Warum Fleisch aus der Petrischale unsere Rettung ist
Fast acht Millionen Vegetarier soll es allein in Deutschland geben. Gleichzeitig sind die Bedingungen der Massentierhaltung katastrophal, meint Philosoph Richard David Precht - und fordert die Züchtung von Kulturfleisch.
Joachim Scholl: Herr Precht, in den letzten Jahren waren Sie auch uns ein Gast mit dem voluminösen ersten Band der Geschichte der Philosophie, seit zwei Tagen, seit vier Tagen ist nun ein neues umfangreiches Buch von Ihnen auf dem Markt, "Tiere denken" heißt es, "Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen" der Untertitel.
Sie haben dieses Buch vor rund 20 Jahren schon einmal geschrieben, damals hieß es "Noahs Erbe", hatte denselben Untertitel, jetzt ist es in vielen Teilen neu geschrieben, aktualisiert, überarbeitet. Hat sich denn, Herr Precht, am Recht der Tiere, an unserem Denken über sie so wenig geändert, dass Sie dachten, es muss noch mal sein?
Richard David Precht: Ja, also, im Hinblick auf das Recht der Tiere hat sich überhaupt nichts geändert oder verbessert. Aber es ist ein interessanter Prozess eingetreten. Als ich 1997 "Noahs Erbe" geschrieben habe, gab es in Deutschland wahrscheinlich keine 20.000 Veganer.
Heute gibt es 900.000 Veganer und 7,8 Millionen Vegetarier. Also, die Sensibilisierung der Menschen für das, was sie essen, auch die Sensibilisierung darum, was wir glauben, was wir gegenüber Tieren machen können, hat enorm zugenommen. Aber auf der anderen Seite hat sich an den Missständen, was Tierversuche anbelangt, was Massentierhaltung anbelangt, überhaupt nichts geändert. Im Gegenteil: manche Dinge haben sich sogar verschlechtert seitdem.
"Im Grunde genommen eine Veralberung"
Scholl: Seit 2002 ist der Tierschutz als Staatsziel im deutschen Grundgesetz verankert. So wie Sie erzählen, so wie Sie schreiben, wird dieses Ziel in keiner Weise aktiv verfolgt. Warum nicht?
Precht: Das stimmt, ja. Also, er ist auch falsch verankert worden und auch mit Absicht. Also, es hat ja lange Initiativen gegeben, dass man den Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz schreibt. Dann hat man das gemacht und zwar hat man den Satz, dass man aus Verantwortung vor der Umwelt die Umwelt zu schützen hat, ergänzt mit dem Satz: "die Umwelt und die Tiere." Das heißt, man hat die Tiere zu einem Teil der Umwelt erklärt. Also, quasi, wir schützen das Wohnzimmer und alle Einrichtungsgegenstände darin.
Man hat also Tiere nicht als Individuen hier ein Recht zugesprochen oder zum Staatsziel gemacht, sie zu achten, sondern man hat sie einfach als Teil der Umwelt irgendwo einsortiert, so ähnlich wie Gewässer oder Moose oder so was. Also, im Grunde genommen ist die Art und Weise der Verankerung eigentlich eine Veralberung gewesen.
Scholl: Ihr Buch ist so vielfältig in seinen Aspekten, Herr Precht, dass man über jeden einzelnen eine Stunde lang diskutieren könnte, etwa die Rolle der Philosophie natürlich, der Religionen. Und es ist so ernüchternd zu sehen, wie wenig Empathie allenthalben, auch in der Geistesgeschichte, in der Zivilisationsgeschichte für die Tiere herrscht.
Sie werden immer unter die Krone der Schöpfung gezwungen, also unter den Menschen, und alle Grausamkeit achselzuckend akzeptiert. Wie erklären Sie sich das auch als Philosoph eigentlich?
"Respekt für die spirituellen Zusammenhänge allen Lebens"
Precht: Na ja, also, wenn man mal so die menschliche Kulturgeschichte sich ansieht und sagt, der Mensch hat sich vor drei Millionen Jahren aus den Australopethiceen entwickelt, und mal diesen ganzen Prozess nachzeichnet, was ich ja mache, dann kann man sagen, über den allerlängsten Teil des Menschen, der menschlichen Geschichte hatten wir einen anderen Umgang mit Tieren. Also, noch bei den alten Ägyptern begegnet uns ein Drittel der Gottheiten als tiergestaltig oder tierköpfig.
Es gibt einen großen Respekt im alten Ägypten für die spirituellen Zusammenhänge allen Lebens, den Kreislauf des Lebens, vom Nilhochwasser bis zu den Tieren, die dazugehörten. Und eigentlich erst, als man anfing, systematisch Ackerbau und Viehzucht zu betreiben, und als die Hirtenvölker sich durchsetzten, also in der Levante, in Israel oder in Griechenland, da versachlichte sich der Umgang mit dem Tier. Und als das einmal eingesetzt hatte, hat man im Zuge des technischen Fortschritts diese Versachlichung immer weitergetrieben.
