiner Vorgänger ja ganz unterschiedlich geprägt waren: Trümmerfrauen, Terror, Mauerfall. Obwohl der Bundespräsident mit Ta-ta-tagespolik gar nichts zu tun haben darf. Insofern kann ich Ihre Frage durchaus beantworten."
"Ja, wie, wie beantworten Sie die Frage?"
"Das habe ich in meiner Antrittsrede bereits gesagt."
"Ja, was haben Sie denn gesagt?"
"Lasst uns mutig sein. Es tut mir leid, alle anderen Phrasen waren bereits besetzt von Martin Schulz."
Über 150 Politiker hat Mathias Richling seit den Achtzigern parodiert
Die Parodie dient Mathias Richling dazu, Politikerhaltungen zuzuspitzen, die Absicht hinter einer Geste, einer Formulierung auszustellen, leeres Gewäsch und Phrasendrescherei ad absurdum zu führen. Über 150 Politiker hat der Kabarettist auf diese Weise seit den achtziger Jahren bereits parodiert. Eine Tendenz zur Verwechselbarkeit und zur Gleichmacherei, zur Nivellierung, wie er sagt, konnte er dabei eindeutig feststellen.
"Das hat angefangen mit Helmut Kohl, der 1984 plötzlich sein Image veränderte, als er in den Wahlkampf zog. Vor dem Wahlkampf hatte er seine dunkle Brille abgelegt und er hat Sprechunterricht genommen. Und es war nicht dieses Pfälzische, sondern es war dieses Merkwürdige: 'Musste nicht wissen genau, was is'n das für ne Sprache…' Also er versuchte verzweifelt Hochdeutsch zu sprechen. So, da fing die Nivellierung schon an. Das setzt sich aber fort, auch Frau Merkel hat keine eindeutige Sprache. Das ist ja die große Kritik an Frau Merkel auch, dass sie nie ein deutliches Wort sagt und immer ein nivelliertes Wort, das auf alles passt. Also egal, was Herr Erdogan anstellt oder Herr Trump, sagt sie immer: 'Es handelt sich um einen ernsten Vorgang'."
Ein besonderes Studienobjekt des Kabarettisten ist der baden-württembergische Landesvater Winfried Kretschmann.
"Ja, ich glaube, das Land wird sich nicht verändern, gerade weil man grün gewählt hat, weil wir Grüne einfach alles das mitbringen, was man von der CDU erwartet hätte."
"Die Frage bleibt: Wohin geht’s?"
"Wichtig ist, dass man immer Leute hat wie Sie, die immer das Gleiche fragen, dann kann man auch immer das Gleiche antworten, dann fällt der Rest nicht so auf."
Nach der Wahl Kretschmanns als erster grüner Ministerpräsident beobachtete Mathias Richling, wie sich der Druck auf den Politiker verstärkte, wie er unter Beschuss geriet für Dinge, die er bereits vor der Wahl gesagt hatte, die nun aber, in der neuen Machtposition, offenbar zum ersten Mal wahr- oder ernst genommen wurden.
"Da sagte er nach der Wahl: Zu viele Autos sind nicht gut. Ein Riesentheater in diesem Lande. Die ganze Industrie wär schier zusammengebrochen, Daimler ist auf die Barrikaden: Was? Wie kann der sich das unterstehen, gegen Autos zu reden, wo wir das Autoland sind und es gibt also Arbeitslose jetzt, furchtbar! Dabei hat er nichts anderes gesagt als seit 40 Jahren. Das heißt: Die Öffentlichkeit – sowohl der Wähler wie auch die Journalisten – forcieren das natürlich, dass Politiker verschreckt werden, wenn sie nicht die Stabilität und den Charakter eines Kretschmann haben, dann ziehen sie sich zurück und werden eben nivellierte Leute, die in der Sprache im Grunde genommen nicht mehr erkennbar sind."
Eine Fabriketage im dritten Stock eines Hinterhofgebäudes in Berlin-Wedding. Hier befindet sich die temporäre Agentur ZBA, die für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf der Grünen ins Leben gerufen wurde. ZBA steht für Ziemlich Beste Antworten.
Matthias Riegel ist einer der führenden Köpfe der Agentur. Er hat bereits im vergangenen Jahr Erfahrungen beim Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg gesammelt, der ganz auf den amtierenden grünen Ministerpräsidenten zugeschnitten war.
