Richard David Precht: "Erkenne dich selbst – Eine Geschichte der Philosophie II"
Goldmann-Verlag 2017
671 Seiten, 24 Euro.
Philosophie als kulturhistorischer Abenteuertrip
Im zweiten Band seiner Philosophiegeschichte führt Richard David Precht die Leser von der Renaissance bis zum deutschen Idealismus. Ein vergnüglicher, umwegreicher kulturhistorischer Abenteuer-Trip für alle, die nichts gegen Philosophie im Plauderton haben.
Philosophie im Plauderton erzürnt so manchen akademischen Experten – als gingen Themen wie der Lebenssinn, Gerechtigkeit und Gut und Böse nicht uns alle an. Heißt denn Philosophie nicht wörtlich Weisheitsliebe, meint also Lebensklugheit? In diesem Ursprungssinn will Precht das Abendland Revue passieren lassen – und reiht die wechselvolle, oft wirkmächtige, das heißt durchaus nicht immer akademisch abgehobene Geschichte der Philosophie auch an sozialen und politischen Entwicklungen auf. Denn diese haben die herrschenden Ideen durchaus geprägt, und sei es nur, indem sich die Philosophen an den Ideen der Herrschenden abgearbeitet haben.
Philosophie als Reflex und Reflexion
Der just erschienene zweite von drei geplanten Bänden setzt ein mit dem Ende des Mittelalters, also der Renaissance, und mündet in den deutschen Idealismus Anfang des 19. Jahrhunderts. Natürlich weiß Precht um die Willkür solcher Epochenmarker – aber gerade hier erweist sich die Stärke eines Ansatzes, der das wirtschaftliche, technische und politische, auch das religiöse Umfeld eben nicht zur bloßen Rahmenbedingung stutzt, sondern die Philosophie als Reflex und Reflexion darauf vorstellt – bis hin zu den Charakterportraits seiner Helden.
Wenn etwa John Locke, gemeinhin verehrt als Vater des Liberalismus, "den Indianern keinerlei Recht auf ihr Land" zuspricht, so ist das, wie Precht suggeriert, zugleich logisch, zeitgeistgemäß und zynisch. Denn privater Bodenbesitz rechtfertigte sich für Locke – um der willkürlichen, z.B. machtpolitischen Aneignung vorzubeugen – aus der Nutzung des Bodens, für Locke also der Bewirtschaftung. Diese aber ließen die jagenden Indianer vermissen, hatten also folglich ihr Recht auf den Landbesitz verwirkt. Die Kunst, moralisches Denken und kommerzielles Handeln so im Bewusstsein zu speichern, dass sie dort nicht zusammentreffen, sieht der Autor auch als traditionsbewusste Signatur unserer Zeit.
Mitunter überbetonte Brückenschläge zur Gegenwart
Selbst auf 600 Seiten lassen sich etwa 400 Jahre Kulturgeschichte nicht ausschöpfen, auch nicht, wenn man die wichtigsten Repräsentanten als exemplarische Verkörperungen des Zeitgeists aufreiht – übrigens neben vielerlei Verweisen auf andere Zeitgenossen und deren Beiträge: Eine in den Text eingestreute Leseliste, zusätzlich zu den Literaturangaben am Ende, weist Precht in vielen Fällen als kenntnisreichen Spurenleger aus. Über manche Gewichtung könnte man streiten, aber oft gelingen dem Autor kompakte argumentative Herleitungen, zum Beispiel beim italienischen Humanisten Pico della Mirandola, der auf dem Begriff der Menschenwürde seine Philosophie der menschlichen Freiheit, sich selbst zu erfinden, aufbaut.
Auch jene Kontroversen und Selbstwidersprüche des deutschen Idealismus, vor allem in Sachen Erkenntnistheorie und Identitätsphilosophie, hat der Autor übersichtlich skizziert. Und er verschweigt nicht die oft gewagten, ja opportunistischen Volten der damaligen Möchtegern-Avantgarde des Weltgeists, pardon, Zeitgeists. Fazit: Trotz allerlei verplaudernder Tangenten und auch Redundanzen – und mitunter überbetonter Brückenschläge zur Gegenwart – ein vergnüglicher, umwegreicher kulturhistorischer Abenteuer-Trip.