Richard Flanagan: "Der Erzähler"

Über den Betrüger in uns

Buchcover: "Richard Flanagan: Der Erzähler"
In seinem neuen Roman "Der Erzähler" hat sich Richard Flanagan das Böse vorgenommen. © Piper / imago / stock & people
Von Gabriele von Arnim |
Der junge, erfolglose Schriftsteller Kif bekommt den Auftrag, die Biografie des berühmtesten Betrügers Australiens zu schreiben. Die Zusammenarbeit mit Heidl wird für ihn eine Reise zu seinen eigenen Dämonen.
Richard Flanagan, der große australische Erzähler, der mit seinem Roman "Der schmale Pfad durchs Hinterland" vor wenigen Jahren den prestigeträchtigen Booker Prize gewann, ist kein Mann für leichte Themen. In seinem neuen Roman hat er sich das Böse vorgenommen, das in trügerischer Verkleidung oft so scheinbar harmlos daherkommen kann.
Kif, ein junger, am Schreiben verzweifelnder Autor, bekommt eines Tages den Auftrag, innerhalb von sechs Wochen die Biografie des berühmtesten Betrügers Australiens zu schreiben. Natürlich will er moralisch empört ablehnen - und nimmt den Auftrag an. Er braucht dringend Geld.
Erst später erfährt er, dass schon mehrere Schreiber nervenzermürbt das Handtuch geworfen hatten, weil der Halunke namens Heidl nicht das geringste Interesse daran zeigt, von seinen Betrügereien zu erzählen. Wenn er redet, dann raunt er Andeutungen, murmelt von einer Zusammenarbeit mit dem CIA oder der NASA, will Abschussrampen gebaut haben - und dann auch wieder nicht.

Vom Betrüger infiltriert

Kif verzweifelt, bleibt dran und erliegt nach und nach dem mephistophelischen Scharlatan, der sich einnistet in seine Psyche, ihn beherrscht. Er begreift: Wenn er über den - vermutlich auch mörderischen - Heidl schreiben will, muss er sich selbst begegnen. Er bekommt Angst vor dem anderen und vor sich. Aber er bleibt fasziniert. Denn hat Heidl nicht auch immer wieder Recht in seiner Sicht auf die Welt? Gib Bankern oder Politikern das Gefühl von Wichtigkeit, sagt Heidl, und sie geben dir mit Kratzfuss jeden Kredit und jede Unterstützung. Für Heidl hat es genau so funktioniert. Hunderte von Millionen Dollars hat er veruntreut.
Was für delikate Themen. Die Grenze zwischen dem Einfluss des Bösen und der Stärke des Anstands, der schmale Pfad zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen Geschäft und Betrug. Immer wieder gelingen dem Autor Szenen der sinistren Verderbung des Schreibers durch den Verbrechensflüsterer.

Kif wird zum Medienmächtigen

Doch Flanagan, der hier in weiten Teilen seine eigene Geschichte als Ghostwriter eines berühmten Kriminellen schreibt, hatte offenbar sehr viel weniger Lust als sonst auf Sprache, Intensität, Stringenz – und verschwätzt immer wieder das schöne böse Thema. Verliert sich in Behauptungen, in Nebensächlichkeiten und Wiederholungen. Hätte er das Buch gekürzt und verdichtet - es hätte eine beängstigend packende Parabel werden können über den allseitigen Betrug, der heute auf allen Ebenen der Gesellschaft grassiert. Bis hin zu dem gefährlichen Einfluss von sogenannten Fake news.
Als Heidl sich schließlich umbringt, ist Kif ein anderer Mensch. Er hat seine Haltung verloren, seine moralische Integrität. Heidl hat ihn korrumpiert. Kif macht eine steile Karriere als unseriöser Drehbuchautor und avanciert alsbald zu einem Medienmächtigen, der mit großem Erfolg zynische Fernsehformate produziert. Er wird reich, berühmt und von seiner inneren Leere aufgesogen. Und fragt sich in luziden Momenten, ob er wohl heute die Fratze des Betrugs sei, die er in Heidl aufzeigen wollte.

Richard Flanagan: Der Erzähler. Roman
Aus dem australischen Englisch von Eva Bonné
Piper Verlag, München 2018
448 Seiten, 24 Euro

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