Scholl: Sie haben es schon angesprochen, Herr Precht, Massentierhaltung, Tierversuche, es ist sozusagen immer … geht immer weiter mit diesen Missständen und den Grausamkeiten. Es gab in den letzten Jahren vehement wütende Plädoyers dagegen von Schriftstellern, also Karen Duve, der Amerikaner Jonathan Safran Foer. Sie, Herr Precht, tragen Ihren Appell entschieden, aber auch, wie ich fand, sehr gelassen vor. Also, Sie sind jetzt kein Missionar, Sie sagen, es ist Quatsch zu fordern, dass wir jetzt alle Vegetarier oder Veganer werden. Und – sehr interessant und alle Schnitzel-Freunde jetzt mal hinhören – es muss auch gar nicht sein, denn die eine realistische Zukunft heißt Cultured Meat, Kulturfleisch. Was heißt das?
"Man kann einer Kuh eine Nackenzelle entnehmen"
Precht: Ja. Also, für manche Leute hört sich das auf den ersten Blick widerlich an, für mich wäre es, wenn es langfristig funktionieren würde, die Lösung eines globalen Menschheitsproblems. Man kann einer Kuh eine Nackenzelle entnehmen und die in der Petrischale in Zellkultur vermehren. Und wenn man das macht, entsteht am Ende eine Art Burger. Das ist echtes Fleisch. Das ist jetzt nicht Ersatzfleisch, das ist Fleisch. Das ist aber ein Fleisch, für das die Kuh nicht hat sterben müssen. Und da kann man – das ist für Frauen besonders interessant –, von sich aus hat das Ganze kein Fett. Und das kann ich zusetzen und je nachdem, wie und was für Fette ich zusetze, kann ich den Geschmack mitbestimmen, denn der einzige ernsthafte Geschmacksträger beim Fleisch ist sowieso das Fett. Und wenn ich das mache, dann brauche ich diese enorme Massentierhaltung nicht mehr und – was mindestens genauso schlimm ist – den Futtermittelanbau.
Also, in Entwicklungsländern wird der allergrößte Teil des Angebauten … in Brasilien zum Beispiel, der Mais, der da angebaut wird, alles an Tiere verfüttert. Mehr als die Hälfte der weltweiten Getreideproduktion geht an Tiere. 80 Prozent des Wassers in Brasilien saufen die Rinder weg. Wenn man sich das alles mal vorstellt, dass soziale Elend, die ökologischen Folgen, die das Ganze zeitigt, und das könnten wir jetzt alles ersetzen dadurch, dass wir in Zellkultur Fleisch auf diese Weise herstellen. Dann werden vielleicht ein paar Leute sagen, iih, das ist doch Gentechnik, das esse ich nicht. Aber ehrlich gesagt: Bier wächst auch nicht irgendwo auf dem Feld und Brot auch nicht.
Also, das sind alles Sachen, die der Mensch irgendwo künstlich herstellt. Und dieses Cultured Meat wäre sehr, sehr viel gesünder, weil es ja nicht belastet ist mit Antibiotika. Also ethisch besser, ökologisch besser und so weiter.
"Frank-Walter und Angela waren zwei Schützenfische"
Scholl: Das ist eine Zukunft, die man sich jetzt noch schwer vorstellen kann, aber eine hoffnungsvolle auf jeden Fall. Herr Precht, Sie danken in diesem Buch all den Tieren, die Sie privat mal hatten. Schöne Namen haben Sie sich anscheinend jeweils ausgesucht, bei zweien würde mich doch interessieren, welche das waren: bei Angela nämlich und Frank-Walter. Was waren das für …
Precht: Ja, Frank-Walter und Angela waren zwei Schützenfische, die ich in meinem Aquarium hatte. Und Schützenfische haben einen ganz tief runtergezogenen Mundwinkel. Und daher die Namen Angela und Frank-Walter.
Scholl: Wunderbar! Bei mindestens zwei Menschen, kann ich sagen, hat Ihr Buch schon gewirkt, Herr Precht, bei mir und meiner Frau. Wir haben es zusammen im Urlaub gelesen und die nächste Erwerbung, was glauben Sie, war ein vegetarisches Kochbuch, die erste Pilzpfanne war superlecker. Ich hoffe, dass viele, viele Leser ähnlich reagieren, schön, dass Sie bei uns waren, Herr Precht!
Precht: Ganz herzlichen Dank!
Scholl: "Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen", so heißt der neue Band von Richard David Precht, erschienen im Goldmann Verlag.
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