"Wenn man sich Winfried Kretschmann anguckt, dann war da ganz stark dieser Impuls von uns aus zu sagen: Okay, das ist an sich schon mal ein komplett anderer Stil von Regierung, auch von Kommunikation und Tonalität, wie er diese Regierung überhaupt angegangen ist. Und dann hab ich versucht, mich ganz stark in seine Sprache in seine Welt, in sein Verständnis von Politik reinzubegeben. Deswegen stehen am Ende Zitate von Max Weber auf diesen Plakaten."
"Leidenschaft für die Sache"
"Es vergeht kein Treffen mit Herrn Kretschmann, ohne dass man nicht in jedem vierten oder fünften Satz ein Zitat von einer bedeutenden Persönlichkeit aus dem philosophischen oder literarischen Bereich hat."
"Verantwortung und Augenmaß"
"Wer sich mit Politikwissenschaften etc. auskennt, der weiß, Max Weber sagt: Drei Dinge braucht der Politiker: Verantwortung, Augenmaß und Leidenschaft. Und wir haben dieses Verantwortung und Augenmaß genommen und gesagt, genau zwischen diesen beiden Polen, da befindet sich Winfried Kretschmann und die grün-rote Regierung in Baden-Württemberg."
In Wahlzeiten spitzt sich die Sprache der Politiker naturgemäß zu
Eine Herangehensweise, die Ole von Beust vermutlich zu schätzen gewusst hätte. Für den ehemaligen Hamburger Bürgermeister sind politische Botschaften, die als Slogans verbreitet werden, alles andere als erfolgversprechend. Besser sei es, den Wahlkampf zu personalisieren.
"Sie erkennen ’ne Phrase. Und ein Versprechen glaubt Ihnen vor der Wahl auch keiner. Also der schöne Spruch: Nirgends wird so viel gelogen wie vor der Wahl und nach der Jagd. Da ist ja was dran. Also ich hatte mein bestes Wahlergebnis mit – das war ein Slogan, aber weder eine Phrase, noch ein Versprechen – wir hatten als Hamburger den Slogan: 'Michel, Alster, Ole'. Michel, das Wahrzeichen Hamburgs, Alster, der aufgestaute Fluss in der Stadt, und Ole war ich als Spitzenkandidat."
"Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Kampagne keine Wahl entscheidet. Gleichzeitig muss ich sagen, dass die Kampagne und auch die Tonalität oder die Sprache, die eine Kampagne wählt, also die gibt so ein Gefühl vor, mit dem ich diesen Wahlkampf führen will. Und bei 'Michel, Alster, Ole', da steckt so eine krasse Verbundenheit oder Souveränität drin, ein Land oder eine Stadt zu führen, ohne dass man über Verantwortung oder Vertrauen oder Authentizität spricht. In so einer leichten, fast lockeren Floskel steckt viel mehr drin an sprachlichen Ebenen, als man sich das in erster Linie vorstellen kann. Dafür hat man ja eben kreative Berater, die so was entwickeln."
In Wahlzeiten spitzt sich die Sprache der Politiker naturgemäß zu. Die Regierenden betonen ihre Erfolge, die Herausforderer sehen das Land bereits am Abgrund. Versprochen werden Steuerentlastungen und Investitionen, am besten beides, und natürlich mehr Gerechtigkeit, am besten für alle. Welchen Ton müssen Politiker anschlagen, um im Phrasengewitter Gehör zu finden? Wie können sie Glaubwürdigkeit erlangen zwischen Floskeln und Parolen? Welche Sprache müssen sie sprechen, um die Menschen von ihren Ansichten und Absichten zu überzeugen? Das sind Fragen, die sich gerade zur Bundestagswahl erneut stellen. Mathias Richling beantwortet sie mit einem Beispiel aus der Vergangenheit.
"Als Gutenberg Wirtschaftsminister war. Da ging es darum, dass Opel Staatshilfen bekommen sollte. Und Gutenberg als Wirtschaftsminister war damals noch sehr anerkannt, war dagegen. Und die breite Öffentlichkeit war dafür. Opel ist Traditionsunternehmen, viele Arbeitsplätze etc. Trotzdem hat es an seiner Popularität nichts gemacht. Im Gegenteil, weil die Leute einfach gespürt haben, er sagt das aus seiner Überzeugung, nicht aus Unwissen oder so, sondern er wusste, warum er das so sagt. Und das haben die Leute respektiert und akzeptiert. Die Leute wollen klare Worte haben, auch wenn's gegen ihre eigene Überzeugung ist."