"Abmarsch in den Untergang" war die 20. von 25 Folgen der Reihe "Regime unter dem Hakenkreuz". Sie wurde 1983 erstmals im RIAS, dem Rundfunk im amerikanischen Sektor von West-Berlin, ausgestrahlt. Autor Manfred Rexin war langjähriger Leiter des RIAS-Bildungsprogramms. Die Reihe war ab 2006 in mehreren Auflagen Teil des Programms der Bundeszentrale für politische Bildung.
Abmarsch in den Untergang
49:25 Minuten
Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg. Das RIAS-Feature von 1983 zeigt Hitlers menschenverachtendes politisches Spiel - und wie er die Reaktion der Westmächte unterschätzte.
1933 war Hitler an die Macht gekommen. Von diesem Zeitpunkt an arbeitete er darauf hin, einen neuen Krieg zu entfesseln. Am 1. September 1939 erklärt er in einer Ansprache:
"Ich habe nun über sechs Jahre am Aufbau der deutschen Wehrmacht gearbeitet. Es sind in dieser Zeit über 90 Milliarden für den Aufbau dieser Wehrmacht angewendet worden. Sie ist heute die bestausgerüstete und sie steht weit über jedem Vergleich mit der des Jahres 1914. Mein Vertrauen auf sie ist unerschütterlich!"
Schon am 3. Februar 1933 hatte Hitler vor den Befehlshabern der Reichswehr sein Ziel genannt:
"Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung!"
Politik als Lotteriespiel
Offiziell beteuerte Hitler in den ersten Jahren seiner Herrschaft noch seine Friedfertigkeit. 1938 jedoch war die Aufrüstung so weit fortgeschritten, dass er in die Offensive ging, zunächst mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Als er wenig später die Herauslösung des Sudetenlandes aus der Tschechoslowakei forderte, gaben Großbritannien und Frankreich nach und akzeptierten auf der berühmt-berüchtigten Münchener Konferenz Hitlers Forderung. Doch der begnügte sich nicht mit dem Sudetenland, sondern bereitete gleich den nächsten Schlag vor: die Besetzung Prags und der restlichen Tschechoslowakei im März 1939.
In einer höhnischen Ansprache hatte Propagandaminister Goebbels vor sudetendeutschen Zuhörern das zynische Politikverständnis des NS-Regimes deutlich gemacht:
"Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man in der Politik etwas gewinnen könnte, wenn man nichts einsetzt. Das ist genauso wie bei einer Lotterie, dass man nicht den Hauptgewinn ziehen kann, wenn man kein Los kauft. Irgendetwas muss man schon riskieren."
Das Ziel: "Ausweitung des Lebensraums unseres Volkes"
Hitler gab am 10. November 1938 vor der deutschen Presse offen zu, was von seinen Friedensbekundungen zu halten war:
"Die Umstände haben mich gezwungen, Jahrzehnte lang nur vom Frieden zu reden. Nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten war es mir möglich, dem deutschen Volk Stück für Stück die Freiheit zu erringen und ihm die Rüstung zu geben, die immer wieder für den nächsten Schritt als Voraussetzung nötig war. Es war nunmehr notwendig, das deutsche Volk nunmehr psychologisch umzustellen und ihm langsam klarzumachen, dass es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen.
Was nur mit Mitteln der Gewalt durchsetzbar war, erklärte Hitler am 30. Januar 1939 vor dem "Großdeutschen Reichstag":
"Die Ausweitung des Lebensraumes unseres Volkes."
Der Hitler-Stalin-Pakt als politischer Coup
Mit anderen Worten: die Eroberung großer Räume in Osteuropa und die Vertreibung oder Unterwerfung der dort lebenden Völker. Der Einmarsch in Prag im März 1939 war der erste Schritt, auch Grenzen von Staaten zu überschreiten, deren Bewohner nichts mit "deutschem Volkstum" zu tun hatten. Obwohl die Westmächte 1938 eine Bestandsgarantie für den tschechoslowakischen Staat abgegeben hatten, reagierten sie nicht auf die sogenannte "Zerschlagung der Rest-Tschechei".
Hitler begann nun mit scharfen Attacken auf Polen. Die USA reagierten im April 1939 mit einer diplomatisch formulierten Warnung vor weiterer "Drohung mit Gewalt". Höhnisch reagierte Hitler mit einer Note, dass, soweit es sich um Deutschland handle, ihm von einer Bedrohung anderer Nationen nichts bekannt sei. Zur selben Zeit, im April 1939, wies er die Wehrmacht an, einen Blitzkrieg gegen Polen vorzubereiten.
Im August gelang dem NS-Regime ein politischer Coup, als am 23.08.1939 der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen wurde. Die Sowjetunion sollte erst später ein Angriffsziel der Deutschen sein. Erst sollte Polen bis zu der mit Stalin abgestimmten Grenze besetzt werden. Mit dem inszenierten Überfall auf den Sender Gleiwitz schaffte Hitlers Regierung den Vorwand, um in der Nacht vom 31. August auf den 1. September 1939 in Polen einzurücken.
Wie versteinert saß Hitler da
Die große Frage war, wie die Westmächte, voran Großbritannien, darauf reagieren würden. Hitler hatte sich zuvor bemüht, den Briten zu signalisieren, dass sich seine Politik nicht gegen das Vereinigte Königreich richte. Doch mit dem Angriff auf Polen hatte er auch für die britischen Appeasement-Politiker den Rubikon überschritten. Am 3. September übergab der britische Botschafter dem Auswärtigen Amt das Ultimatum der Londoner Regierung: Wenn das Deutsche Reich seinen Angriff auf Polen nicht einstelle, befinde sich Deutschland mit Großbritannien im Krieg.
"Wie versteinert saß Hitler da und blickte vor sich hin."
So beschreibt der britische Gesandte, der die Londoner Erklärung Hitler übergab, die Szene. Im Vorraum habe Totenstille geherrscht:
"Göring drehte sich zu mir um und sagte: 'Wenn wir diesen Krieg verlieren, dann möge uns der Himmel gnädig sein.'"
(wist)